Braunschweig. Braunschweigs Feuerwehrchef im Interview: „Wir sind unterwegs, um anderen zu helfen!“ - Doch wie wird es in der letzte Nacht des Jahres?

Nach der Lage ist vor der Lage: Nach dem Hochwasser (das auch noch nicht vorbei ist) rüstet sich Braunschweigs Feuerwehr für die Silvesternacht.

Im Hintergrund der Überlegungen und Vorbereitungen stehen auch Zwischenfälle und Angriffe auf Einsatz- und Rettungskräfte, wie sie beispielsweise in Berlin und anderen Städten im vergangenen Jahr für Schlagzeilen sorgten. Und eine Umfrage des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV) und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) ergab jetzt zudem, dass jede zweite Einsatzkraft in den vergangenen zwei Jahren Aggressionen gegen sich im Einsatz erlebt hat.

Mittendrin: Rettungskräfte in der Silvesternacht auf dem Bohlweg (Symbolfoto). 
Mittendrin: Rettungskräfte in der Silvesternacht auf dem Bohlweg (Symbolfoto).  © Henning Noske | Henning Noske

Es ist laut DFV-Präsident Karl-Heinz Banse die erste bundesweite Befragung, die gezielt Gewalterfahrungen von ehrenamtlichen Einsatzkräften in den Blick nimmt. 6500 Feuerwehrleute haben sich aktuell daran beteiligt. Nicht weniger als 3275 gaben demnach an, angegangen worden zu sein – am häufigsten in Form von Beleidigungen und Beschimpfungen.

Häufig seien auch Einschüchterungsversuche – zum Beispiel die Androhung, mit dem Auto angefahren zu werden. Tätliche Angriffe – zum Beispiel mit Fäusten, Feuerwerk oder einer Waffe – seien dagegen deutlich seltener.

Es gilt mithin, Einsatzkräften den Rücken zu stärken. DGUV-Hauptgeschäftsführer Stefan Hussy betont denn auch in einer Mitteilung im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Umfrage: „Wer sich für andere einsetzt, muss sich des Rückhalts der Gemeinschaft sicher sein.“ Das bedeute auch: „Wer Gewalt gegenüber Einsatzkräften ausübt, muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Jede Attacke auf sie ist von öffentlichem Interesse.“

Zitat Feuerwehrchef Malchau: „In Braunschweig haben wir eine vernünftige Stadtgesellschaft. Dennoch bereiten wir unsere Kräfte mit Deeskalationstraining auf alle Eventualitäten vor“

Ins gleiche Horn stößt auch der Leiter der Feuerwehr Braunschweig, Torge Malchau. Der Feuerwehrchef lobt im Interview die Braunschweiger Stadtgesellschaft, spricht jedoch auch darüber, wie wichtig es ist, den Einsatzkräften, egal, ob ehrenamtlich oder im Hauptberuf, Achtung und Aufmerksamkeit entgegenzubringen.

Torge Malchau, Leiter der Feuerwehr Braunschweig, im Interview. 
Torge Malchau, Leiter der Feuerwehr Braunschweig, im Interview.  © Privat | Cornelia Steiner/Screenshot

Wie schätzen Sie die Lage ein?

Die Silvesternacht ist stets eine der oder die einsatzreichste Nacht des Jahres. Vergangene Silvesternacht gab es in vielen Städten Krawalle und Angriffe auf Einsatzkräfte.

Zum Glück gab es das in Braunschweig nicht. Einer unserer Gruppenführer aus der Silvesternacht 2022 berichtete mir stattdessen, dass die Menschen Platz machten, zur Seite gingen und sogar geklatscht haben. Das ist es, was notwendig ist: Respekt und Anerkennung für unsere Einsatzkräfte.

Egal, ob im Haupt- oder Nebenamt, sie würden ja liebend gern ebenfalls mit ihren Familien oder Freunden feiern, aber dieser Einsatz ist eben Teil ihres Berufes und ihrer Aufgabe. Wir sind unterwegs, um anderen zu helfen! Und deshalb wird es – abgestimmt im gesamten Land Niedersachsen – eine Null-Toleranz-Strategie in Sachen Gewalt gegen Einsatzkräfte geben. Wir werden jeden Angriff zur Anzeige bringen.

Sind solche Ereignisse wie etwa in Berlin in Braunschweig denn zu befürchten?

