Braunschweig. Das Herzog-Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig war nicht der einzige prachtvolle Kulturbau des Jahres.

Die Klage ist der Gruß des Kaufmanns, sagt man. Aber auch Kulturleute lieben das Lamento. Alles geht den Bach runter! Alles wird kaputt gespart! Nur noch Kommerz! Wo bleibt die Kunst!? Wir hier, die Kassandras aus der Kulturredaktion, beteiligen uns mitunter auch ganz gern an dem Spielchen.

Haben uns zum Beispiel Sorgen gemacht um unser Staatstheater, weil eine tolle Tosca-Aufführung beim Publikum nicht so toll ankam, eine langweilige „Räuber“-Inszenierung nebst einem überambitionierten Weihnachtsmärchen phasenweise für schlechte Stimmung sorgte. Der Intendant freilich wusste gute Auslastungszahlen vorzulegen und schleuderte uns im Interview den Satz entgegen: „Reden Sie doch keine Krise herbei!“

Schluss jetzt also für heute, für dieses Jahr, mit dem Krisengerede. Wir schauen uns um und staunen. Was ragt da so prächtig glitzernd und sündteuer in den Hamburger Hafenhimmel? Die Elbphilharmonie. Was leistet sich Dresden für satte 100 Millionen Euro? Ein komplett zum Theater umgebautes Heizkraftwerk für zwei Traditionsbühnen der Stadt. Was feiert in Braunschweig Neueröffnung im Stil eines Weltchampions nach 33,6 Millionen Euro teurem Totalumbau? Das Herzog-Anton-Ulrich-Museum. Man könnte sehr frei nach Peter Fox singen: Hallo Kultur, du kannst so klasse sein!

Wir fragen uns: Was treibt verantwortungsvolle Politiker in Ländern und Städten dazu, derart klotzig in mehr oder minder elitäre Kulturbauten zu investieren? Und denken uns: weil es trotz aller berechtigten Debatten (vor allem im Fall der Elbphilharmonie, deren Kosten skandalös aus dem Ruder liefen) Investitionen sind, die sich auf lange Sicht auszahlen werden. Solche Bauten sind, im übertragenen Sinne, allesamt Kraftwerke.

In Braunschweig erzählten uns die Kuratoren, was passierte, als sich vor den ersten Besuchern die Türen zu den Sälen mit den Kunstschätzen öffneten. Überwältigung. Ungläubiges Staunen. So etwas! Hier! Bei uns!

Freilich ist der Braunschweiger als solcher nicht ganz frei von einer gewissen Grundskepsis, was die Wertigkeit des eigenen Gemeinwesens angeht. Da reicht es nicht, dass die Heimatzeitung die Neueröffnung in einer achtseitigen Beilage preist. Der Stolz, das Bewusstsein für das, was da passiert ist, kommt erst so richtig auf, wenn es andere sagen. Die aus den großen Städten. Die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ zum Beispiel. Deren Artikel steigt gleich hammermäßig ein: „Als Louvre des Nordens preisen Hamburgs Lokalautisten gern ihre wackere Kunsthalle. Doch wenn man diesen verwegenen Vergleich überhaupt anstellen will, dann bietet sich dafür im deutschen Norden eigentlich nur ein Haus an: das Herzog-Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig.“

Das Herzog-Anton-Ulrich-Museum wird fürs Publikum geöffnet

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Die Frankfurter Allgemeine Zeitung titelte geradezu märchenhaft: „Von einem, der auszog, das Staunen zu lernen“.

Das Blatt resümiert: „Die glücklichste Veränderung zeigt sich in der Gemäldegalerie, dem Herzstück des Museums, die nun in ganz neuem Glanz erstrahlt. Die historische Innenarchitektur ist zurückgebaut und die Zwischenwände sind entfernt, wodurch die Ausstellungsräume viel großzügiger und klarer wirken. Mit harmonischen Wandfarben in hellen grünen und blauen Tönen sowie einem kräftigeren Rot ist eine einladende Atmosphäre entstanden.“ Zu begrüßen sei auch, dass die insgesamt 315 Gemälde nach einem sinnvollen Konzept chronologisch und thematisch gehängt seien. Der Artikel schließt mit dem Appell: „Auf nach Braunschweig!“

Auf ins Museum!, möchte man allen zurufen, die ja nun schon da sind in Braunschweig und der Region. Allein das neue Führungskonzept mit modernster audiovisueller Technik und einer Überfülle sich in immer mehr Details verästelnder und vernetzender Informationsstränge sollte dafür sorgen, dass ein Besuch fast automatisch den nächsten nach sich zieht, weil man all das Schauens- und Wissenswerte bei einem Mal (bei zehn Malen) noch längst nicht fassen kann. Von entscheidender Bedeutung, das ist der Museumsleitung natürlich klar, wird es jetzt sein, die Attraktivität des Hauses nach der ersten Neugier-Welle mit attraktiven Angeboten wach zu halten.

Auf jeden Fall wurde hier ein museales Mauerblümchen in einen topmodernen Magneten mit international enormer Anziehungskraft verwandelt. Und vergessen wir Wolfsburg nicht. Hier hat in diesem Jahr der neue Direktor Ralf Beil seine Akzente gesetzt. Ausstellungen wie „Wolfsburg Unlimited“ oder zur Zeit die Show zur britischen Pop-Art zeigen ein Museumsverständnis, das entschieden über die oft als sperrig empfundene zeitgenössische Kunst hinausgreift in Bereiche wie Film, Fotografie, Musik, Design. Was ließe sich da bei geschicktem Marketing an Magnetismus zwischen der alten und der neuen Kunst, zwischen Braunschweig und Wolfsburg, erzeugen!

Klar ist, auch wenn wir Kassandra kurz schlafen gelegt haben: Natürlich leiden Theater und Museen an vielen Orten Not. Zukunftsweisend hingegen sind in postindustriellen, eventlustigen Zeiten strahlende Bekenntnisse zur Kultur.