„Was ist die Ablehnung eines fundamentalen Werts der westlichen Zivilisation anderes als eine Grundsatzfrage?“

Samuel Paty wurde mit einem Staatsakt beerdigt. Soldaten trugen seinen Sarg in den Ehrenhof der Sorbonne-Universität und bedeckten ihn mit der französischen Flagge. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verlieh dem Lehrer, der am 16. Oktober auf offener Straße enthauptet worden war, postum die höchste Auszeichnung des Staates und sagte in seiner Trauerrede, Paty sei getötet worden, weil er „die Republik verkörperte.“ Alles Theater?

970 Menschen wurden 2019 in Frankreich Opfer tödlicher Gewaltverbrechen. Ihre Namen sind, anders als die von Samuel Paty, kaum bekannt. Alles übertrieben? So zumindest scheint man es bei der „taz“ zu sehen, die dazu twitterte: „Macron bauscht den islamistischen Mord an einem Lehrer zu einer Grundsatzfrage auf.“ Wie man einen derart barbarischen Mord „aufbauschen“ kann, möchte man da den Taz-Twitterer gerne fragen. Vor allem aber hat Macron vollkommen recht damit, das Verbrechen zur Grundsatzfrage zu erklären. Jeder Mord ist tragisch, aber Paty war nicht nur ein weiteres von 970 Opfern. Er sei ermordet worden, weil er Schülern beizubringen versuchte, Staatsbürger zu werden, so Macron. Weil er für die in Frankreich besonders hoch gehaltene Laizität eintrat und weil er Meinungsfreiheit unterrichtete. Was ist die Ablehnung eines fundamentalen Werts der westlichen Zivilisation anderes als eine Grundsatzfrage? Frankreich wird derzeit wegen des Zeigens von Mohammed-Karikaturen mal wieder von islamistischen Angriffen und einer Empörungswelle in islamischen Ländern erschüttert. Doch ist dies kein rein französisches Problem.

Laut einer Umfrage von 2016 im Auftrag des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Universität Münster sind auch 73 Prozent der Türkeistämmigen in Deutschland der Meinung, Bücher und Filme, die Religionen angreifen und die Gefühle tief religiöser Menschen verletzen, sollten verboten werden. Der Politikwissenschaftler und ehemalige Mitarbeiter am Georg-Eckert-Institut in Braunschweig, Hamed Abdel Samad, sagte im WDR-Radio: „Es sind zwei Wertesysteme, die aufeinanderprallen und die nicht miteinander vereinbar sind.“ In einem dieser Systeme gelte die Meinungsfreiheit, das andere stelle die Religion über die Meinungsfreiheit. Doch wer bei uns leben wolle, müsse unsere Werte akzeptieren. Dazu gehöre, „Jesus, Moses und Mohammed kritisieren und zeichnen zu dürfen – und wer damit ein Problem hat, ist im falschen Land.“ Macron hat diesen schon lange schwelenden Konflikt um die Grundfesten der Aufklärung erkannt und endlich offen angesprochen: „Wir machen weiter, Herr Lehrer! Wir werden die Freiheit verteidigen, die Sie so gut unterrichtet haben. Wir werden nicht auf Karikaturen und Zeichnungen verzichten, auch wenn andere einknicken.“ Zumindest in Frankreich hat man verstanden: Meinungsfreiheit, die dort endet, wo sich jemand beleidigt fühlt, ist keine – sondern die Meinungsherrschaft der dauerbeleidigten und gewaltbereiten Intoleranz.