Braunschweig. Menschen in Braunschweig – Im Interview sprechen wir mit Karl-Heinz „Kalli“ Feldkamp. Das sagt er über die WM in Katar – und über Eintracht.

Er ist einer der erfolgreichsten deutschen Fußball-Trainer – mit Bayer Uerdingen, Eintracht Frankfurt und dem 1. FC Kaiserslautern gewann er den DFB-Pokal, mit Kaiserslautern die Deutsche Meisterschaft, dazu mit Galatasaray Istanbul zwei Mal den Titel in der Türkei.

Karl-Heinz „Kalli“ Feldkamp, 1934 in Oberhausen geboren, lebt seit 2015 in Volkmarode, um mit seiner Frau Helma dicht bei Tochter, Schwiegersohn und Enkeltochter zu sein, die in Braunschweig leben. Von hier pendelt er regelmäßig ins spanische Zweitdomizil. Wir sprechen mit ihm.

Kalli Feldkamp Braunschweiger – wie fällt Ihr Urteil über die Stadt aus?

Ein wunderbares Umfeld. Wir sind gern hier und genießen es. Das einzige, was ich zu kritisieren habe, sind die vielen fehlenden Verbindungen vom Flughafen Hannover, zum Beispiel nach Andalusien/Malaga, das kann man nicht verstehen. Für den Haupt-Flughafen eines Bundeslandes ist das zu wenig.

Feldkamp 1991 mit der Meisterschale für den 1. FC Kaiserslautern.
Feldkamp 1991 mit der Meisterschale für den 1. FC Kaiserslautern. © imago

Lange haben Sie überaus erfolgreich den 1. FC Kaiserslautern trainiert. Ihr früherer Club und Eintracht Braunschweig werden oft verglichen ...

Stimmt. Beide Städte wurden oft unterschätzt, lebten und leben in der Außendarstellung von ihren jeweiligen Fußballclubs. Und die Wahrnehmung über Braunschweig ist für mich seit jeher die ungeheure Power und Tradition, die hier über Eintracht ausgestrahlt wird.

Es gibt tatsächlich etliche Parallelen, auch sportlich. Wie sehen Sie das?

Was ich beurteilen kann, das ist, dass ein sportlicher Niedergang – wenn man bedenkt, wo beide Vereine einmal gestanden haben – zunächst einmal bedeutet, dass diese Klubs immer wieder starke Spieler, wenn sie sie besitzen, abgegeben haben und abgeben müssen. Für mich ist es das Spielermaterial, das entscheidet. Tradition allein holt keine Punkte! Kostet aber Geld. In jedem Fall war ich absolut happy, als beide Vereine jetzt gleichzeitig wieder in die Zweite Liga aufgestiegen sind.

Das war natürlich optimal. Und es ist, wie es immer war: Bei beiden Vereinen kann das Publikum der berühmte 12. Mann sein, ob auf dem Betzenberg oder im Eintracht-Stadion. Aber ich erinnere mich auch noch, wie ein Paul Breitner früher sagte: Da können wir direkt wieder in den Bus steigen, können die Punkte gleich abgeben. Das waren allerdings noch andere Zeiten!

Sie waren überaus erfolgreich in einer Zeit, als man Bayern München noch besiegen und vor ihnen Deutscher Meister werden konnte.

Sie haben Recht. Man konnte sie vor allem beim Heimspiel im eigenen Stadion bezwingen, wenn das eigene Team die beste Leistung abgerufen hat. Das galt für zehn bis 15 Mannschaften in der Bundesliga. Dass das heute nicht mehr so ist, das verstehe ich nicht. Heute treten ihre Gegner scheinbar im eigenen Stadion mit dem Ziel an, bloß nicht hoch zu verlieren. Das gab’s bei uns nicht. Gladbach, HSV, auch Kaiserslautern, das waren zu meiner Zeit Bollwerke zu Hause. Da trat man an, um zu gewinnen – und schaffte das auch.

