Braunschweig. Mit „Grauen Bussen“ wurden die Patientinnen und Patienten der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Königslutter in die Gaskammer nach Bernburg gefahren.

Am 19. Mai 1941 – vor 80 Jahren – wurden 37 Frauen und 33 Männer, Patienten der Landes-Heil- und Pflegeanstalt (LHP) Königslutter, ermordet. Daran erinnerten am Mittwoch, dem Jahrestag, am Mahnmal für die „Euthanasie“-Opfer in Königslutter auch Braunschweiger und legten Blumen nieder.

Die Patienten der LHP wurden vor 80 Jahren mit zwei Bussen, die heute als „Graue Busse“ bezeichnet werden und symbolisch für die „Euthanasie“-Morde stehen, eng zusammengepfercht, teilweise stehend, nach Bernburg in Sachsen-Anhalt gefahren, wo sie sofort – noch am gleichen Tag – in der dortigen Gaskammer getötet wurden.

Es war der erste Transport der LHP Königslutter im Rahmen der so genannten „Euthanasie-Verbrechen“ im Deutschland des Nationalsozialismus, die zentral organisiert wurden aus der Berliner Tiergartenstraße 4 – und als „Aktion T4“ genannt in den Landes-Heil- und Pflegeanstalten deutschlandweit durchgeführt wurden.

Die Opfer waren Menschen aus der Region – sie konnten Nachbarn, Bekannte, Freunde gewesen sein

Bislang stand die LHP Königslutter eher im Fokus als so genannte „Zwischenanstalt“ zur Tarnung und zur Verschleierung der auch nach NS-Recht illegalen Aktion T4, wie mit Sebastian Barnstorf einer der Teilnehmer der Gedenkveranstaltung berichtet. Aber wie nach jüngsten Recherchen herausgefunden worden sei, fielen fast ebenso viele eigene Patienten aus Königslutter den Mordaktionen der Ärzte, Juristen und Verwaltungsbeamten zum Opfer.

Die 70 Menschen, deren Ermordung vor 80 Jahren jetzt gedacht wurde, waren Menschen aus der Region: Sie stammten u.a. aus Braunschweig, Königslutter, Schöningen, Wolfenbüttel und konnten Nachbarn, Bekannte, Freunde gewesen sein, bis sie psychisch erkrankten und in die Heilanstalt Königslutter kamen.

Götz van Ooyen vom Staatstheater Braunschweig verlas die Namen der ermordeten 70 Menschen.
Götz van Ooyen vom Staatstheater Braunschweig verlas die Namen der ermordeten 70 Menschen. © Privat

In der Folge (bis zum Gasmordstopp im August 1941) starben weitere 120 eigene Patienten. 234 Patienten anderer Anstalten kamen nach Königslutter, um kurz darauf in der Tötungsanstalt Bernburg vergast zu werden. So fielen nach den jüngsten Recherchen 424 Menschen dem Gasmord zum Opfer. Und auch noch später, nach dem August 1941 und dem Ende der „Aktion T4“, ging das Töten direkt in der Heil- und Pflegeanstalt durch Medikamente weiter.

Die Täter wurden nie zur Rechenschaft gezogen

„Wir haben hier und heute dieser Menschen gedacht, die sich schutzbedürftig, da krank und beeinträchtigt, in der Heilanstalt Königslutter befanden. Die dort von Ärzten, die dem hippokratischen Eid zum Schutz der Kranken verpflichtet waren, als angeblich ‚lebensunwert‘ eingestuft wurden. Und hier aktiv vor Ort zur Ermordung in Bernburg ‚ausgewählt‘ wurden. Die dann in der Gaskammer in Bernburg getötet wurden. Die Täter wurden nie zur Rechenschaft gezogen“, heißt es in einer Pressemitteilung der Teilnehmer.

Mit den nun akribisch recherchierten Namen der Ermordeten könnten ihre Einzelschicksale und die Erinnerung an ihr Leben, an ihre Existenz, wachgehalten werden. Das sei Auftrag und Verpflichtung gleichermaßen. Die Schicksale mahnten alle daran, dass so etwas nie wieder passieren könne und dürfe.

Götz van Ooyen vom Staatstheater Braunschweig verlas die Namen der ermordeten 70 Menschen. Am Donnerstag, 20. Mai, um 19 Uhr hält Susanne Weihmann im Rahmen der Vortragsreihe des Friedenszentrums Braunschweig einen Vortrag mit Buchvorstellung: „80 Jahre Krankenmord im Braunschweiger Land“ – online zu sehen über:

www.friedenszentrum.org