Braunschweig. Besuch bei fünf Ukrainerinnen. Neben großer Dankbarkeit wächst die Sehnsucht nach zu Hause jeden Tag. Sie versuchen, sich abzulenken. Gelingt das?

Die Flüchtlinge aus der Ukraine gehören inzwischen zu Braunschweig. Fast fünf Monate währt der Krieg schon. Wir haben drei geflohene Frauen und ihre Kinder besucht, die im Februar geflohen sind. Sie sind dankbar für die herzliche Aufnahme, aber sie wollen ihr altes Leben zurück. Sie leben einen Alltag zwischen Bangen und Hoffen. Das Warten zehrt an den Nerven.

Nataliia, Karina und Larysa sitzen gemeinsam um den Kaffeetisch, Kuchen und Kekse stehen bereit, Blumen leuchten in der Vase. Gelbe Blumen, die Vase ist mit einer blauen Schleife geschmückt. „Sieht man das auf dem Foto?“, fragt Larysa und dreht die Vase zum Fotografen. Die Farben Blau-Gelb sind den Frauen wichtig. Die Farben der Ukraine. Ihrem Zuhause.

Auch die 14-jährige Diana, Nataschas Tochter, ist dabei. Eigentlich sollte es ihre Geschichte werden. Über ihren Besuch in der Kunstschule Buntich, ihr Talent, ihre Erfolge. Aber Diana ist sehr still, sehr ernst. Wie alle im Raum kämpft sie mit Erinnerungen und der Sehnsucht nach der Heimat.

Das gemeinsame Kochen und Backen hat abgelenkt

Die Braunschweigerin Maria Meibohm ist ebenfalls zu Gast. Sie hat gemeinsam mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern die Flüchtlinge aus der Ukraine für mehrere Wochen in ihrem Haus in Veltheim und ihrem Leben aufgenommen. „Es war so eine herzliche und schöne Gemeinschaft“, schwärmt Maria Meibohm und erzählt von gemeinsamen Ausflügen, von Pfannkuchen mit Hüttenkäse und von spektakulären Sahnetorten: „Natascha und Karina sind begnadete Bäckerinnen.“

Maria Meibohm ist die Tochter von Joachim Wrensch und hat Anfang des Jahres die Nachfolge ihres Vaters in der Buchhandlung Graff in der Innenstadt angetreten. Da war klar, dass sie schnell auch ukrainische Kochbücher besorgen konnte. Das gemeinsame Kochen und Backen hat abgelenkt und Freude geschenkt.

„Meinem Mann und mir war bei Ausbruch des Krieges klar, dass wir helfen wollten“, erzählt sie. „Schon am ersten Abend spielten unsere Kinder mit den Neuankömmlingen Zlata (7) und Gleb (8) in unserem Wohnzimmer Verstecken“, erinnert sich Maria Meibohm noch genau. Viele Familien in Veltheim haben Flüchtlinge aufgenommen. „Gefühlt hat sich das ganze Dorf zusammengeschlossen, um die Menschen aus dem Kriegsgebiet aufzunehmen und ihnen das Leben zu erleichtern“, beschreibt Meibohm. Kleidung, fehlende Einrichtung, Spielzeug und vieles mehr wurde organisiert.

Malen gegen Heimweh: Diana Metelska (v. li.), Maria Meibohm, Marie Anthon und Delia Pauls (Kunstschule Buntich).
Malen gegen Heimweh: Diana Metelska (v. li.), Maria Meibohm, Marie Anthon und Delia Pauls (Kunstschule Buntich). © Buntich

Anfangs gab es noch Onlineunterricht aus der Ukraine

Inzwischen konnten Nataliia und Karina mit ihren Kindern aus Veltheim in eine Wohnung auf dem Rittergut in Lucklum umziehen. Die Kinder gehen in die Schule nach Sickte, beziehungsweise Dettum. Auch das funktioniert reibungslos, die Fahrt mit dem Schulbus klappt gut.

