Braunschweig. Für rund 2000 Kinder in Braunschweig beginnt der sogenannte Ernst des Lebens. 20 von ihnen haben wir dabei begleitet.

Tja, so sieht also der sogenannte Ernst des Lebens aus. Ganz schön schön, bunt und fröhlich. Und auch ein bisschen ernst, eher fürsorglich. Alle aufgeregt, Kinder, Eltern, Kollegium. Schließlich ist das ein Moment fürs Leben. Einschulung!

Heile Welt: Tafelbild in der neuen 1a der Offenen Ganztagsgrundschule (OGS) Rühme.
Heile Welt: Tafelbild in der neuen 1a der Offenen Ganztagsgrundschule (OGS) Rühme. © Henning Noske

Samstag, 8.30 Uhr. Da also in der Turnhalle der Offenen Ganztagsgrundschule (OGS) Rühme steht sie, die frischgebackene 1a. Also gleich ist sie das, in wenigen Minuten. Vorher sagt Schulleiterin Sima von Lacroix: „Schaut sie euch nochmal an. Im nächsten Moment sind sie Schulkinder.“

Da schlucken sie im Publikum, Papa, Mama, Opa, Oma. Und noch ein paar mehr. Die Schule hat acht Begleitpersonen pro Kind zugelassen, schließlich ist das Leben heute ja bunt und vielfältig. 20 Gleich-Schulkinder jetzt unterwegs zum Klassenzimmer, angeführt von Klassenlehrerin Mareike Blachnik – und fürsorglich umringt von noch ein paar Kolleginnen, die diese kleine Herde sicher leiten. Neue Wege, die man sich einprägen wird.

Der erste Einzug ins Klassenzimmer gelingt mustergültig.
Der erste Einzug ins Klassenzimmer gelingt mustergültig. © Henning Noske

Die Szene hat etwas Andächtiges. So geht es allen, die dabei sind. Da draußen geht grad manches zu Bruch an Vertrautheiten und Gewissheiten, mancher glaubt gerade, es wird ein bisschen viel. Aber hier drinnen, Klasse 1a, OGS Rühme, 1. Schulstunde, geht’s zurück zum Ursprung: Lernen!

Der Löwe lernt jetzt das Schreiben. Dann kann er auch lesen. Und vielleicht Frieden halten und Freundschaft knüpfen

Das ist übrigens gar nicht schlimm, sondern die Lösung. Der Löwe, dieser Trottel, kann nicht lesen und schreiben, hatten gerade noch bunt kostümierte Viertklässler von der 4a auf der Turnhallenbühne so köstlich vorgespielt. Und so kann er nicht Frieden halten und Freundschaft knüpfen. Übrigens ist der Löwe am Ende doch nicht so blöd, er lernt jetzt das Schreiben. Und dann kann man auch lesen.

Damit wäre in der 1a eigentlich schon alles gesagt, wo sie jetzt Stifte aus den akkurat in einer Reihe abgestellten Ranzen holen sollen. Heißt das eigentlich noch so? Mit ihren monströsen Backpacks schwanken die Kleinen übern Schulhof wie Astronauten über die Mondoberfläche.

Darum geht’s hier ab sofort: das A und O von A bis Z.
Darum geht’s hier ab sofort: das A und O von A bis Z. © Henning Noske

Doch nun zum Alphabet, dem Code für Frieden, falls man’s nicht missbraucht. Das soll auch vorkommen. Mit einem großen Oh fängt es an. Oh! Linksrum oder rechtsrum? Das sind so die Fragen. Ich beobachte Ivan von hinten, er fängt gar nicht an. Alle anderen schreiben schon das „O“ wie die Weltmeister. Später erfahre ich: Ivan kann noch kein Deutsch. Er wird mit drei weiteren Flüchtlingskindern aus der Ukraine in die 1a eingeschult, in Rühme, Deutschland, Frieden, heile Welt.

Ja, das ist es. Einem Mädchen fällt das Blatt herunter, der Junge nebenan hebt es auf. „Frau Blachnik, ich brauche Hilfe“, hören wir von schräg hinten, da geht das Mäppchen noch nicht richtig auf. Und, ja, ein Papa hatte den roten Schnellhefter noch nicht mitgegeben, in dem jetzt schon mal das „O“ zur Ablage kommt. Bald noch ein paar mehr. Und die fehlende rote Mappe, sie kommt auch noch an Land.

Die Schule muss den Unterricht „Deutsch als Zweitsprache“ weiter ausbauen. Ohne zusätzliche Stunden wird es nicht gehen

Jetzt legt Ivan los. Sein „O“ nimmt Formen an, da sind die anderen schon im Aufbruch. Mit einer Schulstunde soll es heute sein Bewenden haben. Am Montag geht’s weiter. Schulleiterin Sima von Lacroix schmiedet Pläne, wie sie den Unterricht „Deutsch als Zweitsprache“ weiter ausbauen kann. Und muss. Ohne zusätzliche Stunden wird es nicht gehen.

20 Kinder, 1a Hoffnung. Geborgenheit in dieser Schule, Lehrerinnen und Lehrer, die für ihren Job brennen. Irgendwie gehen alle Beteiligten gestärkt aus diesem Tag, obwohl da ja jetzt noch viel kommt im Leben, ganz viel. Und gleich, 10.30 Uhr, nochmal 18 frischgebackene Schulkinder, die 1b in Rühme. Und insgesamt rund 2000 in der ganzen Stadt.

Was ist jetzt das Wichtigste? „Wir haben als Gesellschaft eine Verantwortung. Wenn wir da nicht in Schule investieren, dann investieren wir nicht in unsere Zukunft“, sagt die Schulleiterin. Gerade teilt sie als Erinnerung Radiergummi-Bienen an die Jetzt-sind-sie-endlich-Schulkinder aus. Schließlich ist die OGS Rühme Umweltschule, man sieht das schon an den Hochbeeten und Fledermauskästen. Schule, erklärt sie den Kindern noch, ist wie ein Bienenstock. Alle halten sich an ihre Aufgaben.