Meinersen. Die 22-jährige Jura-Studentin ist seit zweieinhalb Wochen in Javne bei Tel Aviv um ihrem in Gaza kämpfenden Verlobten nahe zu sein.

Seit zweieinhalb Wochen ist Deborah Wegner aus Meinersen in Israel, um ihrem Verlobten Barel Amar nahe zu sein. Der 25-jährige Israeli kämpft als Soldat der israelischen Armee in Gaza. Vor zwei Wochen berichtete die 22-Jährige unserer Zeitung von der Aufbruchstimmung, die in der dortigen Bevölkerung nach der Trauer um die Opfer des Hamas-Angriffs am 7. Oktober herrschte. Nun sagt sie am Telefon in Javne bei Tel Aviv: „Die Gefühlswelt hat sich um einiges gewandelt.“ Nicht nur sei Ernüchterung eingekehrt bei der Vorstellung, wie lange der Krieg dauern wird, sondern es herrsche auch permanente Angst vor weiteren Opfern unter Geiseln, Soldaten und von Raketen auf die Zivilbevölkerung.

Die Einheit von Barel Amar - er kniet in der Mitte der ersten Reihe und trägt ein Nachtsichtgerät.
Die Einheit von Barel Amar - er kniet in der Mitte der ersten Reihe und trägt ein Nachtsichtgerät. © FMN | Privat

„Das ist nicht mehr das Tel Aviv, wie ich es kennengelernt habe“, sagt die ehemalige Schülerin des Sibylla-Merian-Gymnasiums, die in Hannover Jura studiert, „die Straßen sind leer, es wird kaum noch gehupt, die Läden schließen früher als sonst.“ Die Aufbruchstimmung sei mittlerweile einer bedrückenden gewichen. „Jeder nimmt Rücksicht auf die anderen, man weiß ja nicht, was sie gerade durchmachen.“

Rakete schlug in einer Nebenstraße der Meinerserin ein

Eins gelte für alle gleichermaßen: die Angst vor den täglichen Raketenangriffen. Das „Iron-Dome“ genannte Abwehrsystem könne eben nicht alle Bomben der Hamas abfangen. „Es gibt sehr viele Angriffe, auch bei uns in Javne.“ Egal wann und wo man ist, überall könne es einen Alarm geben, bei dem man nur wenige Sekunden Zeit habe, sich in einen Schutzraum zu begeben. Kürzlich war sie gerade auf der Fahrt auf einer Autobahn. „Dann halten alle Autos an, man springt heraus und legt sich auf den Boden, bis man die Explosionen hört.“

Trauerzug in Israel

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    Neulich sei sie im Ort spazieren gegangen, habe sich beim Alarm an eine Mauer gepresst, weil sie es nicht mehr in einen Schutzraum geschafft hat. „Die Rakete ist in einer Nebenstraße in ein Wohnhaus eingeschlagen. Ich hatte danach ein Piepen in den Ohren.“ Durch solche Detonationen lebten die Israelis mittlerweile „mit einem latenten Gefühl der Angst“. Immer wieder würden auch in Javne Menschen verletzt, ein Mädchen sei durch Herzinfarkt bei einem Angriff sogar gestorben.

    Israelische Kinder werden traumatisiert

    Die Kinder würden traumatisiert - „sie bekommen Weinkrämpfe, wolle die Schutzräume nicht mehr verlassen.“ Auch der achtjährige Bruder ihres Verlobten bekomme psychologische Hilfe. Wegners künftige Schwiegereltern, bei denen sie zurzeit lebt, hätten extreme Angst um das Leben von Barel - wie sie selbst auch. „Die Unwissenheit plagt uns alle. Das geht einem sehr nah“, sagt Deborah Wegner mit zitternder Stimme und den Tränen nah.

    Die Werbe-Bildschirme an der Straße in Javne zeigen nun Gesichter von gekidnappten Menschen.
    Die Werbe-Bildschirme an der Straße in Javne zeigen nun Gesichter von gekidnappten Menschen. © FMN | Privat

    „Wir hatten vorher noch nie einen Tag ohne Kontakt.“ Nun höre sie tagelang nichts von ihrem Verlobten. „Er ist heute den sechsten Tag in Gaza. Heute morgen haben wir zum ersten Mal seitdem telefoniert“ - für 10 Minuten, als der 25-Jährige mal in einem Camp außerhalb des Gaza-Streifens war. Das letzte Mal gesehen hat Wegner ihren Liebsten vor eineinhalb Wochen, als er für 24 Stunden nach Hause fahren durfte.

    Gesichter der Hamas-Geiseln schmücken die Straßen

    Der Krieg sei im Alltag der Israelis angekommen, sagt die Meinerserin. Die Straßen seien geschmückt mit blauweißen David-Stern-Fahnen, statt Werbung sind auf Plakaten die Gesichter der Hamas-Geiseln zu sehen. „Überall prangt der Schriftzug ‚Am Israel chai‘.“ (Das Volk Israel lebt!) Sie versuche, sich abzulenken, fuhr vorgestern nach Jerusalem um an einer Paket-Packaktion für die Soldaten teilzunehmen. „Aber auch da habe ich vorher überlegt: Wo parke ich? Wo gehe ich lang? Wo bin ich nicht so leicht angreifbar? Solche Gedanken macht man sich in Deutschland gar nicht!“

    Wann will sie dorthin zurück? Muss sie nicht wieder zur Uni? „Daran habe ich noch keinen Gedanken verschwendet.“ Auch nicht daran, ein Rückflugticket zu buchen. „Ich bleibe so lange, bis hier wieder Normalität einzieht“, sagt die junge Meinerserin. Ihr Visum läuft Mitte Januar aus.

    Auf Google-Maps-Karten von Javne in Israel sind derzeit die öffentlichen Schutzräume eingezeichnet.
    Auf Google-Maps-Karten von Javne in Israel sind derzeit die öffentlichen Schutzräume eingezeichnet. © FMN | Privat