Braunschweig. Es geht um 1,2 Millionen Euro Schmerzensgeld von der Bundesrepublik Deutschland. Darum wird die Klage voraussichtlich in Braunschweig verhandelt.

Im März 2015 kam es zur Katastrophe: Der an Depressionen erkrankte Co-Pilot der Germanwings-Maschine von Barcelona nach Düsseldorf steuerte den Flieger absichtlich gegen einen Berg in den französischen Alpen. Alle 150 Insassen starben.

Etwas über acht Jahre später versuchen 32 Hinterbliebene der Unglücksopfer noch immer, Schmerzensgeld zu bekommen – dieses Mal vor dem Landgericht Braunschweig. Es geht um 1,2 Millionen Euro.

Gab es Versäumnisse bei der Untersuchung des Germanwings-Co-Pilot?

Die Düsseldorfer Anwaltskanzlei „Baum, Reiter & Collegen“ um den ehemaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum vertritt 32 Hinterbliebene, erklärt Kanzleigründer Prof. Julius Reiter. Die Klage richte sich gegen die Bundesrepublik Deutschland. Braunschweig ist Gerichtsort, weil in der Stadt das Luftfahrt-Bundesamt sitzen. Dieses ist unter anderem für die flugmedizinischen Untersuchungen der Piloten zuständig. Für die Hinterbliebenen sei klar: „Die im Verantwortungsbereich des Luftfahrt-Bundesamtes tätigen flugmedizinischen Sachverständigen haben ihre Pflichten verletzt.“

Die turnusmäßigen medizinischen Untersuchungen des Co-Piloten seien mangelhaft und unzureichend gewesen. „Bei ordnungsgemäßer Durchführung liegt der Schluss nahe, dass der psychisch erkrankte Co-Pilot nicht länger im Cockpit gesessen hätte. Der Absturz wäre verhindert worden“, schildert der Anwalt am Dienstag gegenüber unserer Zeitung.

Das Landgericht Braunschweig bestätigte, dass die Klage eingegangen, aber noch nicht offiziell zugestellt sei. Zu weiteren Details und dem Zeithorizont der Bearbeitung konnte eine Sprecherin keine Angaben machen.

Ermittlungen zeugen von Versagen

2021 waren die Hinterbliebenen mit ihrer erweiterten Schmerzensgeldklage gegen die damalige Germanwings-Muttergesellschaft Lufthansa gescheitert. Diese hatte den Angehörigen bereits unabhängig davon ein Schmerzensgeld bezahlt. Das Oberlandesgericht Hamm verwies im September 2021 auf das Luftfahrt-Bundesamts. Dort setzt die Klage nun an.

Rechtsanwalt Julius Reiter erklärt: „Vor dem OLG Hamm wurde bereits thematisiert, ob die mangelhaften flugmedizinischen Untersuchungen der Grund für den Verlauf der Katastrophe waren. Verantwortlich für die Untersuchungen ist das Luftfahrtbundesamt mit Sitz in Braunschweig mit der Konsequenz, dass ein Amtshaftungsanspruch in Betracht kommt.“

Anwalt: Die Angehörigen wollen, dass so etwas nie wieder passiert

Der Co-Pilot, der den Absturz verursachte, wurde während seiner Ausbildung depressiv und fiel für mehrere Monate aus. „Später hat man ihn dann wieder für flugtauglich erklärt“, sagt Reiter. „Dies geschah unter der Bedingung, dass eine erneute Erkrankung dieser Art nicht mehr auftritt.“

Die flugmedizinischen Sachverständigen hätten Kenntnis von dieser Bedingung gehabt. „Aus den Ermittlungsakten ergibt sich jedoch, dass es keine spezifischen Untersuchungen oder Nachfragen zur Abklärung eines etwaigen Rückfalls gab.“

Der Rechtsanwalt macht deutlich: „Den Angehörigen geht es nicht nur um Schmerzensgeld. Sie wollen, dass so etwas nie wieder passieren kann.“

Anwalt: Das Problem lag auch beim Gesetzgeber

Er wird noch grundsätzlicher: Es gibt ein EU-Gesetz, das regelt, dass solche Vermerke an die Aufsichtsbehörde weitergeleitet werden müssen. „In Deutschland wurde dieses Gesetz aber konterkariert“, so Reiter. Die Vermerke mussten nur in pseudonymisierter Form weitergegeben werden. „Das Gesetz wurde erst nach dem Absturz geändert.“ Genau das beklagten die Angehörigen.

Letztlich habe Deutschland somit auch gegen EU-Recht verstoßen, sagt der Experte für Luftverkehrsrecht Prof. Elmar Giemulla aus Berlin. Der Anwalt ist Teil des juristischen Teams hinter der Klage.

Nichts zu tun, ist für die Angehörigen keine Option. Die Rechtssprechung hat den Weg dafür geebnet, Amtshaftungsansprüche geltend zu machen.
Gerhart Baum, früherer Innenminister und Seniorpartner der Kanzlei, die die Klage einreicht

Der frühere Innenminister Gerhart Baum ist Seniorpartner der Düsseldorfer Kanzlei. Es macht deutlich: „Nichts zu tun, ist für die Angehörigen keine Option. Die Rechtssprechung hat den Weg dafür geebnet, Amtshaftungsansprüche geltend zu machen.“ Schuld an dem Unglück ist in ihren Augen letztlich der Staat.

Besteht das Problem bis heute?

Bis heute soll es Hinweise darauf geben, dass flugmedizinischen Untersuchungen unzureichend sind. Aus Personalmangel. Trifft das zu, könnte sich eine Katastrophe wie beim Absturz des Fluges 4U 9525 wiederholen.

Auch das dürfte in dem anstehenden Prozess vor dem Braunschweiger Landgericht ein Thema werden.

Der Germanwings-Absturz

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