Braunschweig. Auch am Gedenktag für die Drogenopfer in Braunschweig lautet das Motto: „Drogentod ist Staatsversagen!“ Das steckt dahinter.

Diese Veranstaltung macht „Karriere“, aber eine gute Nachricht ist das nicht. Noch nie waren so viele TV- und Radio-Teams auf dem Braunschweiger Windmühlenberg, dazu viele Besucher und Betroffene. Aber auch die Zahl der Drogentoten steigt unaufhörlich, hat sich innerhalb eines Jahrzehnts verdoppelt. Und darum geht es.

Es ist der 21. Juli, Gedenktag für die Drogenopfer. Auf dem Windmühlenberg, nicht weit entfernt von der offenen Szene, wird er nun bereits zum 24. Mal begangen - mit Organisationen wie Selbsthilfe-Netzwerk JES, Aids-Hilfe, Drobs, Neues Land und mit Pfarrer Henning Böger von Kirchengemeinde St. Magni.

Holzkreuze und Bilderrahmen - jedes Jahr wieder ein trauriges und aufrüttelndes Ritual, jetzt schon zum 24. Mal

Traditionell sind Holzkreuze aufgestellt, dazu Bilderrahmen mit den Namen jener Drogenopfer, die seit dem jeweils letzten Sommer in Braunschweig zu verzeichnen sind. Diesmal sind es 18, auch das eine Höchstmarke.

Unter den Namen ist auch David, der im Dezember 2022 starb. Jetzt gehen seine Eltern auf dem Windmühlenberg nach vorn und verneigen sich vor den Bilderrahmen. „Du bist nicht weg“, sagen sie unter Tränen.

Die anderen heißen diesmal Dennis, Maik, Tekin, Andreas, nochmal Andreas, Michael, Oliver, Elke, Timo, Dieter, Jennifer, René, Heike, Nicole, Uwe, Harry und Sebastian. „Sie sind mehr als nur die Zahlen einer Statistik. Sie haben Namen, Gesichter, Lebensgeschichten“, sagt Böger.

Und deshalb sei dies nicht nur ein Tag der Traurigkeit und des Gedenkens, sondern auch einer des Protests und der Aktion. Es geht darum, zu erinnern, Gesicht zu zeigen und zu informieren. „Drogentod ist Staatsversagen“, lautet das Motto des diesjährigen Gedenktages.

Auch darum geht es. Das machen Sprecherinnen von JES und Aids-Hilfe an diesem Tag deutlich. Für sie ist es schlicht skandalös, wie beispielsweise in Niedersachsen das notwendige „Drug-Checking“ vernachlässigt wird. Hintergrund: Viele Drogentote könnten noch leben, wenn sie gewusst hätten, was sie da überhaupt konsumieren.

Tatsächlich ist der Konsum harter Drogen durch extreme Schwankungen auf den Weltmärkten einem Glücksspiel auf Leben und Tod gleichzusetzen. Unkalkulierbare Wirkstoffgehalte, extrem giftige Streckmittel und multiple Wechselwirkungen mit Alkohol und Medikamenten-Cocktails lassen Rausch und Sucht zum tödlichen Roulette werden. Bundesweit erhöhte sich die Zahl der Drogentoten innerhalb des letzten Jahrzehnts von 944 auf knapp 2000.

Wie das geht und was das mit Politik zu tun hat, zeigt die aktuelle Entwicklung. An sich hört es sich ja gut an, wenn die Taliban in Afghanistan aus religiösen Gründen jetzt den Mohnanbau rigoros stoppen - und stattdessen auf Weizen setzen. Indes stammen rund 80 Prozent des Heroins für Europa von dort. Schnell schalten die Märkte um, das Geschäft muss weitergehen.

Konsumenten steigen deshalb verstärkt auf synthetische Drogen um, auch zum Strecken, so auf Fentanyl, ein hochgradig toxisches opiathaltiges Schmerzmittel, das die Atmung verlangsamt und zum Atemstillstand führen kann. Ein aktueller Trend, der gerade massiv alarmiert. Nicht ganz unwahrscheinlich, dass 2024 noch mehr Holzkreuze und Bilderrahmen auf dem Windmühlenberg aufgestellt werden müssen.

Darum geht es. Ein „Drug-Checking“, eine Drogenanalyse im Labor, um Suchtkranke vor dem Tod zu retten, könnte eine Lösung sein und wird von Experten befürwortet. Einige Bundesländer wollen dies ermöglichen, zum Beispiel Hessen. Allerdings nicht Niedersachsen, wo die Kosten dafür als Hinderungsgrund angegeben werden.

Diakonin sagt über Sucht: „Wir müssen deutlich machen, dass es sich um eine chronische Erkrankung handelt“

Darauf machen sie aufmerksam. Und dann ist da noch eine andere Botschaft, die einer wie Henning Böger gut auf den Punkt bringt. Die Menschen, um die es da beim Drogengebrauch geht, auf die oft herabgeschaut wird, sind nicht schlecht, sie sind gut. Sie haben Gesichter, und sie haben es verdient, dass sich ein Gemeinwesen um sie kümmert.

Diakonin Antje Marzenke sagt über Sucht: „Wir müssen deutlich machen, dass es sich um eine chronische Erkrankung handelt.“ Helft diesen Leuten, kriminalisiert nicht die kleinen Drogengebrauchenden, die um ihr Leben kämpfen, sondern bekämpft wirksam jene, die mit ihrem Schicksal das große Geld verdienen. So könnte man die Botschaft vom Windmühlenberg zusammenfassen. „Und so würde man Menschenleben retten“, sagt Elke Kreis von der Braunschweiger Aids-Hilfe.

Wieder spielt Gitarrist Jörg Hecker, wieder Tränen, wieder das Ritual mit Kreuzen und Bilderrahmen. Wie oft noch - und wann ist es Versagen? David war 31, sagt uns sein Vater am Schluss. Seit seinem 14. Lebensjahr hatte er mit Drogen zu tun. Immer wieder Aufbrüche, Rückfälle. Die Todesursache am Ende: diffus. Atemstillstand. Ob es schon die neuen Drogen waren oder noch die alten oder alles zusammen, keiner kann das sagen.