Braunschweig. Mutige Bilder vom Leid der Frauen im Iran: In einer Ausstellung begehren junge Mädchen auf. Welche Symbolik im Iran jeder versteht.

Der Mona Lisa sind die Haare abhanden gekommen. Ein irritierender Anblick. Kahlrasiert schaut die Schöne in die Welt. In eine Welt, die Frauen an manchen Orten verbietet, ihre Haare, ihre Schönheit, ihre Reize öffentlich zu zeigen. So schreiben im Iran Regime und Religion den Frauen vor, dass sie ihre Haare unter einem Schleier zu verbergen haben. Wer gegen das Hidschab-Gesetz verstößt, riskiert sein Leben.

Die glatzköpfige Mona Lisa wurde von einer jungen Iranerin gemalt. Ihren vollständigen Namen dürfen wir nicht kennen. Zu gefährlich für sie. Denn das Bild ist ein unverhohlener Ausdruck des Protests, ein Zeichen des Aufbegehrens, ein Symbold des Widerstandes. Das Bild ist Teil einer Ausstellung, die bis zum 1. November im Braunschweiger Dom zu sehen ist. Bilder und Zeichnungen, die unter die Haut gehen. Gemalt 2022 von iranischen Schülerinnen zwischen 5 und 14 Jahren im heißen Herbst der Revolution.

Die Frauen im Iran träumen von Freiheit

„Was malen Kinder und Jugendliche in diesem Alter? Sie malen ihre Träume!“, meint Dompredigerin Cornelia Götz. „Die Mädchen und Frauen, die diese Bilder gemalt haben, träumen von Selbstbestimmung und Freiheit. Sie beweisen damit den Mut, von etwas zu träumen, das für uns ganz selbstverständlich ist.“ In ihren Bildern brächten sie eine enorme Tiefe und Weitsicht zum Ausdruck.

Spätestens seit dem Tod der 16-jährigen Jina Mahsa Amini weiß die Welt, dass ein Verstoß gegen das staatliche Hidschab-Gesetz tödlich enden kann. Das Mädchen war von der iranischen Sittenpolizei festgenommen, geschlagen und dabei wahrscheinlich tödlich verletzt worden, obwohl nur ein paar Strähnen unter dem Kopftuch hervorgelugt hatten. Die Nachricht vom Tod Jinas hatte schwere Proteste gegen das Regime im Iran ausgelöst. Protest, der anhält.

Und das Aufbegehren bleibt nicht unbemerkt: Am 6. Oktober wurde bekannt gegeben, dass die inhaftierte iranische Frauenrechtsaktivistin Narges Mohammadi mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird. 20 Jahre nach der Auszeichnung ihrer Landsfrau Schirin Ebadi bekommt sie den prestigeträchtigen Preis „für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und die Förderung der Menschenrechte und der Freiheit für alle“.

Ein iranische Frau mit zerschossenem Auge, verdeckt mit einer grünen Pflanze. Es heißt, dass im Iran im Herbst 2022 etwa 1100 Menschen das Augenlicht durch Schrotkugeln verloren – abgefeuert von Regierungskräften.  
Ein iranische Frau mit zerschossenem Auge, verdeckt mit einer grünen Pflanze. Es heißt, dass im Iran im Herbst 2022 etwa 1100 Menschen das Augenlicht durch Schrotkugeln verloren – abgefeuert von Regierungskräften.   © FMN | ANN CLAIRE RICHTER

Die Ausstellung hat Dompredigerin Götz von ihrer Kollegin Ilka Sobottke aus Mannheim übernommen und an den Dom gebracht. „Die Bilder erzählen von der Sehnsucht nach Freiheit, nach einem normalen Leben, aber sie erzählen auch vom Widerstand und von Erfahrungen der Gewalt, vom Schmerz und der Trauer, Wut und ungebrochenem Widerstandswillen“, so die Dompredigerin. Sie schaue voller Demut und Bewunderung auf die Frauen im Iran, sagt sie.

Die Protestbewegung habe alle Schichten im Land ergriffen. Auch viele Männer stellten sich an die Seite der Mädchen und Frauen. „Die Mullahs aber schlagen hart zurück, sie verhaften und ermorden selbst Kinder und vergiften Mädchen an ihren Schulen.“

Die Mona Lisa mit kahlem Kopf. Das Bild trägt den Titel „Ohne Freiheit will ich meine Haare nicht“. 
Die Mona Lisa mit kahlem Kopf. Das Bild trägt den Titel „Ohne Freiheit will ich meine Haare nicht“.  © FMN | ANN CLAIRE RICHTER

Die Revolution hat inzwischen ihre eigene Sprache und Symbolik gefunden. Codes, die wiederkehren und von allen im Iran verstanden werden. Das Abschneiden der Haare ist dort ein altes Zeichen der Trauer, aber auch ein Akt der Rebellion. Der Regenbogen steht für Queerness, Diversität und Offenheit.

Und immer wieder Augen! Versehrte Augen, blutende Augen. „Sicherheitskräfte schießen zur Abschreckung gezielt mit Gummigeschossen auf die Augen der Frauen.“ Die Getroffenen aber hätten den Spieß umgedreht, ließen sich nicht demütigen und Angst einjagen. Vielmehr zeigten sie sich zum Zeichen ihrer Unerschrockenheit als Piratinnen mit Augenklappe.

Dieses Bild trägt den Titel „Die Schönheit erblüht im Käfig“. Gemalt von einer jungen Iranerin. 
Dieses Bild trägt den Titel „Die Schönheit erblüht im Käfig“. Gemalt von einer jungen Iranerin.  © FMN | ANN CLAIRE RICHTER

Die Dompredigerin verweist auf ein Zitat von Reyhaneh Jabbari, einer iranischen Studentin, die trotz internationaler Kritik im Oktober 2014 nach sieben Jahren Gefängnisaufenthalt wegen Mordes hingerichtet wurde. Die Weltöffentlichkeit empörte sich, da die junge Frau offenbar ihren Vergewaltiger getötet hatte – aus Notwehr. Von ihrem Fall handeln der Dokumentarfilm „Sieben Winter in Teheran“ und das von ihrer Mutter, Schole Pakrawan, geschriebene Sachbuch „Wie man ein Schmetterling wird“. Reyhaneh Jabbari sagte: „Ich wünsche mir den Tag, an dem kein Mädchen mehr vergewaltigt wird. Ich wünsche mir den Tag, an dem niemand mehr seine Machtposition ausnutzt. Ich wünsche mir den Tag, an dem die Rechte der Schwachen nicht verletzt werden, nur weil sie schwach sind. Ich hoffe, dass all diese Wünsche eines Tages in Erfüllung gehen.“

Politische Abendandacht im Braunschweiger Dom

Zur Ausstellung und dem Thema „Frauen im Iran“ gestalten Dompredigerin Götz und Oberkirchenrätin Sabine Dreßler am Dienstag, 10. Oktober, im Dom eine Politische Abendandacht. Titel: „Trotz der Dunkelheit leuchten wir“. Beginn 19 Uhr.