„Für die Kleinen ist das Leben in der Fremde einfacher, aber für ein Mädchen wie Diana ist es schwer“, hatte Maria Meibohm beobachtet. Zwar gab es anfangs noch Onlineunterricht aus der Ukraine, auch Deutschunterricht war schnell organisiert. Dennoch, die 14-Jährige hat häufig Leerlauf. Maria Meibohm hört aus Gesprächen, dass Diana sich zu Hause sehr für Kunst interessiert hatte. Da sieht sie einen Ansatzpunkt, um dem Mädchen das Leben in der Fremde ein wenig zu erleichtern.

„Über meinen Vater bin ich in Kontakt mit der Jugendkunstschule Buntich gekommen, die haben Diana direkt in einen Kurs speziell für Jugendliche aufgenommen.“ Wie das für sie war? „Gut“ sagt Diana leise. Sie spricht schon ganz gut Deutsch. Wenn sie denn spricht.

„Die Frauen werden apathisch, sie verlieren ihren Lebensmut“

„Gerade die Jugendlichen werden immer stiller“, beschreibt Larysa Tkachuk, die an diesem Tag übersetzt, das Problem, „sie sehnen sich zurück in ihr altes Leben.“ Auch den jungen Müttern Nataliia und Karina ist die Sorge um ihre Heimat anzumerken. Immer wieder während des Gesprächs fließen Tränen. „Es sind jetzt schon so viele Wochen“, sagen sie, „wir wollen wieder nach Hause.“ Sie haben ein intaktes Leben hinter sich gelassen, haben Berufe, eigene Unternehmen.

„Am Anfang waren sie noch voller Zuversicht, dass sie nur für kurze Zeit die Ukraine verlassen“, beschreibt Larysa Tkachuk die Stimmung. „Es wird mit jedem Tag schlimmer“, fügt sie hinzu, „die Frauen werden apathisch, sie verlieren ihren Lebensmut.“ Dazu kommen fast jeden Tag neue Informationen über das Leben in der Heimat. „Wir hören von unglaublichen Gräueltaten“, sagt Larysa Tkachuk, „es ist kaum auszuhalten.“

Ukrainerin: Wir sind bereit zu sterben

Larysa Tkachuk, die in der Ukraine Deutsch unterrichtete, versucht mit allen Mitteln gegen die aufsteigenden Depressionen anzukämpfen. Sie mobilisiert, sie organisiert Treffen und Konzerte, kürzlich war sie auf einer Demonstration in Hannover. „Der Bürgermeister dort hat uns versprochen, dass unsere Heimatstadt Mykoljiw Partnerstadt von Hannover wird“, erzählt sie, „das macht uns Mut.“

Was kann noch helfen? „Wir haben hier genug von allem zum Leben“, sagt sie, „wir sind sehr herzlich aufgenommen worden. Wenn die Deutschen noch etwas geben können und wollen, dann unterstützt unsere Armee. Autos, Funkgeräte, Geld, sie brauchen alles.“

Ob sie sich einen diplomatischen Weg vorstellen kann zur Beendigung des Krieges? Ein Zugeständnis der Ukraine? „Stellen Sie sich vor, ein Fremder kommt in Ihre Wohnung und sagt: Entweder vergewaltige ich Ihre Tochter oder ich bringe die ganze Familie um. Wofür entscheiden Sie sich? So ist Russland in unser Land gekommen. Wir sind bereit zu sterben.“

Die Jugendkunstschule Buntich bietet mit Unterstützung der Öffentlichen Versicherung einen kostenlosen Kursus an, in dem ukrainische Flüchtlinge jedes Alters verschiedene Mal- und Zeichentechniken ausprobieren können. Beginn ist nach den Sommerferien, immer freitags von 15 bis 16.30 Uhr. Anmeldungen: info@buntich-online.de oder Telefon 0531/81772.