Braunschweig. Grund soll der Ärger über die Wartezeit gewesen sein. Der Vater hatte seinen Sohn nach Fahrradsturz in die Unfallchirurgie Holwedestraße begleitet.

Wegen seiner Meinung nach zu langer Wartezeiten in der Notaufnahme der Unfallchirurgie Holwedestraße soll ein 42 Jahre alter Braunschweiger am Dienstag einen leitenden Arzt angegriffen und verletzt haben. Nach Polizeiangaben stürzte der Mediziner zu Boden, woraufhin ihm der Angreifer Tritte und Schläge unter anderem gegen den Kopf versetzt haben soll. Mehrere Funkstreifenwagen-Besatzungen der Polizei überwältigten den aggressiven Mann schließlich und führten ihn in Handschellen ab.

Bestürzung im Klinikum nach Gewalt-Attacke

Der gewaltsame Übergriff hat im Städtischen Klinikum Bestürzung ausgelöst. „Was in der Unfallchirurgie geschehen ist, ist für uns im Ausmaß der Gewalt erschreckend und außergewöhnlich“, sagte Dr. Andreas Goepfert, Geschäftsführer des Städtischen Klinikums, am Mittwoch. Im Krankenhaus werde nun darüber nachgedacht, den Sicherheitsdienst in den Notaufnahmen auszuweiten. Apropos Notdienst: So läuft ein Tag in der Notaufnahme im Krankenhaus ab.

Sohn kam nach Fahrradsturz in Notaufnahme

Bei dem 42-Jährigen handelt es sich um einen Vater, der seinen 12-jährigen Sohn nach einem Fahrradsturz am späten Vormittag in die Klinik begleitet hatte. Laut Polizeisprecher Lars Dehnert hatte eine abgesprungene Fahrradkette den Sturz verursacht. Das Kind habe sich leicht verletzt.

In der Unfall-Notaufnahme soll der Vater schon vor dem Angriff auf den Arzt ins Sekretariat gestürmt sein und sich lautstark über die Wartezeit beschwert haben. Das Personal, so Dehnert zum Stand der Ermittlungen, habe er beleidigt und beschimpft.

Arzt plötzlich von hinten angegriffen

Der leitende Arzt sei hinzugekommen und habe den Vater aufgefordert, leiser zu sein und das Büro zu verlassen. Widerwillig sei der Mann dem gefolgt. Als der Arzt kurz darauf selbst das Büro verließ, soll ihn der 42-Jährige plötzlich von hinten angegriffen, zu Boden gestoßen und auf ihn eingeschlagen- und getreten haben.

Mitarbeiterinnen hätten um Hilfe gerufen und sofort die Polizei verständigt. Es habe mehrere Helfer gebraucht, um den Angriff auf den Arzt zu stoppen. Polizeibeamte hätten den Mann schließlich überwältigt und auf die Wache gebracht, wo er sich beruhigt habe. „Der Arzt wurde medizinisch versorgt.“ Laut Goepfert wurde er erheblich verletzt.

Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung

Das Klinikum sprach gegen den Vater ein Hausverbot aus. Die Polizei erteilte ihm zudem einen Platzverweis für den Bereich des Klinikums. Gegen ihn wird wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Der Sohn, so der Polizeisprecher weiter, sei im Klinikum behandelt worden. Allein musste er laut Dehnert nicht dort bleiben: Die Großmutter des Kindes sei verständigt worden.

Wenn ein solcher Gewaltausbruch im Braunschweiger Klinikum auch selten ist, ist er gleichwohl symptomatisch für die zunehmend aggressive Grundstimmung gegen Helfer wie Rettungskräfte, Feuerwehrleute oder eben auch Krankenhauspersonal. Im Braunschweiger Klinikum werden jährlich rund 300 Übergriffe auf Beschäftigte aktenkundig. Beleidigungen, Gewalt und Drohungen seien an der Tagesordnung, sagt Goepfert. In Corona-Zeiten hätten Besuchsverbote und Reglementierungen die Negativ-Stimmung noch einmal befeuert.

Gefühl existenzieller Bedrohung Nährboden für Aggressionen

Maik Pritschke, einer der beiden Deeskalationstrainer des Klinikums, hat eine Erklärung: Wo sich Menschen existenziell bedroht fühlten – sei es etwa durch Krankheit, einen drohenden Freiheits- oder finanziellen Leistungsentzug – entstehe ein Nährboden für aggressives Verhalten.

Die Deeskalationstrainer schulen Beschäftigte im Klinikum im Umgang mit aggressiven Patienten oder Angehörigen. Die Kurse sind gut besucht. Rund 1400 Mitarbeitende hätten in den vergangenen zehn Jahren daran teilgenommen, sagt Pritschke. Demnächst soll dieses Präventionsangebot, in dem auch Selbstverteidigungsstrategien vermittelt werden, erweitert werden. „Wir merken, die Mitarbeiter sind gegen leichte verbale und tätliche Übergriffe inzwischen besser gewappnet.“

Doch gibt es, wenngleich seltener, auch das: Fäustschläge oder Tritte. Bei Menschen, die gelernt hätten, sich mit Gewalt durchzusetzen, gerate Deeskalation an ihre Grenzen, so Goepfert.

Ist Mehr Sicherheitspersonal im Krankenhaus nötig?

Waren die Eingänge und Notaufnahmen des Klinikums während der Corona-Pandemie durchgängig mit Sicherheitspersonal besetzt, beschränkt sich der Security-Einsatz inzwischen auf die Notaufnahmen an den Wochenenden. Ob das ausreicht, solle angesichts des aktuellen Übergriffs erneut diskutiert werden, kündigt der Klinikum-Geschäftsführer an.

Die Kosten für die Sicherheit sind hoch. Goepfert spricht von einem Millionenbetrag, der im übrigen nicht refinanziert werde. Die Gewaltentwicklung fordere die Politik heraus. Sicherheitspersonal müsse bezahlt werden. „Es besteht Analyse- und Handlungsbedarf. Was tut sich da gerade in unserer Gesesellschaft?“ Auch Maik Pritschke hält öffentliche Einrichtungen für nicht ausreichend vorbereitet auf dieses Gewalt-Phänomen. Bedrohungslagen müssten stärker diskutiert werden.

Nicht zuletzt gehe es auch um die psychische Belastung der Beschäftigten. Daher soll im Klinikum demnächst Supervision ins Programm aufgenommen werden.