Braunschweig. Zum 80. Geburtstag des Braunschweiger Ehrenbürgers Richard Borek ist das Braunschweigische ganz bei sich.

Es gibt selbst in den hehrsten Veranstaltungen noch Randbemerkungen der banalen Art, die in die Mitte, also voll ins Schwarze treffen. So als Braunschweigs früherer Oberbürgermeister Gert Hoffmann treffend feststellt, mit ihm und Richard Borek hätten sich zwei Leute verbündet, die von ihrer Umwelt mitunter als recht anstrengend empfunden würden.

Und auch Ex-OB, Ex-MP und Ehrenbürger Gerhard Glogowski fühlt sich mit Richard Borek engstens verbunden: „Wir haben nicht nur Freunde, das haben wir gemeinsam.“ Und: „Wenn man älter wird, so wie wir, wird man versöhnlicher – und die Zahl der vermeintlichen Freunde wird größer.“

Das ist für Leute dieses Schlages irgendwie auch keine Lösung, und so bleiben die drei Alpha-Männer, bleibt dieses braunschweigische Dreigestirn der Macht, ganz bei sich und miteinander, auch beim städtischen Empfang zu Ehrenbürger Richard Boreks 80. Geburtstag am Samstag im Altstadtrathaus.

Und jetzt noch einen echten Borek gefällig? Den liefert der 80-Jährige selbst, als er in der ihm eigenen wortkargen Art ein Theaterstück lobt, das gerade im Kleinen Haus des Staatstheaters läuft: „Niemand wartet auf dich“, kongenial in drei Rollen gespielt von Götz van Oyen. Boreks Idol ist aber nicht der Politiker, nicht der Schauspieler, sondern der alte Mann, der sich im Fahrstuhl, vor der Haustür, im Stadtpark und in der Stadt ständig über herumfliegende Plastiktüten, ins Gebüsch geschmissene Dosen, weggeschnipste Kippen und angeschmierte Graffitis ärgern muss.

Besser könnte es selbst das gewiefteste Psychogramm nicht beschreiben. Und, klar, Richard Borek macht ein Programm draus: „Wenn ich mich ärgere, dann ist das mein Ärger, meine Angelegenheit.“

Seine eigenen Angelegenheiten regelt man selbst. „Das habe ich gelernt“, sagt Richard Borek (III.). Gelernt von Richard Borek (I.), Gründer eines weltweiten Briefmarken- und Münzen-Imperiums. Und von Richard Borek (II.), jenem Streiter, der 1960 gegen den Abriss des Residenzschlosses wetterte.

Nun gehört aber auch dazu, nicht zu vergessen und zu verschweigen, dass es praktisch keinen Bürger dieser Stadt gibt, der sich nicht nur so viel in die Dinge der Stadt einmischt wie Richard Borek, sondern eben auch keinen, der so viel hilft und so viel gibt. Es ist dem amtierenden Oberbürgermeister Thorsten Kornblum vorbehalten, dies in einen Satz für die Stadtchronik zu gießen: „Immer wieder haben Sie, lieber Herr Borek, Impulse eingebracht, Finanzierungen ermöglicht oder sich mit großem Engagement für die Umsetzung von Projekten eingesetzt.“ Das kann man wohl sagen.

Kornblum führt jene kommunalpolitisch möglicherweise einmalige Braunschweiger Spezialität an, bei der Boreks überragendes finanzielles Engagement mit hohen Summen für Denkmalschutz, Denkmalpflege, Natur- und Grünflächen ihm tatsächlich vertraglich Rechte zusichert, wie man sie in Rat und Stadtverwaltung manchmal auch gern hätte. Was zählt, ist das, was herauskommt, wird es an diesem Tag noch in mehr als einer Rede heißen.

Bloß, dass die wirkmächtige Liste borekscher Projekte, seine Stiftung als Träger eingeschlossen, tatsächlich ihresgleichen sucht. Maßgeblicher Anteil am Bau der Volkswagenhalle, massive Unterstützung der hiesigen Landesmuseen, treibende Kraft des Stadtviertels St. Leonhard, das vom OB als „Leuchtturm moderner inklusiver Quartiersentwicklung“ gewürdigt wird. Dazu neben noch sehr viel anderem vor allem noch der Bau des Hospizes in der Broitzemer Straße, vorangetrieben von Erika Borek, die die Hospiz-Stiftung leitet. War da noch was? Ach ja, das Schloss.

Auch das wurde im Familiensinne geregelt. Man kann diesen Blockbuster der Stadtgeschichte auf mehrererlei Weise rezensieren. In dieser Geschichte ist alles drin, sie taugte für eine lokale Netflix-Saga. Wahr ist aber auch: Braunschweig erhielt mit den vom Dreigestirn Borek, Hoffmann und Glogowski durchgeboxten Schloss-Arkaden und dem damit verbundenen Teil-Wiederaufbau des Residenzschlosses eine historische Mitte zurück. Sie bietet – neben der Shopping-Mall – den Kultureinrichtungen der Stadt ebenso Platz wie dem Schlossmuseum und ist gleichzeitig mahnender Ort der nationalsozialistischen Verbrechen, weil hier die Bücherverbrennungen in Braunschweig begannen und die SS-Junkerschule residierte.

So bleibt es an diesem Tag Gert Hoffmann vorbehalten, an eine These des in der Geschichte von Stadt und Land Braunschweig maßgeblichen Historikers Hans-Ulrich Ludewig anzuknüpfen. Danach ist das Braunschweiger Land im vergangenen Jahrhundert gleichsam ein Musterbeispiel des unversöhnlichen, nicht selten brutalen Gegensatzes zwischen Bürgerlich-Konservativen und der Arbeiterbewegung. Als einer der Höhepunkte dieser latenten beiderseitigen Hass-Beziehung selbst noch nach Weltkriegen und Diktatur gilt der verbittert ausgetragene Kampf ums Schloss. Am Ende ist es also letztlich ein lokaler historischer Kompromiss, von dem hier die Rede ist. Ob er die Zeiten überdauert, wird sich zeigen.

Damit sind wir bei der Zukunft. Für den Stadtempfang hat sich Richard Borek, gleichsam als Geschenk an die Gäste, einen Zukunftsvortrag gewünscht. Den hält Trendforschungs-Guru Sven Gábor Jánszky (Leipzig). Ein großes Interview mit ihm bringen wir in den nächsten Tagen. Sein Credo: Die Zukunft, sie hat bereits begonnen, in unseren Kindern und Enkelkindern lebt sie schon, und die Lücke zwischen unseren Zukunftsmöglichkeiten (Künstliche Intelligenz, langes Leben, autonomes Fahren, Weltraumflüge) und dem, wie wir uns darauf vorbereiten beziehungsweise investieren, sie ist viel zu groß. Der Hammer der Zukunft: Du brauchst etwas – und schon wird es geliefert. Ohne Bestellung!

Es bleibt einem Fuchs wie Glogowski vorbehalten, uns auf den Boden hiesigen Bewusstseins zurückzubringen. Ohne das Wissen um die Probleme der Gegenwart und eigenes Engagement, sagt er, ohne Wissen um Wurzeln, die Tradition der Region und der Heimat, also des Braunschweigischen Landes, gibt’s auch keine Zukunft, zumindest keine, die wir uns gerade vorstellen mögen. Erdung mithin à la Borek. Heb’ das auf!