Braunschweig. Zoff zwischen SPD und Grünen: Sind Allgemeinverfügungen gegen die „Letzte Generation“ das richtige Mittel?

In der rot-grünen Ratsmehrheit aus SPD und Grünen, die bislang reibungslos und in weitgehendem Einvernehmen zusammenarbeitete, ist es zu Unstimmigkeiten gekommen. Hintergrund ist die jetzt noch einmal bis zum Jahresende verlängerte Allgemeinverfügung der Stadtverwaltung gegen die Aktionen der Klimaschutzbewegung „Letzte Generation“.

Während die SPD-Fraktion die Verlängerung begrüßte, wandte sich die Grünen-Fraktion entschieden dagegen. Mehr noch: Auch die Basis der grünen Partei in Braunschweig macht jetzt Druck, zeigt sich verärgert und bezeichnet die Allgemeinverfügung als kontraproduktiv. Dadurch nähmen die Aktionen sogar noch zu, statt durch einen notwendigen Dialog die Situation zu entschärfen.

Für einen solchen Dialog steht beispielsweise die Landeshauptstadt Hannover. In Braunschweig fährt man eine andere Strategie im Umgang mit Klimaaktivisten, die sich auf Straßen ankleben oder in Gruppen so langsam gehen, dass alles blockiert wird. Laut Allgemeinverfügung ist das Nutzen von Fahrbahnen für Umzüge und Märsche sowie das Ankleben, Festketten, Festbinden oder Niederlassen auf Fahrbahnen untersagt. Bei Verstößen drohen Ordnungswidrigkeitsverfahren und Bußgelder bis zu 3000 Euro.

Stadtverwaltung: Angemeldete Versammlungen sind auch künftig nicht betroffen

Jetzt also verlängert bis zum 31. Dezember. Die rechtlichen Voraussetzungen für den Eingriff in die Versammlungsfreiheit bestünden weiter, so die Stadtverwaltung. Immer wieder hätten weitere nicht angezeigte Versammlungen zum Klimaprotest stattgefunden, bei denen Fahrbahnen benutzt wurden. Angemeldete Versammlungen aber seien auch künftig nicht betroffen.

Das alles bringt die grüne Ratsfraktion in Wallung. Die Vorsitzende Lisa-Marie Jalyschko in einer öffentlichen Erklärung: „Wir sind über die Verlängerung der Allgemeinverfügung mehr als irritiert.“ Erneut handele die Stadtverwaltung „hier im Alleingang, ohne die Politik zu beteiligen“.

Dass dies in Braunschweig, einer Stadt mit rot-grüner Ratsmehrheit, geschehe und dass erneut die politische Diskussion vermieden werde, „enttäuscht uns massiv“, so Jalyschko. Man bleibe dabei: Das Vorgehen der Verwaltung sei angesichts des höchsten Gutes der Versammlungsfreiheit „juristisch höchst fragwürdig“. Mehr noch: Jeder Dialog werde konsequent abgelehnt.

Ganz anders klingt das bei der SPD-Fraktion. Mit Nachdruck möchte sie in einer Presseerklärung „noch einmal darauf hinweisen, dass es sich bei der Verfügung nicht um einen ,juristisch fragwürdigen’ Eingriff in das Versammlungsrecht handelt, sondern diese die Einhaltung des geltenden Versammlungsrechts garantieren soll“.

Nach dem Niedersächsischen Versammlungsgesetz müssten jegliche Versammlungen 48 Stunden vorher bei der Stadtverwaltung als Versammlungsbehörde angemeldet werden, erklärt Fraktionschef Christoph Bratmann. Die „Letzte Generation“ verstoße also wider besseres Wissen weiterhin gegen diese Regelung, behindere immer wieder den Straßenverkehr in Braunschweig. Bratmann: „Daher ist es absolut gerechtfertigt, dass die Stadt hier reglementierend eingreift.“ Und als Versammlungsbehörde sei das auch ihre Aufgabe – und, nein, sie müsse die Politik dafür nicht einschalten.

