Dieses Jahr möchte ich unbedingt die Tapeten wechseln. Ich will auch weg. Aber wohin?

Es ist lange her, dass ich Urlaub gemacht habe. Am Anfang meiner Selbstständigkeit konnte ich nicht mal daran denken, mich von Braunschweig zu entfernen. Das Geschäft beschäftigte mich Tag und Nacht. Im Sommer, wenn die Schulen ihre Tore schließen, und meine Freunde und Bekannten die Stadt verließen, blieb ich in der Stadt. Im Winter, wenn die Braunschweiger in Skiurlaub fuhren, blieb ich in Braunschweig. Aus dem Urlaub schickten sie Postkarten. Postkarten, auf denen sich Bilder ihrer Urlaubsorte befanden. Die Fotos, die sie geschossen hatten, zeigten sie mir, nachdem sie aus dem Urlaub zurück waren. Heute schicken sie, dank Smartphones, ihre Bilder gleich vom Strand ab, aus einem Restaurant oder von einer bekannten Sehenswürdigkeit.

Mit freundlichem Neid hoffte ich, mir im nächsten Jahr auch einen Urlaub leisten zu können. Dann vergingen Monate, neue Ferien kündigten sich an, und schon stellte ich fest, dass ich doch nicht in Urlaub fahren konnte. Manchmal habe ich mich gefragt, ob es in der Stadt eine Stelle gibt, wo man sich Geld für Urlaubsreisen holen kann. Wenn selbst ein Jugendlicher, der bei mir ein paar Groschen verdient, und mir kaum Zeit gelassen hatte, um sein Geld abzuholen, seinem Lieblingsfußballverein ins Trainingslager nach Spanien folgen konnte. „Wie hast du die Reise finanziert?“ fragte ich verwundert. „Naja, das geht schon“, antwortete er achselzuckend.

Dieses Jahr möchte ich unbedingt die Tapeten wechseln. Ich will auch weg. Aber wohin? Vielleicht nach Afrika? Ich prüfe meine Kasse. Die Entscheidung ist zu spät gefallen. Die Flüge nach Benin sind nicht nur sehr teuer geworden, es gibt auch keinen Platz mehr. Ich liebe das Meer. Wie wäre es mit Nord- oder Ostsee? Ich finde keine Ferienwohnung mehr. Auch dafür ist meine Entscheidung zu spät gefallen. Da fiel mir eine alte Bekanntschaft ein, die vor Jahren an die Nordsee gezogen ist. Vielleicht kann sie für mich etwas finden. Sie könnte schon, schrieb sie. Aber ihr neuer Partner sei sehr eifersüchtig und könne mich überhaupt nicht leiden. Deshalb riet sie mir, ihr fern zu bleiben.

Wie möchte ich eigentlich meinen Urlaub verbringen? Ich möchte nicht nur raus aus Braunschweig, ich möchte raus aus dem deutschen Raum. Ich möchte auch am liebsten die deutsche Sprache nicht hören. Ich möchte möglichst keine Nachrichten aus und über Deutschland erhalten. Es bringt gar nichts, in Urlaub zu sein und zu erfahren, dass eine höhere Steuer droht. Es bringt gar nichts in Urlaub zu sein, und zu erfahren, dass das nächste Verbot droht, wenn man zurückkommt. Solche Nachrichten möchte ich lieber erfahren, wenn ich meinen Urlaub hinter mir habe. Nicht nur der Körper muss sich erholen, sondern auch der Geist.

Wie wäre es mit Paris? Ich müsste nur die Fahrt bezahlen, ich habe genug Verwandte, die mir ihre Wohnung zur Verfügung stellen könnten. Ach, Paris geht auch nicht. Ein Cousin bekommt Besuch, der Andere zieht um, die Cousine fliegt nach Afrika, und hat ihre Wohnung schon untervermietet. Ich vergesse Paris und denke nach. Boris fällt mir ein. Seine Frau kommt aus Slowenien. Das wäre nicht schlecht. Ich versuche, Boris zu erreichen, er bleibt unerreichbar. Ich schreibe E-Mails, hinterlasse Nachrichten auf seiner Mailbox. Er meldet sich nicht. Gut, ich treffe eine letzte Entscheidung. Ich mache Urlaub ins Nichts. Genau: ins Nichts.

Ich schalte alle Verbindungen nach außen komplett ab, und verbringe meinen Urlaub zu Hause. Kein Fernseher, kein Internet, kein Telefon. Nur Bücher lesen und schlafen. Für den Vorrat an Lebensmitteln ist schon gesorgt. Es wird kein Winterschlaf, sondern ein Sommerschlaf sein.