Braunschweig. „Wo das Verbrechen zu Hause ist“: Gästeführer Andreas Schwarz hat für seinen Radrundkurs durch Braunschweig ein Dutzend Fälle aufbereitet.

Der Mensch blickt nur zu gern in Abgründe : Jeden Abend wird in der Glotze gemeuchelt und gemordet. Serienweise. Auch wir sind dem Nervenkitzel ab und an nicht abgeneigt, und so haben wir uns für eine gruselige Fahrradtour in Braunschweig gemeldet. Bei Tageslicht wollen wir die dunkle Geschichte Braunschweigs erkunden. Andreas Schwarz, ein erfahrener Gästeführer, der sich gerne tief im Recherchematerial vergräbt, hat seinen Rundkurs „Wo das Verbrechen zu Hause ist“ überschrieben. Uns schaudert.

Auftakt ist am Hagenmarkt, und schon hier stellen wir fest, wie unaufmerksam Menschen wie wir durch die Stadt wandeln. Wir haben ihn nie wahrgenommen, diesen Gedenkstein zur Rechten Heinrichs neben dem Brunnen. Unscheinbar liegt er da, doch er zeugt davon, dass hier Blut geflossen ist. Viel Blut. Der Hagenmarkt war ein Hinrichtungsplatz.

Am 17. September 1604 musste dort auch der Bürgerhauptmann Henning Brabandt sein Leben lassen. Ein politisches Opfer, mit dem der erste Demokratisierungsversuch in Braunschweig im Keim erstickt werden sollte. Seine Peiniger folterten Brabandt bestialisch. Erst malträtiert mit glühenden Zangen, dann entmannt. Bei vollem Bewusstsein brach man seinen Brustkorb auf und riss das Herz heraus. Wenn Schwarz erzählt, gefriert das Blut in den Adern.

Krimi-Tour in Braunschweig: Geschichten aus sechs Jahrhunderten

Ein Dutzend Fälle hat der 48-jährige Gästeführer ausgegraben. Einige davon sind historisch. Schwarz hat im Stadtarchiv geforscht und in der Stadtbibliothek, hat digitale Bibliotheken durchforstet und alte Akten gesichtet, hat Zeitschriften durchblättert und etliche Artikel der Braunschweiger Zeitung ausgewertet. Satte zwei Stunden dauert diese Entdeckungstour der Grausamkeiten. Sie führt rund neun Kilometer vom Hagenmarkt über das Univiertel, eine Weile ringgleisig bis zur Celler Straße, von dort zum Rennelberg bis zur Echternstraße, hinüber ins Magniviertel, in den Theaterpark und zurück Richtung Hagenmarkt.

Stadtführer Andreas Schwarz berichtet nahe des Heizkraftwerks Mitte, dass im Mittelalter Menschen zur Strafe in die (stark verschmutzte) Oker getaucht wurden.  
Stadtführer Andreas Schwarz berichtet nahe des Heizkraftwerks Mitte, dass im Mittelalter Menschen zur Strafe in die (stark verschmutzte) Oker getaucht wurden.   © Ann Claire Richter

Eine schauerliche Strecke, die uns vor Augen führt, dass Braunschweig ein gefährliches Pflaster sein kann. Hinterlist und Heimtücke sind auch hier zu Hause, Gier und Mordlust. Das älteste Opfer unserer Tour mag eines der jüngsten sein. Elf Jahre alt. Eine Magd oder Prostituierte. 1424 umgebracht in der Echternstraße. Wahrscheinlich eine Waise. Eine Geschichte, die zu Herzen geht.

Derartige Leichen, um die sich kaum einer scherte, wurden für medizinische Lehrzwecke genutzt, lernen wir von unserem Führer. Der Schauplatz heißt hier: Gaußberg. Dort stand laut Schwarz das so genannte „Theatro anatomico“. Tote Gefangene, Bettelarme, Huren und Hurenkinder waren dort abzugeben. Zum Zwecke der Wissenschaft.

Das „Strafgesetzbuch“ Kaiser Karls V.

Die Tour lehrt uns an vielen Ecken, dass der Mensch mitleidlos und bestialisch sein kann. Auch in der Art, wie er Sünder behandelt. Sieben Arten der Todesstrafe weist die „Constitutio Criminalis Carolina“ aus, jene Gerichtsordnung, die Kaiser Karl V. 1532 erlassen hatte: Verbrennen, Enthaupten, Vierteilen, Rädern, Erhängen, Ertränken und lebendig Begraben. Diese Todesarten konnten laut Schwarz noch verschärft werden durch Schleifen auf einer Kuhhaut zur Richtstätte.

Doch auch wenn’s nicht gleich tödlich ans Leder ging, hatten die Menschen dereinst einige Phantasie in Sachen Bestrafung entwickelt. „In Körben tauchte man sie zur Abschreckung in die Oker“, erklärt uns Schwarz. Was sich zunächst harmlos anhören mag, hatte oft böse Folgen. „Das Wasser war damals stark mit Fäkalien verunreinigt.“ Ein Bad darin konnte schwere Krankheiten auslösen. Und dann eben auch tödlich enden.

Wir springen in der Zeit gedanklich hin und her, während wir von Tatort zu Tatort radeln. Wir erfahren vom Mord an der Verlegerin Helga Eckensberger, die 1973 in der Bismarckstraße 14 sterben musste. Die Hintergründe sind bis heute geheimnisvoll geblieben. Am Domplatz stehen wir wenig später vor dem Landgericht: Hier hatte 1950 der „Totmacher“ Rudolf Pleil seinen Prozess. Er gestand, 25 Menschen getötet zu haben. Der Serienmörder hatte sein Unwesen vor allem 1946/1947 im Zonenrandgebiet im Harz getrieben. Wieder fährt uns das Grauen in die Glieder.

Stadtführer Andreas Schwarz bei seiner Radtour „Wo das Verbrechen zu Hause ist“. Hier steht er vor der ehemaligen Polizeidienststelle am Madamenweg. 
Stadtführer Andreas Schwarz bei seiner Radtour „Wo das Verbrechen zu Hause ist“. Hier steht er vor der ehemaligen Polizeidienststelle am Madamenweg.  © Ann Claire Richter

Und dann erzählt uns Schwarz auch noch von Johann Adam Riechers. Der wurde 1772 vor den Toren der Stadt aufgeknüpft. „Sein Skelett konnte später im Museum betrachtet werden“, berichtet Schwarz. Möglich, dass der Aufgeknüpfte so lange am Galgen gebaumelt hatte, bis nur noch seine Knochen übrig geblieben waren.

Eine Tour für Hartgesottene. Spannend, informativ, nachhaltig. Wir hatten noch einige Tage daran zu knabbern.

Weitere Informationen gibt es unter www.braunschweig.reisen