Wie der Ton zwischen Rot und Grün im Rat mittlerweile klingt, macht folgendes Zitat Bratmanns deutlich: „Spätestens seit der letzten Debatte müsste die grüne Ratsfraktion über diesen Sachverhalt aufgeklärt sein. Es ist mir völlig unverständlich, dass sie der Stadt noch immer eine undemokratische Haltung vorwirft.“ Wenn „Letzte Generation“ oder auch „Fridays for Future“ in einen Dialog treten wollten, „so steht es ihnen jederzeit offen, sich an die Ratsfraktionen zu wenden“. Das seien die richtigen Ansprechpartner, „nicht der Oberbürgermeister“.

Deals zwischen Oberbürgermeistern und der „Letzten Generation“ seien generell abzulehnen, so Bratmann: „Die Stadt macht sich damit erpressbar und schützt sich auch nicht vor Nachforderungen.“

Leider erkenne die „Letzte Generation“ nicht, dass sie klimapolitischen Ambitionen mit ihrer Protestform nur schade. Statt die Bevölkerung von der Wichtigkeit des Anliegens zu überzeugen, bringe sie viele Bürgerinnen und Bürger nicht nur gegen sich, sondern auch gegen das Thema Klimaschutz auf.

Das bringt wiederum Andreas Hoffmann, Sprecher des Grünen-Kreisverbandes, auf die Palme, wenn er in dem öffentlichen Schlagabtausch erklärt: „Unabhängig davon, wie wir zur ,Letzten Generation’ und insbesondere den Klebeaktionen stehen, halten wir die Allgemeinverfügung nicht nur für wirkungslos, sondern sogar für kontraproduktiv.“ Sie verhindere die Proteste nicht. Im Gegenteil: Die Klebeaktionen hätten sich dadurch sogar noch verschärft „und es wurden unnötige weitere Aktionen provoziert, die es ohne Allgemeinverfügung nicht gegeben hätte“.

„Unnötige Staus, Behinderungen des Straßenverkehrs sowie unnötige Polizeieinsätze provoziert“

Die „Letzte Generation“ habe doch sogar „eine Sommerpause“ angekündigt gehabt, so Hoffmann. Die aber sei durch die Allgemeinverfügung verhindert, stattdessen jedoch mindestens zwei weitere Aktionen provoziert worden. „Dies hat unnötige Staus, Behinderungen des Straßenverkehrs sowie unnötige Polizeieinsätze zur Folge.“ Alles hätte demnach vermieden werden können, „wäre die Allgemeinverfügung nicht erlassen worden“.

Und auch die Verlängerung jetzt, wettert der Kreisverbands-Sprecher, werde ja doch nur weitere Aktionen provozieren statt sie zu verhindern. An der grünen Basis sieht man das genauso – und mancher auch noch ein bisschen deutlicher.

Bei einer Mitgliederversammlung am Wochenende wurde ein an die grüne Fraktion gerichteter Dringlichkeitsantrag gegen die Allgemeinverfügung der Stadt eingebracht – und prompt einstimmig beschlossen. Darin werde „unsere Ratsfraktion aufgefordert, sich für die Aufhebung der Allgemeinverfügung einzusetzen“, so eine Presseerklärung.

Andreas Hoffmann: „Unsere Mitglieder fordern die Stadt auf, die Blockaden zu verhindern.“ Das will die Stadtverwaltung doch aber eigentlich auch, tja, nur eben anders.

Und diese Kontroverse entzweit jetzt auch Rot und Grün im Rat. Wie man tatsächlich erfolgreich Aktionen der „Letzten Generation“ verhindern könne, damit Polizeikräfte entlastet und Behinderungen im Straßenverkehr vermieden würden, zeigten Städte wie Marburg, Tübingen oder Hannover, die eben in der Dialog träten, so Hoffmann. Da sich die Stadt auf das Ziel der Klimaneutralität bis 2030 verpflichtet habe, sollten doch eigentlich gute Voraussetzungen für einen Dialog gegeben sein.