Leiferde. Expertin Bärbel Rogoschik aus Leiferde erzählt, dass Stöche nur ihrem Nest treu sind und ein Jungstorch am Tag 2700 Regenwürmer frisst.

Von diesem Arbeitseifer kann manch einer nur träumen. Kaum war Fridolin im Februar von seiner langen Reise nach Leiferde zurückgekehrt, da fing er schon an, das Nest zu säubern und umzudekorieren. Eine, die das genau beobachtet hat, ist Bärbel Rogoschik. Sie ist die Leiterin des Nabu-Artenschutzzentrums in Leiferde. Seit 26 Jahren beschäftigt sie sich mit Störchen – auf diesem Gebiet macht der 65-Jährigen niemand etwas vor. Sie erklärt im Faktencheck, was wir schon immer über Störche wissen wollten.

1. Niedersachsen ist das storchenreichste Bundesland
Niedersachsen habe sich zum Storchenland gemausert, sagt Expertin Bärbel Rogoschik. In der Statistik werden Niedersachsen und Bremen zusammengefasst. Im vergangenen Jahr lebten hier 4180 Störche, im Jahr davor seien es 3400 Störche gewesen.

2. Störche werden normalerweise bis zu einem Jahrzehnt alt
Im Schnitt werden Störche 8 bis 10 Jahre alt. Storch Fridolin aus Leiferde ist eine Ausnahme – er ist über 20 Jahre alt. „Genau wissen wir das nicht, weil Fridolin keine Markierung trägt“, sagt Bärbel Rogoschik. Seit 17 Jahren allerdings fliege Fridolin sein Nest in Leiferde schon an. Sein Erkennungsmerkmal ist eine schwarze Feder, die eigentlich weiß sein sollte. Der älteste Storch in der Literatur sei 35 Jahre alt geworden, so Bärbel Rogoschik.

3. Störche lieben es, auf Dächern und Kirchtürmen zu sitzen
Störche nisten gern auf erhöhten Plätzen. Dafür gibt es drei Gründe: Erstens nisten sie gern an Orten, von denen aus sie ihre Futtergebiete überblicken können. Zweitens behalten Störche ihre Gefahrenquellen, wie etwa Seeadler, gern im Blick. Drittens kommt die erhöhte Position dem Flugstil der Störche entgegen.

Störche verweilen gern auf Hausdächern, um die Umgebung im Blick zu behalten.
Störche verweilen gern auf Hausdächern, um die Umgebung im Blick zu behalten. © picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte

4. Störche sind nur ihren Nestern treu – nicht dem Partner
Storch Fridolin etwa hat seit sieben Jahren eine Partnerin. Sie heißt Mai. Allerdings treffen sich die beiden in ihrem angestammten Nest in Leiferde nur zufällig. Wirklich treu sind Störche nämlich nur ihren Nestern. Sie versuchen, jedes Jahr das Nest, das Horst genannt wird, aus dem Vorjahr zu besetzen. Das funktioniert laut Bärbel Rogoschik vor allem dann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen und die Störche nahe ihrem Nest ausreichend Futter finden. Doch gerade das sei zusehends ein Problem, konstatiert die Expertin. „Die Störche finden in Deutschland immer weniger Feuchtwiesen, die unbehandelt und frei von Schadstoffen sind.“ Der Störche liebstes Nahrungsmittel seien Amphibien, Regenwürmer und Mäuse.

5. Ein Storchennest kann bis zu zwei Tonnen wiegen
Störche sind Gewohnheitstiere. Wenn die Umgebung stimmt – etwa eine gute Futtersuche gewährleistet ist und die Brut erfolgreich war – kehren Störche gern wieder in dasselbe Nest zurück. Jedes Jahr wird das Nest mit Nistmaterial aufgestockt. „Man kann Störche durchaus als penibel bezeichnen“, so Bärbel Rogoschik. Anfangs schleppten die Tiere Äste an, später werde das Nest mit Heu und Gras ausgepolstert. „Den Störchen ist es wichtig, dass die Eier und später die Jungstörche es schön kuschelig haben.“ Da ein Nest schon mal zwei Tonnen schwer werden könne, eigneten sich ausgediente Fabrikschornsteine hervorragend für den Nestbau.

