Braunschweig. Für die Schulen ist das ein zusätzlicher Kraftakt. Die Bedürfnisse der Schüler sind sehr verschieden – und es fehlt an Personal.

Laskáwo prósymo! Willkommen – so sagt man in der Ukraine. An vielen Schulen in Braunschweig kennt man diese Begrüßung mittlerweile: 530 Kinder und Jugendliche, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind, werden mittlerweile an den städtischen Schulen in Braunschweig unterrichtet.

214 dieser Kinder besuchen eine Grundschule im Stadtgebiet. Die Vorgabe des Kultusministeriums, nicht öffentlich zu kommunizieren, auf welche weiterführenden Schulformen sich die Schüler wie verteilen, gilt nicht mehr, und so erteilt die Stadtverwaltung auf Anfrage folgende Auskunft: 129 der ukrainischen Kriegsflüchtlinge besuchen ein Gymnasium in Braunschweig, 94 eine Gesamtschule, 66 eine Realschule, 16 eine Hauptschule, 16 eine Grund- und Hauptschule, 5 eine Förderschule (Stand 8. September).

Sandra Dittmann, Leiterin des Fachbereichs Schule, sagte im Schulausschuss, sie gehe davon aus, dass rund 200 weitere, meist ältere Schüler und Schülerinnen, am Online-Unterricht ihrer Schule in der Ukraine teilnehmen. Auch für ukrainische Kinder und Jugendliche gilt mittlerweile die Schulpflicht. In Braunschweig erfolgt die Verteilung auf die Schulen zentral.

Vorbereitungskurse für Schüler laufen, doch die Warteliste ist lang

Wie können die Kriegsflüchtlinge in den hiesigen Unterricht bestmöglich integriert werden?Die VHS bietet seit Mai Kurse an, in denen die Schüler ihre Deutschkenntnisse verbessern können und auf die Schule vorbereitet werden. Die ersten beiden Kurse sind abgeschlossen, drei Kurse laufen und drei weitere sollen laut Dittmann bis November folgen. „Die Kurse für 2022 sind voll belegt. 28 Schüler und Schülerinnen stehen auf der Warteliste“, fasst die Fachbereichsleiterin zusammen.

Und wie läuft es in der Praxis, in den Schulen? Andreas Meisner, Leiter der IGS Franzsches Feld, die bislang 21 ukrainische Schüler aufgenommen hat, formuliert es so: „Wir nehmen sie auf und fördern sie, so gut wir können.“ Es werde mit Google-Übersetzung und Arbeitsblättern in ukrainischer Sprache gearbeitet. Meisner: „Es ist eine Herausforderung: Die Bedürfnisse sind sehr unterschiedlich.“

Für Schulen ist die große Vielfalt eine Herausforderung

Zum einen sei die Ausgangslage sehr verschieden: „Manche sprechen schon ganz gut Deutsch, andere kennen nur das kyrillische Alphabet, sprechen ausschließlich Russisch oder Ukrainisch. Einige wollen hier in die Oberstufe, andere sind traumatisiert, mitten in der Pubertät oder wollen nur zurück in ihre Heimat“, gibt Meisner Beispiele. Von diesen Faktoren hänge auch ab, wie groß die Bereitschaft sei, eine neue Sprache zu lernen.

Ukrainische Schüler werden in den meisten Schulen auf die bestehenden Klassen verteilt und nehmen im Klassenverband am Unterricht in deutscher Sprache teil. Zudem erhalten sie DAZ-Unterricht: DAZ steht für „Deutsch als Zweitsprache“.

Der Lehrer- und Fachkräftemangel erschwert die Förderung der Kinder

So läuft es auch an der Wilhelm-Bracke-Gesamtschule. 23 Jugendliche aus der Ukraine konnte die Schule bisher aufnehmen, andere mussten abgelehnt werden, da es keine freien Plätze gibt. Die IGS in der Weststadt ist bei ukrainischen Familien gefragt, da sie Russisch als zweite Fremdsprache und auch als Abi-Fach anbietet.

Zwei Studenten betreuen als befristete Kräfte die beiden „Willkommenskurse“, ansonsten werde die zusätzliche Herausforderung zum Großteil „mit Bordmitteln“ bestritten, wie Schulleiterin Nadine Diekmann sagt. Sie betont: „Wir helfen den Menschen aus den Kriegsgebieten gerne und so gut wir können.“ Dass das durchaus eine Herausforderung ist und eine Menge Arbeit bedeutet, schwingt in ihren Worten mit.

Bei einigen Flüchtlingen scheitert jede Übersetzungs-App

An der Grund- und Hauptschule Pestalozzistraße werden aktuell 15 Flüchtlingskinder aus der Ukraine unterrichtet. Bei manchen sei alles „top und fein“, sagt Schulleiter Till Rückriem. Mit einigen Kindern sei es aber auch schwieriger: Einige Schüler aus der Ukraine, die der ethnischen Minderheit der Roma angehören, hätten „noch nie eine Schulbank gedrückt“, seien Analphabeten. „Es ist schwierig, diese Schüler zu erreichen. Zumal keine Übersetzungs-App die Sprache kennt, die sie sprechen“, verdeutlicht der Schulleiter.

Für das Kollegium sei diese Vielfalt ein immenser Kraftakt. Rückriem betont: „Wir nehmen diese Herausforderung an. Alle sind bemüht. Mit mehr Personal könnte es noch besser gelingen.“ Sprachförderstunden würden zwar beantragt und genehmigt, aber oft gelinge es nicht, sie personell zu besetzen: Hier schlägt der Lehrer- und Fachkräftemangel empfindlich zu. Rückriem war deshalb froh, als er Anfang dieser Woche erfuhr, dass einige seiner Schüler einen Sprachkurs besuchen können, der an der Hauptschule Sophienstraße neu eingerichtet wurde: „Das ist eine große Erleichterung für uns!“

Absehbar ist, dass die Zahl der ukrainischen Kinder an Braunschweigs Schulen nochmal steigen wird, darauf wies Sandra Dittmann im Ausschuss hin: Da die Stadt anfangs sehr viele Kriegsvertriebene aufgenommen hatte, war sie ab Mai zunächst von Zuweisungen des Landes befreit worden. Diesen Zuweisungsstopp hat das Land vergangene Woche beendet. Die Stadt nimmt weitere Familien auf.

Lesen Sie mehr: