Braunschweig. Jetzt steht sogar der Vorwurf von Gewalt und Bedrohung im Raum. Was ist da nun wieder los?

Im Stadtbezirksrat 112 Wabe-Schunter-Beberbach geht’s mal wieder hoch her. Ein Vorgang sorgt nicht nur dort für Aufsehen, sondern mittlerweile auch im Rat, der sich in seiner nächsten Sitzung damit beschäftigen soll. Hat im Stadtbezirksrat 112, so muss man fragen, ein Ortspolitiker dem anderen Prügel angedroht? Gab es „Gewalt und Drohungen“, wie daraus in einer zunehmend erregten Diskussion bereits gefolgert wird? Oder ist alles nur eine Provokation? Oder ein Missverständnis?

Wie so oft übertönt mittlerweile der Lärm im Getümmel hinterher das tatsächliche Geschehen. Juristische Klageversuche, eidesstattliche Versicherungen, Veröffentlichungen in Online-Medien, Pressemitteilungen und Erklärungen türmen sich bereits zu einem unübersichtlichen Konstrukt, in dem der für Zwist und Zoff ohnehin schon bekannte Stadtbezirksrat 112 freilich wieder mal gar nicht gut aussieht.

Es lohnt sich, das offizielle Sitzungsprotokoll Wort für Wort durchzulesen

Alles begann, als die ehrenamtlichen Ortspolitiker in Wabe-Schunter-Beberbach am 7. Juni unter Tagesordnungspunkt „Anträge“ über einen CDU-Antrag berieten: „Beprobung des Bodens um den Flughafen auf Bleibelastung“. Gleich werden wir es im offiziellen Sitzungsprotokoll, das der Redaktion vorliegt, nachlesen.

Doch zunächst, zum besseren Verständnis, die Protagonisten des nun folgenden Schauspiels in der Reihenfolge ihres Auftretens:

- Michael Berger (CDU) begründet den Antrag

- Bernd Sternkiker (Bündnis 90/Grüne), spricht dagegen, fällt auch schon mal ins Wort

- Sonja Lerche (SPD), Bezirksbürgermeisterin, leitet die Sitzung

- Jürgen Wendt (CDU) mag nicht, wenn Parteifreund Berger ständig unterbrochen wird

Und also lesen wir jetzt im offiziellen Protokoll der Sitzung, das der Redaktion vorliegt, Folgendes:

„Herr Berger erläutert den Antrag. Herr Sternkiker äußert Kritik am Antrag, den er in der Sache für nicht richtig hält. Er hält die Luftverschmutzung mit Blei für das viel größere Problem, und zu diesen Verbrauchsmengen hat er auch eine Anfrage gestellt. Daher hält er den Antrag für falsch. Herr Berger konkretisiert anschließend nochmals detailliert den Hintergrund. Frau Bezirksbürgermeisterin Lerche ruft den Stadtbezirksrat zur Ordnung. Grund dafür ist die Aufgeregtheit nach der Äußerung des Stadtbezirksratsmitgliedes Bernd Sternkiker („Dann haue ich dir eine“), die er nach mehreren Hinweisen von Frau Lerche, das Bezirksratsmitglied Berger ausreden zu lassen, als Erwiderung auf die sinngemäße Äußerung von Herrn Jürgen Wendt, dass man auch herausgehen könne, getätigt hat.“

CDU-Urgestein im Stadtbezirksrat 112: Jürgen Wendt.
CDU-Urgestein im Stadtbezirksrat 112: Jürgen Wendt. © oh | oh

Gut, dass wir das mal gelesen haben. Wort für Wort. Im Gespräch mit der Redaktion bestätigt Bernd Sternkiker durchaus, „Dann haue ich dir eine“ gesagt zu haben. Das sei jedoch ein Missverständnis und, ja, es fehle da ein Fragezeichen. „Dann haue ich dir eine?“, will er gesagt haben. Für ihn eine „Reaktion auf eine Provokation“.

Darüber sprechen wir mit Jürgen Wendt. Ja, das hat der andere gesagt, sagt er: „Dann haue ich dir eine“. Da habe er sich dann schon mächtig gewundert. Geht gar nicht, habe er gedacht. Tja, und dass das eigentlich auch Konsequenzen haben müsste, wenn einer im Stadtbezirksrat so redet.