Einzelne Mannschaften dominieren heute stärker, auch international. Was hat sich geändert?

Tatsächlich wirkt es sich aus, wenn ein Verein wie Bayern München, um zu dominieren, immer die besten Spieler im eigenen Land bekommt, die zur Verfügung stehen. Und auch eine wirtschaftliche Situation erarbeitet und aufrecht erhält, die das ermöglicht. Das muss man neidlos auch als riesiges Kompliment an Bayern München formulieren und anerkennen. Was sie praktiziert haben von ihrer einzigartigen Basis und ihrer Unterstützung auch der Politik aus, im Land Bayern und in der Stadt München, das hat sie in die heutige Position gebracht.

Ist der Spitzenfußball heute nicht auch insgesamt eintöniger geworden? Gab es zu Ihrer Zeit weniger taktische Zwänge – und mehr Spielraum für Ihre Spieler?

Zunächst mal: Alle guten Leute, die zu ihrer Zeit die Maßstäbe setzten, stünden mit den heutigen Trainingsmöglichkeiten und der heutigen ärztlichen Versorgung ebenfalls wieder ganz oben mit ihrer Klasse. Und heute sehen wir mit der Technik und den Übertragungsmöglichkeiten jede Bewegung, jedes Detail, wir werden verwöhnt mit Nahaufnahmen, sind ganz dicht dran. Fast wissenschaftlich werden uns in den Analysen Reihen und Ketten im möglichst reibungslosen Zusammenspiel präsentiert ...

Dreierkette, Viererkette, Kette, Kette, Kette. Nehmen die taktischen Zwänge nicht überhand?

Täuschen Sie sich nicht. Das gab’s bei uns doch früher auch, wir haben diese Systeme auch gespielt, aber ich sage ja, es stand nicht so im Blickpunkt. Heute wird es pausenlos dargestellt. Aber ich gebe Ihnen durchaus auch Recht: Heute kommen Trainer oft mit einem System in der Tasche auf den Platz und wollen darauf eine Mannschaft aufbauen. Ich sehe das anders. Die Spielertypen bestimmen das System. Ich als Trainer habe die Aufgabe, dieses zum Erfolg zu führen. Wie sind sie zu begeistern? Wozu sind sie dann fähig, auch als Mannschaft? Das ist wie im Orchester. Der Dirigent kann und muss mit denen spielen, die er hat. Das ist natürlich bei der Nationalmannschaft anders.

Kalli Feldkamp und Lajos Detari (beide Frankfurt) 1988 im Interview bei ZDF-Reporter Rolf Töpperwien.
Kalli Feldkamp und Lajos Detari (beide Frankfurt) 1988 im Interview bei ZDF-Reporter Rolf Töpperwien. © imago sportfotodienst

Ihnen ist das fast ausnahmslos erfolgreich gelungen. Ihre Stationen sind mit Titelgewinnen verknüpft. Wie haben Sie das gemacht?

Zunächst einmal mit einer gewissen Demut, dass man auf dem Platz nicht eingreifen kann, auch wenn man es möchte. Da wachsen in bestimmten Situationen die Spieler über sich hinaus – oder eben auch nicht. Aber denken Sie an mein Bild mit dem Orchester. Das muss spielen, was es am besten kann.

Und wenn ich dieser Dirigent nicht mehr sein kann, dann muss ich mir rechtzeitig ein neues Orchester suchen, das ich wieder erreichen und mit dem ich wieder Bestleistung erzielen kann. So habe ich es immer gehalten – und meistens ist es mir gelungen. Eines meiner Vorbilder als junger Trainer – Gyula Lorant – hat zu mir gesagt: Wenn man den größten Erfolg hatte, sollte man innerhalb von wenigen Minuten in die Kabine gehen und sich mit dem Rücken zur Wand fragen: Wo stehe ich und was tue ich? Das habe ich immer beherzigt.