6. Jungstörche fressen am Tag 60 Mäuse oder 2700 Regenwürmer
Ein erwachsener Storch benötigt am Tag 500 Gramm Futter. Das entspricht laut Bärbel Rogoschik 20 Mäusen oder 900 Regenwürmern. Ein Jungstorch benötigt jedoch die dreifache Menge und braucht dementsprechend 60 Mäuse oder 2700 Regenwürmer. Da die Störche auf Deutschlands Feuchtwiesen (sofern diese noch vorhanden sind) zu wenig Nahrung fänden, zöge es sie erschreckenderweise zunehmend auf Müllkippen. „Störche haben so gut wie keinen Geschmackssinn, daher verwechseln sie Gummibänder mit Regenwürmern“, sagt Bärbel Rogoschik. Auch verfütterten die Störche diese Gummibänder an ihren Nachwuchs. „Daher kommt es immer wieder vor, dass Knäuel von Gummibändern zu lebensbedrohlichen Situationen bei den Störchen führen. Im schlechtesten Fall müssen die Gummibänder herausoperiert werden.“

Fridolin und Mai sind ein Paar - allerdings nur, weil sie immer wieder in dasselbe Nest zurückkehren.
Fridolin und Mai sind ein Paar - allerdings nur, weil sie immer wieder in dasselbe Nest zurückkehren. © picture alliance/dpa/Nabu Leiferde | Webcam Artenschutzzentrum

7. Störche können Geschwindigkeiten einschätzen
Störche können – wie die meisten Vogelarten – Geschwindigkeiten bis zu 30 bis 40 Kilometern die Stunde einschätzen, so die Expertin. An Straßen, wo mit Störchen gerechnet werden muss, sei es daher enorm wichtig, dass Autofahrerinnen und Autofahrer nicht so schnell fahren. Das trifft besonders auf die Monate Juli und August zu, da zu diesen Zeiten viele Jungstörche unterwegs seien. Junge Störche seien unbedarft und wechselten gern mal die Straßenseite, ohne auf den Verkehr zu achten.

8. Störche haben einen Kompass im Kopf, der sie nach Afrika führt
Für Störche kommen in der Regel zwei Reiserouten infrage: entweder die Westroute über Frankreich, Spanien und die Meerenge von Gibraltar nach Westafrika oder die Ostroute, die über Osteuropa und den Nahen Osten bis Ost- oder gar bis Südafrika führt. Welche Reiseroute die Störche nehmen, sei vorprogrammiert, so Bärbel Rogoschik. Die Elbe wird als gedachte Linie zwischen den West- und Ostziehern angenommen. Die Störche, die westlich dieser Grenze geboren sind, nähmen auf dem Weg ins Winterquartier die Westroute ein. Alle, die östlich beheimatet sind, flögen ostwärts. Rund 75 Prozent aller Weißstörche gehören zu den Ostziehern. Ihr „Kompass“ sei angeboren, zusätzlich gäben die Sterne und die Sonne Orientierungshilfen. „Störche haben auch sehr gute Augen. Beim Fliegen orientieren sie sich an der Storchen-Gruppe, der sie angehören, können auf ihrem Flug nach Afrika aber auch Autobahnen, Berge und Seen wiedererkennen.“

Bärbel Rogoschik, Leiterin des Nabu-Artenschutzzentrums in Niedersachsen.
Bärbel Rogoschik, Leiterin des Nabu-Artenschutzzentrums in Niedersachsen. © BZV | Mareike Sonnenschein

9. Nur durch den Segelflug können Störche so weit fliegen
Bei gutem Wetter können Störche am Tag rund 500 Kilometer Strecke zurücklegen. Die große Fläche ihrer Flügel wirkt wie ein Segelflugzeug. Störche suchen den warmen Aufwind. Deshalb starten sie auch nicht schon frühmorgens ihren Flug, sondern erst gegen 9 Uhr, wenn die Sonne den Boden schon aufgeheizt hat. „Thermik ist das A und O“, sagt Bärbel Rogoschik.

10. Störche überwintern mittlerweile auch in Deutschland und Spanien
Auf eine beunruhigende Entwicklung macht Bärbel Rogoschik aufmerksam. „Durch den Klimawandel finden Störche in Afrika, in den ehemaligen Überwinterungsgebieten, keine optimalen Futterbedingungen mehr vor – wo früher grüne Flächen waren, kann jetzt Wüste sein.“ Deshalb fänden Störche ihre Leibspeise, etwa Heuschrecken, auch nicht mehr in Scharen in Afrika und würden zunehmend nur noch bis nach Spanien fliegen oder gleich in Deutschland bleiben. „Doch die Futtersuche in Deutschland ist im Winter schwierig. Auch in Spanien überwintern immer mehr Störche und gehen auf Müllhalden auf Nahrungssuche.“ Durch die Aufnahme von nicht artspezifischer Nahrung, Schadstoffen und Keimen sei nicht vorhersehbar, wie sich die Storchenpopulation entwickeln werde, sagt Bärbel Rogoschik.

Fridolin und Mai können über den Livestream auf www.nabuzentrum-leiferde.de verfolgt werden. Das diesjährige Storchenfest findet am Sonntag, 21. April, im Nabu-Artenschutzzentrum Leiferde statt.

Meistgeklickte Nachrichten aus der Region Braunschweig-Wolfsburg und Niedersachsen:

Keine wichtigen News mehr verpassen: