Am 6. Dezember kurz nach acht also wird diese Tür aus dem Inneren des Sockels geöffnet und heraus tritt – es kann nicht anders sein – der Zwerg.

Wir schreiben den 6. Dezember des Jahres 2020. Es ist kurz nach 20 Uhr. Der Burgplatz in Braunschweig wird von den Lampen spärlich beleuchtet. Eigentlich ist es dunkel. Und es ist still. Zwei in dem Zwielicht kaum unterscheidbare Menschengestalten hasten über den Platz, als müssten sie ganz schnell nach Hause. Weil es so still ist und sich gar nichts und niemand bewegt, kann das aufmerksame Auge wahrnehmen, dass sich in dieser Leere doch etwas tut, nämlich an der Schmalseite des Löwendenkmals. Eine Fläche unten im Sockel ungefähr von der Größe und vom Aussehen eines total überdimensionalen Ostereis kommt aus dem geschlossenen Stein heraus und schiebt sich quasi wie von Geisterhand zur Seite, so dass eine ovale Öffnung sichtbar wird. So ein Quatsch, möchte ein aufgeklärter Leser jetzt einwerfen. Aber ich sage: spätestens seit der Hobbit Bilbo mit Gandalf, dem Zauberer, und seiner Truppe die untere Eingangstür zum Einsamen Berg gesucht hat – dem Berg, in dem der Drache Smaug auf einem unermesslichen Goldschatz schläft – spätestens zu diesem Zeitpunkt war uns allen klar, dass es ein Volk gibt, das Türen in Gestein und Felsen einbauen kann, die kein Auge sieht und die nur durch Magie oder eben von den Erbauern geöffnet werden können. Und die Erbauer am Einsamen Berg und an seinem würdigen Gegenpart, dem uralten Löwen auf dem noch älteren Burgplatz, diese Erbauer sind niemand anderes als Zwerge. Am 6. Dezember kurz nach acht also wird diese Tür aus dem Inneren des Sockels geöffnet und heraus tritt – es kann nicht anders sein – der Zwerg. Nicht irgendein Zwerg, sondern DER Zwerg, wie man an seiner Mütze erkennt. Sie ist ein Mix aus Gold und Purpur und solche Mützen tragen nur die Chefs. Er tritt heraus, bleibt aber schon nach Sekunden im halben Schritt wie zu Stein erstarrt stehen und plumpst dann ohne jeden Umschweif auf seinen Allerwertesten. „O Gott o Gott, bei meinem Purpurmütze, bei meinen beschlagenen Stiefeln und bei meinem weißen Bart, was ist denn bloß passiert?“ Noch sitzt er da, ratlos, mützenlos (die knautscht er inzwischen ohne Erbarmen mit seinen kräftigen Zwergenhänden), sprachlos.

Das gibt uns die Zeit, eine Information nachzuliefern, ohne die unsere geneigte Leserin gar nicht nachvollziehen kann, um was es hier eigentlich geht. Zwerge gibt es schon immer in Braunschweig. Und bekanntlich werden sie ja auch sehr, sehr alt. 13 sind es in unserer Stadt. Ihre Wohnungen, alle verborgen, sind seit jeher in den alten Brunnen und Denkmälern. Ob es das Lessingdenkmal ist oder die Reiterstandbilder unserer berühmten Herzöge – übrigens hatte niemand vor deren Umzug vom Aufgang zum Löwenwall vor das neue Schloss auch nur daran gedacht, vielleicht einmal einen vorausschauenden Hinweis zur Planungssicherheit für die Zwerge zu hinterlassen –, viele unserer ganz besonderen Orte in Braunschweig beherbergen Zwergenwohnungen. Selbstverständlich sind diese Wohnungen unterirdisch in einem gut gebauten Netzwerk miteinander verbunden.