Sie haben aber doch auch stets alle Tasten des Klaviers gespielt, auch die Medien, die Sie virtuos bedienten, spielten dabei eine wichtige Rolle. Wie sehen Sie das heute?

Es wäre immer ein Fehler, das auszublenden. Schon viel früher als andere, zum Beispiel als regionale Medien, war als erste die „Bild“ mit ihren Leuten bei uns im Trainingslager präsent, schon morgens beim Waldlauf. Mit den entsprechenden Ergebnissen. Der Chefredakteur der Lokalzeitung rief mich hingegen an und sagte: „Wenn was passiert, dann können Sie mich ja anrufen.“ Sein Sportredakteur durfte nicht mit. Na ja, auch mit den entsprechenden Ergebnissen. Heute hat sich das geändert. Die Reporter sind viel dichter dran.

Aber Sie hatten wohl auch immer ihren eigenen Kopf, haben mitunter auf die Medienwirkung Ihrer Aussagen wenig Rücksicht genommen.

Ja, warum auch? Dem damaligen Präsidenten von Borussia Dortmund hab’ ich über die „Bild“ mal ausrichten lassen: Wenn er meinen Fußball nicht versteht, erklär’ ich ihm das. Das war übrigens der einzige Club, bei dem ich vorzeitig entlassen wurde. Und viel später dann hatte ich das Glück, „auf der anderen Seite“ zu sein und gehörte ja auch zu den „Medien“, als ich von 1994 bis 1998 im ZDF mit Dieter Kürten die Spiele der Nationalmannschaft kommentierte.

Da sitzt man mit den Journalisten aller Medien und Sender im Flieger. Und da sieht man dann auch, was sie leisten müssen, um eigene Geschichten zu haben, um immer wieder etwas aufgreifen zu können.

Hatten Sie mal ein Angebot von Eintracht Braunschweig?

Als Trainer nicht, aber tatsächlich als Spieler. Das war 1962, ich spielte in der Oberliga für Rot-Weiß Oberhausen. Da bin ich großgeworden, habe dort von der Jugend an gespielt. Der Vorstand fragte mich: Was willst Du im Norden? Willst Du gegen Lübeck spielen und nicht gegen Gladbach, Köln, Schalke oder Dortmund? Ich bin dann natürlich im Westen geblieben ...

… und so wurden Sie 1967 nicht Deutscher Meister.

Darüber habe ich später immer wieder nachgedacht. Und jetzt in Braunschweig erlebe ich ja, was diese Jahreszahl hier bis heute für eine Bedeutung hat.

Hatten Sie als Trainer mal ein Angebot von Bayern München?

Nach dem Deutschen Meistertitel mit dem 1. FC Kaiserslautern hat mich Franz Beckenbauer angerufen und gratuliert, wir haben lange telefoniert. Aber für mich war klar: Ich habe einen laufenden Vertrag, und ich bleibe in der Pfalz. Auch aus Rücksicht auf meine Tochter, die dort das Abitur machen sollte. Sie war’s dann übrigens auch, die den Ausschlag gab, dass wir ein Jahr später Deutschland und die Bundesliga doch verließen und in die Türkei zu Galatasaray Istanbul gingen. Miriam sagte nur: Das machen wir. Da war die Sache klar.

Sehr persönlich. Sehr familiär.

So waren meine Entscheidungen immer. Ich hatte eine ganz enge Beziehung mit meiner Familie zur Türkei, so wie sie damals war. Diese Türkei, die wir gekannt haben, fehlt mir heute. Dort hat sich viel verändert. Es hat einen politischen Wandel gegeben, den ich nicht akzeptieren kann. Das Umfeld hat seine Natürlichkeit verloren. Die wirtschaftliche Situation ist eine andere.

Zu Ihrer Zeit gab es den Kölner Keller noch nicht. Sind Sie darüber traurig?

