Braunschweig. Eine Ausstellung mit großformatigen Bildern auf Lkw-Planen und erschütternden Zitaten im Braunschweiger Prinzenpark rüttelt auf.

„Sie wollen nur lernen und Spaß haben. Wir müssen die Kinder aus dieser Hölle hinausbringen“, heißt es in einem Zitat aus dem Flüchtlingslager Mori. „Das Meer zwischen der Türkei und Griechenland ist ein schwarzes Wasser voller Tod und Leichen. Menschen starben, weil die Priorität in Europa die Kontrolle der Grenzen ist und nicht die Rettung von Leben“, lesen wir in einem Gedicht von Parwana Amiri.

Diese und etliche andere Zitate, die das Erschrecken über die grauenvollen Zustände und Flüchtlingsschicksale an den Grenzen Europas ausdrücken und mit beklemmenden Fotos in Verbindung setzen, kann man jetzt im Prinzenpark in den Bäumen auf großformatigen Lkw-Planen auf sich wirken lassen.

Verein Seebrücke: Seit 2014 sind fast 25.000 Menschen auf der Flucht ertrunken

Eine Aktion der Braunschweiger Seebrücke, die die bemerkenswerte Schau wie eine Allee des Elends und der Not, aber auch als Appell an Menschlichkeit und Verantwortung jetzt am Skaterplatz (Rollschuhplatz) Prinzenpark in der Verlängerung zur Herzogin-Elisabeth-Straße inszenierte, da, wo immer ein Eiswagen steht.

Heile Welt, während an unseren Grenzen Menschen sterben und in hermetisch abgeriegelten Flüchtlingslagern menschenunwürdige Zustände herrschen. Das ist die Botschaft. Im Mittelmeer seien seit 2014 fast 25.000 Menschen auf der Flucht ertrunken, diese Zahl mache man sich hierzulande kaum bewusst, heißt es beim Verein Seebrücke.

Mehr noch: Eine Summe aus ökonomischen, politischen und jetzt auch in Europa kriegerischen Ursachen führe in großen Teilen der Welt zu gewaltsamen Konflikten, Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen – und damit zu einer Spirale der Verzweiflung, die sich wiederum in immer höheren Flüchtlingszahlen widerspiegelt.

Was man dagegen tun kann, wie man sich dagegen wehren kann, was wirklich hilft, welche Aktionen tatsächlich zielführend sind, darüber gehen die Meinungen auseinander, auch in den unterschiedlichsten Lagern, die sich der Flüchtlingshilfe verschrieben haben. Indes fange es damit an, Bewusstsein zu schaffen, Menschen zu erreichen, wo immer es geht, am Arbeitsplatz, im Bus, im Freundeskreis, täglich, das ist eine der Herangehensweisen der Seebrücke.

Russlands Überfall auf die Ukraine hat das Flüchtlingsproblem weiter verschärft

Wir kommen gerade vom Domplatz/Fritz-Bauer-Platz, wo Artikel 1 Grundgesetz draußen ans Gerichtsgebäude gemeißelt ist: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Im Prinzenpark bei der Seebrücke angekommen, lesen wir: Die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar, unabhängig vom Pass. Das ist der Spagat.

Und gerade wird er noch schwieriger, weil einerseits Russlands Überfall auf die Ukraine das Flüchtlingsproblem massiv verschärft, andererseits die Erkenntnis, dass es offenbar Flüchtlinge erster und zweiter Klasse gibt, mit Händen zu greifen ist. Auch dagegen und die zugrundeliegenden Motive richten sich die Streiter der Seebrücke, fordern Gerechtigkeit, müssen aber auch erkennen, dass die Möglichkeiten der Unterbringung in Städten wie Braunschweig an ihre Grenzen gekommen sind.

Diskussion zur Eröffnung mit (von links): Holger Herlitschke (Stadt Braunschweig), Moderatorin Mimi Lange, Sahra Nell (Seebrücke) und Marco Frank (Refugium Flüchtlingshilfe).
Diskussion zur Eröffnung mit (von links): Holger Herlitschke (Stadt Braunschweig), Moderatorin Mimi Lange, Sahra Nell (Seebrücke) und Marco Frank (Refugium Flüchtlingshilfe). © regios24 | Stefan Lohmann

Zwar kann der städtische Dezernent Holger Herlitschke, der zur Ausstellungseröffnung gekommen ist, auf die Stadt „als Leuchtturm bei der dezentralen Flüchtlingsunterbringung“ verweisen, was allgemein akzeptiert wird. Aber jetzt gehe er davon aus, „dass wir einige 100 Plätze dazubauen müssen“.

Braunschweig ist „Sicherer Hafen“, aber die Umsetzung wird schwer

„Du sollst nicht ertrinken lassen“, steht auf einem großformatigen Plakat am Rande. Immerhin hat der Braunschweiger Rat ja die Stadt bereits als „Sicheren Hafen“ deklariert, ist auch dem Bündnis „Städte sicherer Häfen“ beigetreten, hat die Potsdamer Erklärung mitunterzeichnet. Die Städte erklären sich da bereit, mehr Menschen aufzunehmen, als ihnen durch die Verteilungsquoten für Flüchtende zugewiesen werden. Das wird schwer.

„Tausende von uns werden als nutzlos angesehen, wir, die wir einst die Arbeitskräfte waren, das Rückgrat unseres Landes und seiner Wirtschaft … Ein Geflüchteter ist ein Mensch wie jeder andere, voller Träume, voller Sehnsüchte und voller Erwartungen, die er erfüllt sehen will“, schreibt Dichterin Parwana Amiri im Prinzenpark.

Sie ist übrigens ein 18-jähriges Mädchen aus Afghanistan, lebt im griechischen Flüchtlingslager Ritsona, lesen wir auf einer der Lkw-Planen in den Bäumen.

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