Braunschweig. Unser Kolumnist Luc Degla hat Kindern in seiner Heimatstadt ein Geschenk gemacht. Dort ist die Freude riesig – aber er findet das gar nicht gut.

Mein Vater lebt in Benin in einem ehemaligen Dorf, das mittlerweile zu einem Vorort der Hauptstadt geworden ist. Es ist ruhig, und ich liebe es, bei ihm im Wohnzimmer zu sitzen, weil ständig ein kühler Wind von einer Lagune herüberweht.

Das letzte Mal habe ich ihn im März besucht. Als ich mit einem Mietwagen ankam, hatten Kinder im Alter von zehn bis zwölf Jahren die Straße vor seinem Haus gesperrt und spielten Straßenfußball. Sie sahen den Wagen kommen und unterbrachen ihr Spiel. Ich stieg mitten auf dem „Spielfeld“ aus und grüßte sie.

Aus ihren befremdeten Blicken entnahm ich nicht nur die respektvolle Bewunderung für den „Europäer“, sondern auch die Befürchtung, dass der Fahrer den Mietwagen dort parkt und sie dadurch gezwungen seien, ihr Spiel anderswo fortzusetzen. Denn eine Berechtigung hatten sie nicht, um die Straße zu sperren. „So schnell kann Kräftemessen entstehen“, dachte ich und bat den Fahrer, das Spielfeld freizugeben. Die Kinder bedankten sich.

Mein Vater ist 80, das Haus ist nicht abgeschlossen

Als ich bei meinem Vater saß, flog der Ball irgendwann ins Haus. Es war ein alter Basketball. Ich beobachtete die Reaktion meines Vaters, der gelassen zusah, wie meine Nichte den Ball aufhob und wieder über die Mauer warf. Mein Vater ist 80, das Haus ist nicht abgeschlossen, das bedeutet, dass er keinen Einbrecher befürchtet.

Ich war von seinem Zusammenleben mit den Jugendlichen und dem Frieden mit seinen Nachbarn fasziniert. Nachdem ich ihn verlassen hatte und das Spiel durch mein Vorbeigehen erneut unterbrochen hatte, verabschiedeten sich die Jugendlichen höflich von mir: „Au revoir monsieur“. Ich grüßte zurück und rief ihnen zu, dass ich ihnen, sobald ich nach Deutschland zurückgekehrt sei, einen Fußball schicken würde.

Luc Degla hat im Benin Mathematik und in Moskau und Braunschweig Maschinenbau studiert. Der freie Autor lebt in Braunschweig.
Luc Degla hat im Benin Mathematik und in Moskau und Braunschweig Maschinenbau studiert. Der freie Autor lebt in Braunschweig. © Foto-Artmann

Wie kann ich mein Versprechen einlösen? Es ist nicht einfach, aus Deutschland ein Paket nach Benin zu schicken. Das ist nicht nur teuer, man ist auch nicht sicher, ob die Sendung ankommt. Dann bot sich eine Gelegenheit, als ich erfuhr, dass ein Landsmann nach Benin reist. Ich gab ihm Ball und Luftpumpe mit. Für mich war die Sache erledigt.

Werbung für Europa, die viele junge Menschen zum Auswandern animiert

Nun rief ich meinem Vater am Wochenende an. Während unseres Gesprächs fragte ich ihn, wie der Ball bei den Jugendlichen angekommen sei. „Ich warte, bis die Ferien kommen, bevor ich ihnen den Ball überreiche. Außerdem habe ich einem Bezirksrat Bescheid gesagt, damit der Ball während einer kleinen Zeremonie überreicht wird.“ Ich sagte: „Papa, es ist nur ein Ball, der gerade 20 Euro gekostet hat. Du kannst damit doch kein Brimborium veranstalten.“ „Doch, so machen wir das hier. Der Ball ist aus Braunschweig gekommen, er hat seinen Wert.“

Nachdem ich aufgelegt hatte, dachte ich darüber nach, was eine kleine Geste alles bewirken kann. Mir wäre lieber, dass er den Ball über die Mauer wirft und die Kinder damit spielen lässt. Eine Zeremonie wird meiner Meinung nach eine Werbung für Europa sein, die viele junge Menschen zum Auswandern animiert.

Denkmal für den „unbekannten Migranten“

Ich möchte nicht Teil dieser Werbung sein. Unter welchem Licht stünde ich dort, wenn der Bezirksrat seine Rede hält und von der großen Tat eines Beniners im Ausland spricht? Ich fürchte, dass die Kinder mich danach um Sportkleidung bitten, und – warum auch nicht – um einen Sportplatz.

Wenn mein Name dort in einer Rede offiziell genannt wird, dann muss es im Zusammenhang mit der Eröffnung eines Dokumentationszentrums über die aktuelle Migration nach Europa sein oder bei der Einweihung eines Denkmals für den „unbekannten Migranten“, wie das Grab des unbekannten Soldaten in vielen europäischen Hauptstädten. Nicht für die Übergabe eines 20 Euro teuren Fußballs.

Zwei Stunden nach unserem Telefonat rief ich meinen Vater nochmal an, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Er wollte mich nicht verstehen und blieb bei seiner Meinung. Ich rief meinen Neffen an und bat ihn, zu Opa zu gehen und den Ball einfach heimlich mitzunehmen.

Luc Degla hat im Benin Mathematik und in Moskau und Braunschweig Maschinenbau studiert. Der freie Autor lebt in Braunschweig. In seiner Kolumne beschreibt er sein Leben mit den Deutschen.

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