Ich bin manchmal schon entsetzt, wie lange man braucht, oft etliche Minuten, um Entscheidungen zu korrigieren oder auch anzuerkennen. Es beruhigt indes, nimmt auch Spannung aus dem Spiel. Allerdings gewöhnen sich die Fans langsam daran. Vielleicht trägt es ja auch dazu bei, dass ein Hochkochen von Wut und damit vielleicht eine Eskalation entschärft werden kann. Wir haben allerdings früher gesagt: Jede Fehlentscheidung des Schiedsrichters gleicht sich irgendwann wieder aus. Du wirst durch eine geschlagen – und du gewinnst auch durch eine.

Was halten Sie eigentlich von einer Fußball-Weltmeisterschaft kurz vor Weihnachten?

Das ist furchtbar. Ich hab’ mich noch gar nicht darauf eingestellt und tue mich auch schwer damit. Es ist auch nicht gut für die Spieler, die hier unter extremem Zeitdruck aus ihrem Rhythmus gerissen werden, dort unter extremen Bedingungen antreten müssen, wobei die Vorbereitungszeit absolut nicht ausreicht.

Die politischen und sozialen Bedingungen, unter denen diese WM in Katar stattfindet, sind für viele Menschen nicht hinnehmbar. Und für Sie?

Schlimm! Es ist fast schon obszön nachvollziehbar, dass es hier das Geld gewesen ist, dass diese Weltmeisterschaft zu diesem Ausrichter geholt hat. Es fehlt für mich an klaren, wirklich eindeutigen Distanzierungen und an klaren Aussagen der Persönlichkeiten der Nationalmannschaft.

Und wenn die Dinge so deutlich auf der Hand liegen, dann muss man auch mal absagen. Damit geht mein Wert als Fußballnation doch nicht verloren, eher im Gegenteil. Früher hat ein Berti Voigts gesagt: Das ist Politik, interessiert mich auf dem Platz nicht, damit haben wir nichts zu tun. Aber heute ist so eine Position nicht mehr haltbar. Mir fehlt eine klare Linie. Die Zwangsarbeit in Katar ist nicht hinnehmbar, es sind zu viele Leute ums Leben gekommen. Ich finde diese Weltmeisterschaft wirklich furchtbar, und ich habe mir bis heute noch keinen Gedanken darüber gemacht, mir irgendein Spiel anzusehen.

Aber wir fahren hin und wollen natürlich Weltmeister werden.

Was soll ich sagen? Wenn sie das Ziel nicht hätten, dann bräuchten sie ja auch nicht hinzufahren. Wir haben eine junge Mannschaft und vielleicht das Glück, dass alle anderen Teams auch im Umbruch sind. Die Spanier und Franzosen haben gerade eher eine Durchschnittsmannschaft. Vielleicht kommen die Brasilianer mit dem Klima besser zurecht als wir. Für mich ist es nicht programmiert, dass wir Weltmeister werden.

Hätten Sie gern mal eine Frauenmannschaft trainiert?

Hat man mir nie angeboten, aber hätte ich gern gemacht. Es hat eine starke Entwicklung gegeben. Natürlich bekommt man Prämien und Gehälter ohne ein entsprechendes Äquivalent auf den Rängen oder bei Sponsor- und Werbepartnern und entsprechenden Einnahmen noch nicht auf dem gleichen Niveau hin. Aber ich meine schon, dass sich der DFB zum Beispiel für seine Mannschaften da keine Unterschiede mehr leisten kann.

Was ist Ihnen im Moment gerade besonders wichtig?

Wie viele andere besorgen und bedrücken mich im Moment aktuelle Entwicklungen, nicht nur die Pandemie, auch der Krieg. Ich wünsche mir mehr Bewusstsein dafür, wie gefährlich das gerade ist, auch vor dem Hintergrund, dass Atomwaffen ins Spiel kommen könnten. Ich wünsche mir, ganz ehrlich, dass ich es noch wieder erleben darf, dass wir so ruhig aufstehen und existieren können und weiter in der breiten Masse in sicheren Verhältnissen leben können. Ich möchte, dass wir die Dinge in den Griff bekommen.