Braunschweig. 38-Jähriger kollabierte am Neujahrsmorgen in einer Zelle. Staatsanwaltschaft schließt Fremdverschulden aus.

Fast ein Jahr nach dem rätselhaften Tod eines 38 Jahre alten Mannes aus Guinea im Braunschweiger Polizeigewahrsam steht die Todesursache fest: Laut Staatsanwaltschaft ist er an einem Herz-Kreislauf-Stillstand gestorben. Nach ärztlicher Aussage, so Oberstaatsanwalt Hans-Christian Wolters, habe höchstwahrscheinlich seine große Erregung in Verbindung mit Alkohol- und Kokainkonsum zum Herzversagen geführt. „Gewalteinwirkung konnte als Todesursache zweifelsfrei ausgeschlossen werden.“

Nach dem Tod des zweifachen Vaters, der nach seiner Festnahme am Neujahrsmorgen leblos in einer Zelle des Polizeigewahrsams gefunden worden war, hatte es Spekulationen über rassistisch motivierte Polizeigewalt gegeben. Während einer Kundgebung auf dem Braunschweiger Schlossplatz hatte auch der Verein für die Entwicklung afrikanischer Kultur die vollständige Aufklärung der Todesumstände gefordert.

Hirnödem Folge von Herz-Kreislauf-Stillstand

In einem Todesermittlungsverfahren hatte die Staatsanwaltschaft nach einer Obduktion schon bald körperliche Gewalt, die etwa zu inneren Verletzungen oder Brüchen geführt hätte, als Ursache ausgeschlossen. Ein massives Hirnödem und ein damit verbundener Hirnschaden hatten laut Wolters aber noch Fragen offen gelassen. Die Staatsanwaltschaft beauftragte daraufhin weitere neuropathologische Untersuchungen, deren Ergebnisse inzwischen vorliegen: Danach soll das Hirnödem Folge des Herzstillstandes und nicht etwa äußerer Gewalt gewesen sein.

Überwachungsvideos aus Lokal ausgewertet

Festgenommen worden war der 38-Jährige am Neujahrsmorgen nach einer Schlägerei in der Gaststätte „Charlie Chaplin“ an der Friedrich-Wilhelm-Straße. Erst nach einer Videoauswertung der Überwachungskameras des Lokals hätten die tatsächlichen Abläufe vom 1. Januar 2023 rekonstruiert werden können, so Wolters.

Danach soll der 38-Jährige aggressiv aufgetreten sein und Streit mit einem anderen Gast angefangen haben, der sich zu einer Schlägerei zwischen mehreren Beteiligten auswuchs. Gäste, die zunächst schlichtend eingreifen wollten, seien in die Schlägerei verwickelt worden.

20-Jähriger wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt

In dieser Situation soll ein ursprünglich unbeteiligter 20-Jähriger etwa drei Sekunden lang gezielt Pfefferspray in Richtung des 38-Jährigen gesprüht haben. Als der daraufhin zur Theke flüchtete, soll ihm der Heranwachsende gefolgt sein und ihm so stark gegen die Hüfte getreten haben, dass er Blutergüsse erlitt. Gegen den 20-Jährigen hat die Staatsanwaltschaft vor dem Jugendrichter jetzt Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung erhoben.

Die Polizei, die wenige Minuten später eingetroffen sei, habe nur von einem Pfefferspray-Einsatz, aber nichts über mögliche Täter gewusst, schildert Behördensprecher Wolters weiter, was sich laut Anklage und Videoauswertung in dem Lokal abgespielt haben soll. Ein Gast, selbst Opfer der Reizsprayattacke, habe den 38-Jährigen vor der Polizei als denjenigen benannt, der „Stress gemacht“ habe. Weil er angeblich auch das Pfefferspray versprüht haben sollte, sei der 38-Jährige wegen Verdachts der gefährlichen Körperverletzung in Gewahrsam genommen worden.

Gegen seine Festnahme soll er sich gewehrt und die Beamten beleidigt und bespuckt haben. Wegen seiner Aggressivität sei er nach Ankunft am Zentralen Polizeigewahrsam an der Friedrich-Voigtländer-Straße direkt in eine Gewahrsamszelle getragen und wie vorgeschrieben körperlich durchsucht worden.

Beim Verlassen der Zelle sollen Polizeibeamte vom 38-Jährigen mit geballten Fäusten attackiert worden sein – woraufhin ein Beamter ihn an die Wand gedrückt habe, um Schläge abzuwehren. Der 38-Jährige habe ihn allerdings weggeschubst, so dass er hingefallen sei.

38-Jährigen auf dem Boden der Zelle fixiert

Wie es weiter heißt, haben mehrere Beamte den Festgenommenen bäuchlings auf dem Boden fixiert. Seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Weil er sich beruhigt habe, sei er allein gelassen worden. Eine Ärztin habe ein bis zwei Minuten später, gegen 10.48 Uhr, durch den Zellenspion geschaut und beobachtet, dass der Mann seinen Kopf gedreht habe.

Um eine richterlich angeordnete Blutprobe zu entnehmen, hätten mehrere Beamte und die Ärztin gegen 11 Uhr die Zelle betreten, so Wolters zum Ermittlungsergebnis. Sie fanden den Mann leblos. Er habe keine Vitalfunktion mehr aufgewiesen. Zwar sei eine sofortige Reanimation nach 30 Sekunden erfolgreich gewesen. Am 3. Januar wurde auf der Intensivstation im Braunschweiger Klinikums jedoch der Hirntod festgestellt, ohne dass er noch einmal aus dem Koma erwacht wäre.

Laut Obduktionsbericht. so Hans-Christian Wolters, habe er 1,55 Promille Alkohol im Blut gehabt. Außerdem seien Kokain und Kokainabbauprodukte nachgewiesen worden. „Der letzte Kokainkonsum dürfte maximal anderthalb Stunden vor dem Geschehen erfolgt sein.“

Staatsanwaltschaft: Ingewahrsamnahme war rechtmäßig

Das Einschreiten der Polizeibeamten im Lokal sei korrekt gewesen, betont Wolters. „Der spätere Geschädigte war keinesfalls nur Opfer, sondern eben auch Täter, wenn auch nicht in dem Umfang, der zunächst angesichts der unzutreffenden Zeugenaussagen im Raum stand.“ Die Ingewahrsamnahme wäre auch ohne den Verdacht, dass er Reizgases versprüht habe, rechtmäßig gewesen, weil er selbst die Auseinandersetzung in dem Lokal ausgelöst und jedenfalls einer Körperverletzung verdächtig gewesen sei.

„Die sich letztlich als teilweise unzutreffend herausgestellten Zeugenaussagen dürften auf das unübersichtliche Geschehen und die Alkoholisierung aller Beteiligten zurückzuführen sein. Es haben minutenlang mehrere Menschen auf kleinem Raum aufeinander eingewirkt. Die Opfer der Reizgasattacke waren an dem Schlägereigeschehen nicht beteiligt und dürften daher auch in ihrer Aufmerksamkeit eingeschränkt gewesen sein.“