Aber wieso, um dicht am Protokoll-Text zu bleiben, wollte er mit Sternkiker eigentlich vor die Tür gehen? „Er hat laufend dazwischengequasselt. Und da habe ich zu ihm gesagt, er soll das unterlassen. Da blubberte er irgendwas, und da habe ich dann gesagt: Herr Sternkiker, wir können auch rausgehen, und ich kann ihnen das erklären.“

Wollte Jürgen Wendt sich prügeln? „Ich werde dieses Jahr 82, da werde ich mich wohl hüten“, sagt er. Er sei ja selber 23 Jahre lang Bezirksbürgermeister gewesen und könne wohl erklären, wie so eine Sitzung abzulaufen habe, wenn andere das nicht wüssten.

Sternkiker wiederum, immerhin stellvertretender Bezirksbürgermeister, muss das wohl irgendwie falsch verstanden haben. Er sei von Wendts Aggression schockiert gewesen. Und seine Worte „Dann haue ich dir eine?“ seien seine spontane Reaktion gewesen und mithin seine berechtigte Frage, wie er sich das wohl vorzustellen habe, also, was dann wohl draußen geschehen solle. Aber noch ehe er das in der turbulenten Sitzung fragen konnte, eskalierte die Lage im Stadtbezirksrat schon. Davon steht übrigens nicht jedes Wort im Protokoll.

Jedenfalls sprang Jürgen Wendts Sohn Thorsten Wendt, ebenfalls für die CDU im Stadtbezirksrat, erregt auf – und schon war der Vorwurf der Gewaltandrohung im Raum.

Carsten Müller: „Gewalt und Drohungen sind kein Mittel der Politik - der stellvertretende Bezirksbürgermeister kann nicht im Amt bleiben“

Der CDU-Kreisvorsitzende Carsten Müller, Mitglied des Deutschen Bundestages, wo es ja mitunter auch hoch her geht, legte später kraftvoll nach: „Gewalt und Drohungen sind kein Mittel der Politik – Stellvertretender Bezirksbürgermeister Bernd Steinkiker (B’90/Grüne) kann nicht im Amt bleiben, Die Grünen müssen Konsequenzen ziehen“ titelte eine strenge Presseerklärung.

Braunschweigs Grünen-Chef Andreas Hoffmann konterte, ebenfalls per Pressemitteilung: Diese Rücktrittsforderung sei „unredlich und durchschaubar“. Sie habe den Zweck, die sehr knappen Mehrheitsverhältnisse in Wabe-Schunter-Beberbach zu drehen. Für die Verknüpfung mit Gewalt und Drohungen in der Politik tauge der Vorgang nicht, wenngleich man sich aber schon fragen könne, „ob dies an dieser Stelle angemessen war, mehr aber auch nicht“.

Zwischenzeitlich hatten auch die anderen Fraktionen im Stadtbezirksrat 112 Erklärungen und eidesstattliche Versicherungen zum Ablauf abgegeben. Leider tragen sie zur Aufklärung nur bedingt bei, weil sich die unversöhnliche Polarisierung in Wabe-Schunter-Beberbach wie ein Riss nun auch durch diese Causa zieht. Ursache ist der mehrfach berichtete Zoff samt Verbitterung über die Bezirksbürgermeisterwahl durch SPD und Grüne. Das füllte bereits Zeitungsspalten.

Die BIBS-Fraktion, hier auf der Seite der CDU, erklärte: „Die Androhung körperlicher Gewalt gehört allerdings nicht zur politischen Debatte.“ Das sei indes am 7. Juni in der Bezirksratssitzung geschehen. Auch der „Braunschweig Spiegel“, ein Online-Forum, das die Demokratie achtet, griff den Vorwurf auf.

Bernd Sternkiker selbst nutzte sein eigenes Forum „Waggum online“, um immerhin so etwas wie eine Entschuldigung zu formulieren. Er räumte ein, dass man seine Frage „Dann haue ich dir eine?“ wohl „auch anders verstehen könne (Nicht ich als Opfer, sondern Herr Jürgen Wendt)“. Das habe er in der Hitze des Augenblicks nicht bedacht. „Es tut mir leid, dass man diese Worte, aus dem Zusammenhang gerissen, auch so interpretieren könnte.“

Jedenfalls wird die CDU-Fraktion im Rat der Stadt in der Konsequenz jetzt auch Video-Aufzeichnungen der Bezirksratssitzungen beantragen, besser ist es. Schon signalisierten Bündnis 90/Grüne: „Wir Grüne unterstützen diesen Antrag ausdrücklich.“