Braunschweig. Sie kennen den Botanischen Garten der TU Braunschweig – wirklich? Dann entdecken Sie jetzt mal seine Erweiterungsfläche.

War ich hier schon mal? Ja, auf der Oker in Höhe Theaterpark vorbeigepaddelt. Nun also drin, in der wunderbaren Erweiterungsfläche des Botanischen Gartens der TU Braunschweig. Um gleich der ersten Irritation vorzubeugen: Dies ist nicht der populäre historische Hauptteil des grünen Paradieses der Wissenschaft mit Viktoria-Seerose und Wasserfall, dies ist der wesentlich jüngere Erweiterungsteil südlich von Fallersleber-Tor-Brücke und Humboldtstraße.

Dass diese traumhafte Oase mitten in der Stadt, wenngleich ebenfalls öffentlich zugänglich, deutlich weniger bekannt ist, das hat vor allem eine Ursache: Sie ist verdammt gut versteckt. Adresse: Humboldtstraße 36. Ein Tipp: Du wechselst vom Haupteingang am Torhaus, Humboldtstraße 1, auf die andere Straßenseite, passierst eine Art Tor-Einfahrt (oben links ist auch die „36“ angeschlagen) – und bist gleich da.

Vorher gab es hier Kleingärten - und sogar ein Fußballstadion. Reste der Tribüne kann man heute noch sehen

Am „Forschungsteich“, einem Platz zum Verlieben, treffen wir hier Gärtnermeister Michael Kraft (62, Foto), seit 1987 Leiter des Botanischen Gartens. 1995 entstand diese Erweiterungsfläche, vorher war es Grabeland der Stadt mit Kleingärten. Aber die Pflanzenbiologen der TU benötigten dringend Forschungsfläche im Freiland. Die sollten sie bekommen.

Dass man hier abseits vom Trubel der Stadt ausspannen, Sauerstoff tanken und eigene Studien betreiben kann, das ist die eine Seite. Die andere, gleichsam die Hauptfunktion: Forschung und Lehre.

Greifen wir nur mal ein Projekt heraus: Klar, dass sich die Arbeitsgruppe Vegetationsökologie und experimentelle Pflanzensoziologie im Wildbienenprojekt unter anderem mit Blühmischungen beschäftigt. Welche eignen sich am besten, welche werden angenommen? Und von welchen Arten? Welche Flächen eignen sich in der Stadt besonders? Und da stromern wir als Zaungäste der hiesigen Pflanzenbiologie nun herum zwischen Nachtkerze, Storchenschnabel und Wiesenflockenblume. Schöne Wissenschaft.

Noch ein Beispiel gefällig? Nehmen wir mal nicht die mächtige Hopfenstaude, von der das Institut für chemische Verfahrenstechnik gern mal zapft, da wird schließlich erst im Herbst geerntet.

Nehmen wir also Kürbisgewächse. Modellpflanzen, wie wir lernen, zu denen auch die Gurke gehört. Vielleicht wussten Sie’s ja nicht: Aber die gemeine Gurke eignet sich besonders gut zur Untersuchung einer speziellen Pflanzenhormongruppe, den Gibberellinen. Aha. Das elektrisiert natürlich die Leute im Institut für Pflanzenbiologie. Sie haben das Saatgut im Fokus.

Und uns elektrisiert jetzt der Gedanke, dass wir hier im Süden des Erweiterungsteils tatsächlich vor Überresten des historischen Leu-Stadions stehen. Aus der einstigen Fußballtribüne, für die Pflanzenforschung stehengelassen, sprießt es jetzt faszinierend. Ein Feld für die Sukzessionsforschung. Das ist spannend: Die Natur erobert sich Standorte konsequent zurück. 1969 hörte man hier den letzten Torschrei – und seit 1997 wurden schon insgesamt 35 Gehölzarten auf der Tribüne gefunden.

Toll für Studenten und Schüler, dass sie hier lernen können. Und für alle anderen ist es auch ein Erholungsort

Das macht nachdenklich, auch demütig. Bloß brauchen wir als Menschen auch nicht immer in Sack und Asche zu gehen. Wenn wir mit Hilfe der Pflanzenforschung Flächen intelligent kultivieren, hilft das der Natur. Wissenschaftlich betreutes Mähen fördert Pflanzenvielfalt, was wiederum Insekten, Vögel und andere beflügelt.

Die Pflanzenbiologie, man muss das sagen, ist brandaktuell. Alles, was grünt und wächst, bindet Treibhausgas, also sollte noch viel mehr grünen und wachsen. Was hier wächst und wie es das tut und womit und warum, das ist Natur, Nahrung, Energie, Leben, Kreisläufe, Klima. „Ein Bildungsort für Bio in der Stadt“, sagt Michael Kraft. Er bietet regelmäßig Themenführungen an, die nächste am 22. August über Allergiepflanzen.

Lektionen in Vielfalt, wie dir schwant, wenn es schwirrt um dich herum an manchen Wildpflanzen, deren Namen aus Märchenbüchern zu stammen scheinen: Eselsdistel, Trauben-Katzenminze, Mutterkraut, Kletten-Igelsame ...

Wohl den Studenten und Schülern („Grüne Schule“), die hier lernen können, über die großen Zusammenhänge zu staunen. Ansonsten: ein Erholungsort. Die Erweiterungsfläche ist geöffnet für alle von Dienstag bis Sonntag, 8 bis 17.30 Uhr. Bloß Parken ist ganz schwierig. Am besten geht’s also mit dem Fahrrad oder zu Fuß.

Michael Kraft, seit 1987 Leiter des Botanischen Gartens der TU Braunschweig.
Michael Kraft, seit 1987 Leiter des Botanischen Gartens der TU Braunschweig. © FMN | Henning Noske

Weitere Informationen: www.tu-braunschweig.de/ifp/garten

Die Schöne in der Abteilung Nahrungspflanzen für Wildbienen: die Königskerze. Untersucht wird, wie sich Pflanzen in der Stadt verhalten – und wie attraktiv sie für Insekten sind.  
Die Schöne in der Abteilung Nahrungspflanzen für Wildbienen: die Königskerze. Untersucht wird, wie sich Pflanzen in der Stadt verhalten – und wie attraktiv sie für Insekten sind.   © FMN | Henning Noske
Die Tribüne des einstigen Leu-Stadions an der Kasernenstraße als grüne Ruine. Hier wurden schon 35 Gehölzarten gefunden. 
Die Tribüne des einstigen Leu-Stadions an der Kasernenstraße als grüne Ruine. Hier wurden schon 35 Gehölzarten gefunden.  © FMN | Henning Noske
Farbe für die Uni: Schwarzer Germer als Lehr- und Anschauungsobjekt für Bio-Studenten.
Farbe für die Uni: Schwarzer Germer als Lehr- und Anschauungsobjekt für Bio-Studenten. © FMN | Henning Noske
Auf dieser Wollkopf-Kratzdistel fühlen sich viele Insekten wohl.
Auf dieser Wollkopf-Kratzdistel fühlen sich viele Insekten wohl. © FMN | Henning Noske