Ich habe überlegt, der Bundesregierung zuzurufen: „Wann kommen wir an? Wann sind wir endlich raus aus der Pandemie?“

Viele Eltern kennen das: Nachdem sie die Reise sorgfältig geplant und alles gepackt haben, überprüfen sie, ob für die Kinder alles besorgt ist: Butterbrote, Kekse, Süßigkeiten, Bücher und Spiele. Um die Sprösslinge zu beschäftigen, werden auch Filme heruntergeladen und auf den Mobilgeräten gespeichert. Dann steigt die Familie in ein vollgeladenes Auto und fährt los. Papa und Mama sitzen gewöhnlich vorne, hinten wird es eine Weile still, dann irgendwann, während der Fahrt fragt einer: „Wann sind wir endlich da?“

Ich habe überlegt, der Bundesregierung zuzurufen: „Wann kommen wir an? Wann sind wir endlich raus aus der Pandemie?“ Leider bin ich ein Erwachsener, niemanden wird mein Schrei scheren.

Vor einigen Wochen habe ich noch gedacht, ich würde im Frühling wieder arbeiten und Geld verdienen. Leider muss ich jetzt meine Pläne überdenken. Was soll ich machen? Wie kann ich die Zeit überbrücken? Ich muss mir etwas einfallen lassen. Ich habe beschlossen, eine Reise zu unternehmen. Aber wohin? Ins Ausland möchte ich nicht mehr. Die Quarantäne nach der Rückkehr schreckt mich ab. Ach! Ich habe eine Idee, ich werde eine Deutschlandtour machen, ich werde so lange fahren, bis ich in einer Stadt ankomme, wo Menschen draußen sitzen, in Restaurants gehen, Museen und Kinos besuchen. Sobald ich eine solche Stadt sehe, werde ich wissen, dass ich nach Braunschweig zurückfahren kann. Ich werde unterwegs nicht Radio hören, nicht fernsehen und keine Zeitungen lesen. Es wird eine Fahrt durch ein medienfreies Deutschland sein. Ich habe die Nachrichten satt, und ich möchte keine Prognose mehr hören.

Eine solche endlose und ziellose Fahrt könnte langweilig sein, wenn man allein im Wagen sitzt. Wen kann ich mitnehmen? Mir fällt ein syrischer Freund ein. Er kennt sich mit Geduld aus. Wenn ich mich über die Lockdowns beklage, sagt er immer wieder: „Beruhig dich doch. Sieh mich an. Seit zehn Jahren herrscht Bürgerkrieg in Syrien. Ich weiß nicht, wann der Krieg zu Ende geht und ich hinfahren und meine Eltern besuchen kann. Ich warte.“

So einen Menschen muss ich mitnehmen. Außerdem reist er gerne. Ich werde ein Wohnmobil mieten, damit ich von Hotels und anderen Beherbergungsbetrieben unabhängig sein kann. Falls im ganzen Land Ausgangssperre verhängt wird, kann ich trotzdem fahren, die Autobahnen sind immer frei. Ich werde die Landschaft genießen, und wenn ich an einer Stadt vorbeifahre, wo Bekannte und Freunde leben, werde ich kurz anhalten und sie besuchen. Falls sie Angst haben, sich mit mir zu treffen, kann ich sogar im Wohnmobil bleiben, ihnen zuwinken und weiterfahren.

Jetzt muss ich die Route planen. Ich fahre zuerst in den Norden. Ich fahre nach Hamburg zu Tobias. Er hat Angst, mich zu treffen. Wir vereinbaren, dass er mit seiner Familie auf dem Balkon stehen und mir zuwinken wird. Wir werden ein bisschen plaudern, danach setze ich meine Reise fort. Ich werde eine Ex-Freundin auf Fehmarn besuchen. Ich wähle ihre Nummer. Am Telefon spüre ich eine gewisse Unsicherheit. Ich frage nach dem Grund und erfahre, dass sie verheiratet ist. „Dein Mann braucht vor mir keine Angst zu haben. Gesetzlich muss ich zu dir Abstand halten. Ich darf dich nicht mal umarmen.“ Sie fragt ihren Mann, er hat nichts dagegen. Bisher konnte ich nie nach Rostock, Schwerin oder Weimar fahren. Das ist jetzt die Gelegenheit.

So steht der Plan fest. Ich muss nur noch meinen syrischen Freund anrufen und fragen, ob er Lust hat, mit mir eine Deutschlandtour zu unternehmen. Vorausgesetzt er ist bereit, einen Covid-19-Test zu machen, damit wir virenfrei losfahren. Als ich ihm meine Pläne vorgestellt habe, ist er zuerst begeistert, dann fragt er: „Wann kehren wir nach Braunschweig zurück?“ „Ich weiß es nicht. Ich möchte so lange fahren, bis die Pandemie vorbei ist.“ „Nein,“ sagt er, „ich schlafe gerne in meinem Bett. Die Vorstellung nicht zu wissen, wann wir wieder in Braunschweig ankommen werden, schreckt mich ab. Such dir bitte einen anderen Begleiter.“

Luc Degla studierte im Benin Mathematik und in Moskau und Braunschweig Maschinenbau. Der freie Autor lebt in Braunschweig. In seiner Kolumne beschreibt er sein Leben mit den Deutschen.