Braunschweig. St. Magni in Braunschweig als Tangokirche: Das Mittelschiff des Gotteshauses war jetzt erneut Schauplatz einer „Magnilonga“.

Ein Sommerabend, an dem der Tango glüht. Bei soviel Nähe muss keine Seele mehr frieren. Das Mittelschiff von St. Magni: leergeräumt. Neunzig Quadratmeter Parkettboden füllen sich mit Tanzpaaren, sparsam beleuchtet. Viele Gäste sind von auswärts da. Bitte auffordern.

Und so entsteht dieses Spiel von Nähe und Fremdheit. Wie bald man doch bei drei, vier gemeinsamen Tänzen glücklich werden kann. Nach der ersten „Magnilonga“ 2019 war gleich die Lust da auf eine Fortsetzung. Um so sehnsüchtiger wurde nach den Entbehrungen der Pandemie die „Magnilonga“ 2022 erwartet.

Die Initiatoren des „Magnilonga“ sind Christian Horn und Henning Böger

Ein Wort als Liaison von Magnikirche und Milonga. Eine Milonga ist ein Abend, an dem Tango Argentino getanzt wird. Dass mit Milonga auch die flotte Frühform des Tango Argentino bezeichnet wird, mag manche verwirren. Die Initiatoren der „Magnilonga“ sind Christian Horn, Solobassist des Staatsorchesters und Tango-Bandoneónist, sowie Magni-Pastor Henning Böger.

Glaube und Tango: Passt das eigentlich zusammen? Bänke und Stühle in den Kirchen sorgen ja dafür, dass keiner, der im Leben auf Sinnsuche ist, einen Schritt zu weit gehen kann.

Das Wort Gottes wird im Sitzen entgegengenommen, was in progressiven evangelischen und katholischen Gemeinden schon mal in Frage gestellt wird.

Man sollte wissen, dass in der Bibel nicht wenig getanzt wird. König David drehte des Öfteren Pirouetten vor Freude. In manchen Psalmen wurde ein Gebet in einen Tanz verwandelt. Bei unseren Recherchen sind wir schließlich bei Kirchenvater Augustinus gelandet, von dem folgendes Zitat überliefert ist: „Ich lobe den Tanz, denn er befreit den Menschen von der Schwere der Dinge.“ Es genügt also nicht, die Welt nur mit innerer Bewegung zu betrachten.

Beim Tango, Weltkulturerbe seit 2009, geschieht ja noch mehr. Man liegt sich buchstäblich in den Armen. Eigentlich eine Überschreitung der Intimitätsgrenze, wenn man sich nicht kennt. Aber der Respekt füreinander hilft. Am Ende machen die Rituale, dass Leben und Tanz getrennt bleiben.

Dieser Abend in St. Magni ist ein Gesamtkunstwerk. Eingebunden: Künstlerinnen und Künstler der Region

Einer der klügsten argentinischen Tänzer, Carlos Gavito (1942 – 2005), hat uns eine schöne Erklärung für das Geheimnis des Tangos geschenkt: „Das Wichtigste ist, es zu wissen, warum wir tanzen wollen. Wir tanzen die Einsamkeit in uns, die wir durch nichts kompensieren können. Diese Lücke, in deren Leere wir Bewegung bringen, ist der Tango.“ Und mit diesen Empfindungen sind wir in einer Kirche wunderbar aufgehoben.

Dieser Abend in St. Magni ist ein Gesamtkunstwerk. Eingebunden: Künstlerinnen und Künstler der Region. Das Profipaar Francesc Marsal und Manuela Marcé tanzt den Tango in schönster Anmut. Ein Abend auch der überraschenden musikalischen Ausflüge. Christian Horn, Spezialist für Alte Musik, stellt einige dem Tango seelisch verwandte Stücke des Barocks vor, ein Madrigal von Claudio Monteverdi und Lieder von John Dowland.

Das Vorspiel von Wagners „Tristan und Isolde“ ist eines der großen Sehnsuchtsmotive der Musikgeschichte. Hier von Christian Horn in einer Bearbeitung für das Bandoneón gespielt.

Ein Abend als Inspiration auch für jene, die meinen, der Tangotanz sei zu schwer. Wer vorab so resigniert, kennt die Belohnung nicht nach vielen Stunden des Übens.

Man kann den Anspruch auch etwas tiefer hängen. Der schönste Tango ist der, den man selber tanzt.

Einige, die man in der Magnikirche sieht, besuchen am Sonntagabend das Kulttheater. Tango Open Air. Und am Ende des Abends singt der Tenor Thomas Paul eines der großen Sehnsuchtslieder des Tangos, Carlos Cardels „El dia que me quieras“ – Der Tag, an dem du mich willst.