Braunschweig. Der Eichenprozessionsspinner hat jetzt Saison – noch bis Ende Juli. Wir begeben uns auf Spurensuche.

Sei es auf Spazierwegen in Riddagshausen oder dicht bei Kindergärten, Sportplätzen, Schulen – derzeit sorgt ein Lebewesen mit sperrigem Namen für Alarmstimmung bei Bürgern und Behörden: Es ist der Eichenprozessionsspinner, nennen wir ihn wie die Fachleute kurz EPS. Es ist Natur. Und wir bewegen uns in der Natur. Klare Sache. Doch die feinen Spiegelhärchen der Raupen dieses Falters, auch Brennhaare genannt, enthalten Gift – und können Allergien und Hautreizungen auslösen.

Vorsicht ist geboten – hier am Reinertsteich in Riddagshausen.
Vorsicht ist geboten – hier am Reinertsteich in Riddagshausen. © Henning Noske

Auch in diesem Frühjahr musste die Stadt deshalb bereits an mehr als 20 Einsatzorten tätig werden – und gerade kommen täglich neue hinzu. An vielen Wegen warnen Schilder. Wie gefährlich ist es wirklich? Und ist es eigentlich mehr als früher?

Zwischen April und Ende Juli fliegen die feinen Härchen der Raupen, die ein Eiweißgift enthalten, herum

Wir sprechen mit Forstwissenschaftlerin Dr. Nadine Bräsicke von der Arbeitsgruppe Forstentomologie des Julius-Kühn-Instituts (JKI) am Messeweg. Von Panikmache hält sie nichts, aber man muss halt doch aufmerksam sein und sich an die Regeln halten, sagt sie. Zwischen April und Ende Juli können die feinen Härchen der Raupen, die ein Eiweißgift enthalten, gerade bei sonnigem und trockenem Wetter herumfliegen. Und die Nester an den Eichenstämmen enthalten besonders viel davon. Nicht anfassen!

Blicken wir gemeinsam mit Nadine Bräsicke auf die Populationsdynamik des EPS, dann wird vieles klar. Es ist ein Schmetterling. Irgendwann im Juni/Juli verpuppen sich die Raupen mit den fiesen Brennhärchen in ihrem Nest – und Falter schlüpfen und schwärmen nachts von Ende Juli bis Anfang September. Na ja, die paaren sich – und schon beginnt die Chose mit der Metamorphose.

In den Kronen und Ästen der Eiche und nur der Eiche werden die Eier abgelegt, ziemlich viele. Noch im Herbst entwickelt sich im Ei das Räupchen, überwintert dort bis zum Frühjahr, schlüpft ab Anfang April und durchläuft bis zur Verpuppung sechs Larvenstadien. In kuscheligen Familienverbänden ziehen sich die Raupen am Stamm in ihr Gespinstnest zurück.

Forstwissenschaftlerin Dr. Nadine Bräsicke vom JKI in Braunschweig.
Forstwissenschaftlerin Dr. Nadine Bräsicke vom JKI in Braunschweig. © Henning Noske

In der Dämmerung kriechen sie dann alle in Prozession hinauf in die Krone und fressen sich an leckeren Eichenblättern voll. Daher kommt der Name. Tatsächlich übrigens auch ein Forstschädling, denn in real existierenden Frühjahrsfraßgesellschaften, ja, so heißt das, mit anderen Insekten kann der EPS über die Jahre gesehen der Eiche gefährlich werden. Vor allem deshalb, weil er’s warm und trocken liebt – und das ist ja verstärkt im Kommen.

EPS-Alarm an der Bundesallee – dort soll bald das Schützenfest stattfinden

Aber mögliche Forstschäden sind nicht der Grund, warum wir an der Bundesallee in Höhe Festwiese weiterrecherchieren. Schließlich soll da demnächst ein Schützenfest stattfinden – und etliche Eichen direkt im Umfeld haben gerade EPS-Alarm. Da besteht für die Stadt Braunschweig Handlungsbedarf. „Dort und auch an Kitas, Schulen oder anderen Einrichtungen, die wir gemeldet bekommen, müssen die Nester wegen der Gesundheitsgefahr beseitigt werden“, erklärt Sprecher Rainer Keunecke.

An der Bundesallee treffen wir den Chef Dennis Grüttner von der gleichnamigen Baumservice-Spezialfirma aus Cremlingen mit seinem Team. Die Spezialisten haben den Auftrag von der Stadt bekommen – und derzeit täglich zu tun. Ein Hubsteiger ist im Einsatz, der hievt Baumpfleger Patrick Doenike in Vollschutzkleidung und mit Atemschutzmaske an den Einsatzort. Ein spezieller Sauger für Schadstoffe kommt zum Zug.

Einsatz am Schützenplatz an der Bundesallee: Mit Hubsteiger und Absauger rücken Spezialisten gegen ein Nest des Eichenprozessionsspinners vor.
Einsatz am Schützenplatz an der Bundesallee: Mit Hubsteiger und Absauger rücken Spezialisten gegen ein Nest des Eichenprozessionsspinners vor. © Bernward Comes

Die aufgesaugte Fracht wird später in der Müllverbrennungsanlage entsorgt. Unten steht Kollege Juri Schlegel, ebenfalls vollvermummt, bereit. Ein weiterer Kollege sichert an der Straße, es ist alles schon Routine in diesen Tagen. Und so geht es kräftig weiter. Auch im August, wenn die Falter wohl schon flattern, hören die Einsätze ja nicht auf. Denn – Achtung! – auch die leeren Nester enthalten noch massenhaft Brennhärchen.

Der Spinner profitiert besonders von milden, trockenen Wintern und warmen, trockenen Frühjahren

Ist heute alles schlimmer als früher? Nicht unbedingt, aber vielleicht. Früher stand der Eichenprozessionsspinner in Bayern sogar mal auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Aber das ist lange vorbei. Heute profitiert diese Art wohl besonders von milden, trockenen Wintern und warmen, trockenen Frühjahren. Das soll vorkommen. „Seit den 1990-er Jahren beobachtet man, dass der EPS häufiger und in größeren Populationen auftritt“, berichtet Forstwissenschaftlerin Nadine Bräsicke.

Sie rät dazu, konsequent ein noch ausstehendes besseres wissenschaftliches EPS-Monitoring zu etablieren. Dann erfährt man mehr über Populationsgrößen, wirksame Maßnahmen, kann bessere Prognosen stellen. Auch biologische Bekämpfungsmethoden werden erforscht oder schon angewandt. Aber wie gesagt: Es ist Natur. Und wir bewegen uns in ihr.

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