Braunschweig. Erziehung, Betreuung, Pflege: Beim Aktionstag mit Demo ging es um die ungleiche Verteilung von Sorgearbeit – und um mehr Wertschätzung.

Um mehr Wertschätzung für Sorgearbeit ging es am Donnerstag bei einer Kundgebung auf dem Schlossplatz. Anlass war der „Equal Care Day“, der alle vier Jahre stattfindet – immer in Schaltjahren. „Equal Care“ meint die faire und gleichwertige Verteilung und Wahrnehmung von Sorgearbeit jeglicher Art: von der Kinderbetreuung über die Haushaltsarbeit bis zur Altenpflege, egal ob professionell oder privat, bezahlt oder unbezahlt, stationär oder ambulant.

Zu dem Aktionstag unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Thorsten Kornblum hatte die Braunschweiger Gleichstellungsbeauftragte Marion Lenz aufgerufen – gemeinsam mit der Frauenberatungsstelle, Verdi und DGB. Der Tag stand unter dem Motto „Kümmern ist politisch“.

Braunschweiger Bürgermeisterin: Familien sind der größte Pflegebetrieb

Bürgermeisterin Cristina Antonelli-Ngameni sagte: „In fast allen sozialen, pädagogischen und erzieherischen Bereichen fehlen Fachkräfte. Die Familien müssen das auffangen und geraten dadurch immer mehr an ihre Grenzen. Die Menschen brauchen Unterstützung.“ Insbesondere Frauen seien davon betroffen, weil sie nach wie vor einen Großteil der Sorgearbeit stemmten.

Sie wies beispielhaft darauf hin, dass Pflege zu 80 Prozent von Frauen übernommen wird. Familien seien der größte Pflegebetrieb überhaupt. DGB-Gewerkschaftssekretärin Andrea Hotopp (DGB) nannte eine weitere Zahl: Schätzungen zufolge erledigten Frauen täglich rund 1,5 Stunden mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer.

Bürgermeisterin Cristina Antonelli-Ngameni sprach bei der Demo auf dem Braunschweiger Schlossplatz.
Bürgermeisterin Cristina Antonelli-Ngameni sprach bei der Demo auf dem Braunschweiger Schlossplatz. © FMN | Bernward Comes

Aus Sicht von Bürgermeisterin Antonelli-Ngameni ist daher ein Umdenken nötig: „Bis zu einer gleichberechtigten Sorgearbeit liegt noch ein weiter Weg vor uns. Aber diese Arbeit ist die Basis der Gesellschaft!“

Braunschweigs Gleichstellungsbeauftragte: Wer definiert eigentlich, was Arbeit ist?

Auch die Gleichstellungsbeauftragte Marion Lenz schilderte, dass all die nötige Sorgearbeit teilweise bis zur Erschöpfung erledigt werde, still und leise. „Die Gesellschaft rechnet damit, dass das geschieht, aber es wird nicht wertgeschätzt.“ Und sie fragte: „Wer definiert in unserer Gesellschaft eigentlich, was Arbeit ist und was Wertschöpfung ist?“ Lenz nannte es eine Unverschämtheit, dass die Industrie mitunter für sich in Anspruch nehme, Deutschlands Wertschöpfung sicherzustellen. Sie betonte: Kinder zu erziehen und kranke sowie alte Menschen zu pflegen – darauf komme es an. „Was wir leisten, ist die Grundlage unserer Gesellschaft! Wir wollen, dass die Politik hier einen Handlungsbedarf sieht“, so Lenz.

Sie machte darauf aufmerksam, dass ein Zuviel an Sorgearbeit eine immense psychologische Belastung gerade für die Frauen sei. Ein Punkt, den auch Ina Lüsse ansprach – Freiberuflerin, vierfache Mutter, pflegende Angehörige. „Es gibt ausreichend Gründe, sich wertlos und erschöpft zu fühlen“, sagte sie auf der Bühne. „Unsere Arbeit ist unsichtbar – auf dem Kontoauszug, auf dem Rentenbescheid, auf dem Lebenslauf. Dabei ist unbezahlte Sorgearbeit der größte Wirtschaftsfaktor in Deutschland.“

Marion Lenz, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, fragte: „Wer definiert in unserer Gesellschaft eigentlich, was Arbeit ist und was Wertschöpfung ist?“ 
Marion Lenz, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, fragte: „Wer definiert in unserer Gesellschaft eigentlich, was Arbeit ist und was Wertschöpfung ist?“  © FMN | Bernward Comes

Es gehe um Sichtbarkeit, um soziale Absicherung, um Einkommen, so Ina Lüsse. Und um Wertschätzung. Von der Gesellschaft werde erwartet, dass Mütter alles im Blick hätten, alles bestens managen könnten. „In einem Unternehmen nennt man so was Führungskraft.“ Im Familienkontext hingegen heiße es, sie ist ja nur zu Hause, sie arbeitet ja gar nicht. „Das ist unfair. Es ist doch kein lästiges Übel, Windeln zu wechseln, Kinder zu erziehen und pflegebedürftige Angehörige zu versorgen. Und es muss möglich sein, sich dabei auch noch um sich selbst kümmern zu können.“

Sozialverband Braunschweig fordert Freistellung von Vätern zur Geburt eines Kindes

Margarete Wille von der IG Bau, Agrar, Umwelt brachte einen weiteren Aspekt ein und machte sich für Reinigungskräfte stark, überwiegend Frauen: „Tag für Tag sorgen sie dafür, dass Arbeitsräume sauber und hygienisch sind. Aber viel zu oft bleibt das unbeachtet.“

Antje Pohle (Verdi), Krankenschwester am Städtischen Klinikum, thematisierte die Pflege: Trotz vieler motivierender Facetten des Berufes seien die Arbeitsbedingungen angesichts der Verdichtung inzwischen so, dass sie auch krankmachen könnten. Sie forderte bessere Personalschlüssel.

Auch Reiner Knoll von Sozialverband Deutschland in Braunschweig erhob Forderungen: Erstens eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Pflege, unter anderem durch Ganztagsbetreuung für Kinder. Zweitens eine mehrwöchige Vaterschaftsfreistellung rund um die Geburt eines Kindes. Drittens Entgeltersatzleistungen für Pflegende. Und viertens mehr Unterstützung für Alleinerziehende. Sein Appell: „Kinder großzuziehen und kranke oder ältere Menschen zu pflegen, ist wertvoll für unsere Gesellschaft. Wir brauchen dafür mehr Wertschätzung!“