Braunschweig. Nach zehn Jahren wird der Wechsel in der Leitung des ökumenischen Projekts in St. Andreas gefeiert. 270 Kilometer für die Sehnsucht der Menschen.

„Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit“: Diese Strophe aus Psalm 121 stand als Wallfahrtslied am Samstag in St. Andreas am Wollmarkt sinnbildlich über einer bemerkenswerten ökumenischen Andacht. Ausgang und Eingang auf neuen Wegen, Pilgerwegen, hier auf dem Braunschweiger Jakobsweg, dessen 10-jähriges Bestehen da gefeiert wurde.

Und klar wird, dass es nicht nur ein im christlichen Sinne von Gott behüteter Weg ist, sondern auch ein Weg der Menschen zu sich selbst, ins Innere, zu den wesentlichen Dingen. Ein Weg in entfremdeter Zeit zum Gewinn von Lebenszeit für sich selbst und gemeinsam mit den anderen, den Mitpilgernden. Um es mit Projektleiter Dieter Prüschenk zu sagen, der an diesem Tag noch einmal eine Jakobsweg-Etappe von Riddagshausen bis St. Andreas in der Innenstadt anführte: „Diese sechs Kilometer schafft man doch in einer Stunde. Warum also brauchen wir fünf?“

270 Kilometer langer Weg von Magdeburg über Braunschweig und Hildesheim bis Höxter im Zeichen der Jakobsmuschel

Die Antwort ist das Programm, so wie der Weg das Ziel ist, wie sie beim Pilgern gern sagen. Also hält man Andacht, betet unterwegs, macht Pausen, ist achtsam gegenüber Natur, Umwelt und Mitmenschen. Der Weg, das muss man sagen, ist auch das Gespräch. Es ist physisch und spirituell: Körperliche Bewegung und Sauerstoffaufnahme öffnen gewissermaßen für den Austausch von Erfahrungen. So entsteht die kürzeste Formel des Pilgerns: Der Weg bist du.

Das ist Prüschenks Welt, aber diesen Braunschweiger Jakobsweg musste er mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern auch schürfen und heben wie einen Bodenschatz. Da war das Ziel der Weg, schwer genug. Mit Landwirten, Forstleuten, Grundstücksbesitzern, Kirchen und Kommunen galt es zu verhandeln, um nicht nur eine Trasse zu schmieden, sondern auch eine konsequente Beschilderung des rund 270 Kilometer langen Wegs von Magdeburg über Braunschweig und Hildesheim bis Höxter im Zeichen der Jakobsmuschel, dem unverwechselbaren Pilgersymbol. Tatsächlich eine historische Trasse des Jakobsweges, der uralte Hellweg, wie archäologische Funde von Pilger-Utensilien gezeigt hatten.

Und klar wird, dass dies nicht nur ein Fußweg mit ein bisschen Kirche ist, sondern ein ganz und gar anderer Weg von Kirche, wie der Pastoralreferent a.D. Martin Wrasmann in dieser Andacht in St. Andreas bemerkt. Da gehe es nicht nur um die „Allsonntäglichkeit“ von Kirche, sondern, ja, auch um die „Sehnsucht nach dem anderen Ich und dem anderen Weg“.

Soviel zur Theologie des Pilgerwegs, aber nun zu seiner Entstehung. Das muss man mit Tobias Henkel erzählen, vor zehn Jahren Direktor der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, die maßgeblich das ökumenische Pilgerprojekt von Evangelisch-lutherischer Landeskirche in Braunschweig und katholischem Bistum Hildesheim förderte und mitträgt.

Man musste einen Prüschenk finden, und das geschah bei der vom damaligen Chefredakteur Paul-Josef Raue initiierten Grenzwanderung dieser Zeitung auf dem grünen Band der früheren innerdeutschen Grenze, einer Art Pilgertour mit Lesern zur Geschichte. Dieter Prüschenk, der sich zuvor zum Pilgerführer hatte ausbilden lassen und auf der Strecke von Loccum nach Volkenroda debütierte, übernahm die Führung. Als man im Harzgebiet auf das Kloster Walkenried im Stiftungsgebiet zusteuerte, wurden die Grenzwanderer vom Glockengeläut begrüßt. Für Prüschenk und Henkel eine Art spirituelle Initialzündung, eine Idee wurde geboren.

Nach Dieter Prüschenks Rückzug wird Angela von Schreiber-Stroppe als seine Nachfolgerin verpflichtet

Das darf man sich nicht zu einfach vorstellen. Bis heute begreifen manche in den Kirchen noch nicht beziehungsweise haben’s nicht mitbekommen, dass hier ein ganz starkes ökumenisches Projekt nicht nur auf dem Weg, sondern schon unterwegs ist. Man hat hier – wunderbarerweise sogar mit der notwendigen Infrastruktur – „der Sehnsucht der Menschen einen Weg gegeben“, wie es an diesem Tag gesagt wird.

Da trifft es sich, dass nach Dieter Prüschenks Rückzug mit Angela von Schreiber-Stroppe (St. Magni), Pilgerbegleiterin und Dozentin im Theologischen Zentrum Braunschweig, jetzt seine Nachfolgerin am Start ist, eingeführt ins Amt und gesegnet von Pfarrerin Johanna Klee, Studienleiterin im Theologischen Zentrum. Und dann noch gemeinsam das Lied zum Tag und Anlass: „Vertraut den neuen Wegen“.