Zunächst einmal kann man das im Vorfeld immer schwer einschätzen. Ich bin jedoch sicher, dass wir in Braunschweig eine überwiegend sehr vernünftige Stadtgesellschaft haben, das haben auch die vergangenen Jahre ganz überwiegend gezeigt. Allerdings, ja, auch wir erleben im Alltag immer mal wieder Gewalt gegen Einsatzkräfte, meistens verbal, in Einzelfällen auch körperlich. Doch zum Glück ist es hier in Braunschweig nicht so schlimm wie in anderen Städten. Dennoch bereiten wir unsere Kräfte mit Deeskalationstraining und ähnlichem auf alle Eventualitäten vor. Vor allem muss man immer das Eskalationspotenzial berücksichtigen, wenn viel Alkohol im Spiel ist.

Was heißt Null Toleranz?

Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass es in mehreren Städten gerade in der Silvesternacht zu Übergriffen auf Einsatzkräfte kam. Wir haben uns jetzt im Land in Abstimmung mit dem Innenministerium und dem Landesbranddirektor darauf verständigt, dass alle Einsatzkräfte aufgefordert sind, mögliche Angriffe auch konsequent zur Anzeige zu bringen. Es geht darum zu zeigen, dass wir das nicht mit uns machen lassen.

Der Faktor Alkohol ist bereits angesprochen. Hinzu kommt, dass in dieser Nacht sehr viele Menschen mit Sprengkörpern hantieren.

Das ist in der Tat eine brisante Konstellation. Die Erfahrung zeigt, dass die Kombination aus Alkoholgenuss mit seiner enthemmenden Wirkung und der Anwendung von Sprengstoff, man muss das so benennen, regelmäßig zu Verletzungen führt. Nicht nur bei denjenigen, die damit hantieren, sondern auch bei Unbeteiligten. Solche Vorfälle hatten wir in der Vergangenheit leider auch bereits auf dem Schlossplatz in Braunschweig.

Da möchte man dann allerdings schon fragen, auch angesichts der Szenen des vergangenen Jahres, warum es auf dem Schlossplatz immer noch zu dieser wilden Schießerei kommen kann. Reine Glückssache, wenn da nichts passiert.

Die enge Menschenmenge auf dem Braunschweiger Schlossplatz um Mitternacht ist sicherlich ein Risiko. Jeder Einzelne kann entscheiden, ob er sich diesem Risiko aussetzt. Gehe ich um Mitternacht auf den Schlossplatz – oder suche ich mir doch Orte, an denen es weniger gefährlich ist?

Reichen solche Appelle eigentlich aus? Es gibt plausible Forderungen, die gefährliche Situation auf dem Schlossplatz zu unterbinden.

Es ist nicht meine Entscheidung. Ja, es besteht immer ein Risiko, ich kann jedoch auch verstehen, dass es eine Tradition ist und eben auch für große Teile der Bevölkerung dazugehört, zum Jahreswechsel ein Feuerwerk selbst abzufeuern und zu erleben. Wie gesagt, jeder kann es selbst entscheiden und sollte verantwortungsbewusst mit dieser Freiheit umgehen.

Zu allem Überfluss gibt es dann ja auch noch ein stark erhöhtes Brandgeschehen in dieser Nacht.

Tatsächlich sind die ersten Stunden des Jahres regelmäßig die einsatzreichsten Stunden, die wir als Feuerwehr haben. In jeder Silvesternacht verzeichnen wir zwischen Mitternacht und 6 Uhr eine zweistellige Anzahl von Brandeinsätzen, die durch fehlgeleitete Feuerwerkskörper entstehen, ganz gleich, ob da ein Dachstuhl oder ein Papiercontainer in Brand gesetzt wird.

Zitat Feuerwehrchef Malchau: „Alle Einsatzkräfte sind aufgefordert, Angriffe auch konsequent zur Anzeige zu bringen. Es geht darum zu zeigen, dass wir das nicht mit uns machen lassen“

Das ist schon ein hohes Einsatzaufkommen, hinzu kommen die Einsätze der Kräfte in den Rettungsdiensten, wenn so viele Feiernde mit entsprechendem Alkoholumsatz samt Feuerwerk zusammenkommen. Darauf sind wir im Rahmen eines Sondereinsatzkonzeptes vorbereitet.

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Und ich möchte persönlich an unsere Bürgerinnen und Bürger appellieren: Lassen Sie uns gemeinsam an die im Vergleich zu anderen Städten positiven Erfahrungen in unserer Stadtgesellschaft anknüpfen, machen Sie bitte als Feiernde unseren Einsatzkräften, ohne die es nicht geht, die Arbeit so einfach wie möglich.

Und wie stößt man eigentlich bei der Feuerwehr auf das neue Jahr an?

Traditionell stoßen wir auf dem Hof der Feuerwache um Mitternacht mit alkoholfreiem Sekt an. Tja, und dann weiß man eben genau: Gleich geht’s los.

Wie lange dauert es, bis es losgeht?

Erfahrungsgemäß keine fünf Minuten.