Als er im Jahr 537 seine fertiggestellte Kirche erblickte, soll Kaiser Justinian geflüstert haben: „Salomo, ich habe dich übertroffen.“

Es heißt, Sultan Mehmet II. habe am 30. Mai 1453 voll Trauer auf die Verwüstungen an und in der Hagia Sophia geblickt. Am Vortag hatten seine Truppen Konstantinopel erobert und dabei die christliche Bevölkerung größtenteils erschlagen oder versklavt. Seine Trauer hielt ihn aber nicht davon ab, die Hauptkirche des Byzantinischen Reichs zur Moschee zu erklären.

Solche gewaltsamen Umwidmungen waren in dieser Zeit nicht ungewöhnlich. Als die Spanier 1236 Cordoba von den Mauren zurückeroberten, weihten sie die prächtigste Moschee der Stadt zur Kirche um. Als Kaiser Karl V. knapp 300 Jahre später sah, was der christliche Umbau aus der ehemals muslimischen Mezquita gemacht hatte, soll er ähnlich betroffen gewesen sein wie Mehmet II. Von einer solchen wenigstens mittelalterlichen Einsicht ist bei Recep Tayyip Erdoğan nichts zu spüren. Mit dem gestrigen Freitagsgebet in der Hagia Sophia wurde der Errungenschaft der säkularen Türkei Atatürks, die aus dem Gotteshaus ein Museum für alle gemacht hatte, in einem nationalistischen Akt ein Ende bereitet. Und während viele Türken sich nun um das Image der Türkei sorgen, bereiten sich islamistische Anhänger Erdoğans bereits zum Sturm auf die Kunstwerke der ehemaligen Kathedrale vor.

Und wie reagiert Europa? Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bezeichnet den Vorgang als bedauerlich. Ähnlich scharf äußert sich der Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm: „Ich hoffe sehr, dass diese Entscheidung noch einmal überdacht wird.“ Papst Franziskus teilte seinen „Schmerz“ mit. Verurteilungen des Vorgehens des türkischen Präsidenten kamen vor allem aus den orthodoxen Staaten Griechenland und Russland.

Die Symbolik der Hagia Sophia kann kaum überschätzt werden. Sie war für neun Jahrhunderte das Herz des östlichen Christentums. In ihr wurde, so der Glaube, Holz von Noahs Arche verbaut, aus dem Tempel der Artemis, einem der sieben Weltwunder, stammt eine ihrer Säulen. Als er im Jahr 537 seine fertiggestellte Kirche erblickte, soll Kaiser Justinian geflüstert haben: „Salomo, ich habe dich übertroffen.“ Damit bezog er sich auf den legendären Tempel von Jerusalem, das Allerheiligste des Judentums. Der wurde durch die Babylonier zerstört. Den Zweiten Tempel rissen die Römer ein. Seitdem ist den Juden der Überrest der Westmauer des Tempels der heiligste Ort. Als Jordanien 1948 die Altstadt von Jerusalem besetzte, wurde der Zugang zu dieser Klagemauer zugebaut. Erst seit der Eroberung durch Israel 1967 dürfen Juden dort wieder beten. Doch als Israels Verteidigungsminister Mosche Dajan bei seinem Besuch sah, dass auf dem Tempelberg die Fahne Israels gehisst worden war, ließ er sie sofort entfernen. Die Verwaltung über den heiligsten Ort des Judentums übergab Dajan der islamischen Waqf-Stiftung, Juden dürfen dort nicht beten. Man stelle sich die Reaktion der Welt vor, wenn Israel die Al-Aqsa-Moschee oder den Felsendom auf dem Tempelberg zur Synagoge erklären würde.