Braunschweig. Die Autoren der Braunschweiger Jugendredaktion fragen: Wie gut bereitet Schule aufs Leben vor? Lernen wir, was uns später weiterhilft?

Die Autoren der Braunschweiger Jugendredaktion befassen sich dieses Mal mit dem großen Thema Schule.

Von Aramis David: Synapsenfeuerwerk im Hirn

Als Kind war ich mir sicher, dass die Autoritäten unserer Gesellschaft nur das Beste für mich im Sinn haben. Damit meine ich die Lehrer und Direktoren der Schule, aber auch unsere Politiker. Wie sollte es auch anders sein? Wir leben in einer Demokratie, heißt es. Für wen sonst ist ein solches System ausgelegt, als für das Wohlergehen des Individuums der uns definierten Gruppe; unseres Landes.

Das heißt, dass die Schule als Institution mein volles Vertrauen während meiner Schulzeit genoss. Erst jetzt, wo ich meine 12-jährige Schulbildung im Braunschweiger Schulsystem absolviert habe, kommt es mir in den Sinn, meine Zeit dort kritisch zu sehen – in der ich mich von meiner Umwelt habe willig prägen lassen.

Keine „Organisation” nahm so viel Zeit meiner Jugend in Anspruch, nicht mal meine eigene Familie, und da finde ich das nur gerecht. Der Autor Johann Hari begründet in seinen Buch „Lost connections” die Gründe für die rekordhohen Depressions- und auch Substanzabhängigkeitsraten, die alle Generationen der Gegenwart plagen, dabei besonders meine Generation. Es ist erstaunlich, wie bestätigend für mich die Information war, dass in den Industrienationen die Lebenserwartung die letzten drei Jahre zurückgegangen sind.

Zum ersten Mal schnappte ich das vor einigen Monaten beim amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Andrew Yang auf. Das ist etwas spät nach drei Jahren Rückgang, meinen Sie nicht? Stellen Sie sich vor: In vielen deutschen Gemeinden ereilt die Menschen eher der Tod der Verzweiflung (etwa durch Überdosis oder bewussten Selbstmord), als das Wunder der Geburt. Sie haben richtig gelesen. Vielleicht ist unseren Nachrichten wichtiger, Angst mit der Außenpolitik zu schüren als sich für ihre Innenpolitik zu verantworten.

Laut Johann Hari und vielen führenden Psychologen weltweit ist das beste Umfeld zum Aufwachsen eines Kindes das, das dem eines „Stamm-Systems” unserer Vorzeit ähnelt. Das heißt, das Kind befindet sich in einem Umfeld von etwa 30 anderen Menschen, mit denen es emotionale Verbindungen aufbauen kann und sich so seine Tutoren selber sucht. Dabei ist für den Wissensaustausch wichtig, dass der Schüler dem Tutor vertraut und sich selber in ihm erkennt; sich in ihm „spiegelt”, wie es bei einer Freundschaft der Fall ist.

Heißt das, die Lehrer sollten die Freunde des Schülers sein? Aus Eigenerfahrung kann ich bestätigen, dass Lernen für mich am besten funktioniert, wenn die Lehrer-Schüler-Beziehung sich diesem Konzept zumindest annähert. Mein eigenes kritisches Hinterfragen verunsicherte mich: Haben unsere Gesellschaft und ihre Autoritätsfiguren (akademischer und politischer Natur) wirklich mein Wohlbefinden im Sinn? Ich komme mir zynisch vor, mir diese Frage in einer Demokratie ernsthaft zu stellen.

Um sie zu beantworten, stellen wir uns vor, wir seien in der Position dieser Figuren. Wir hinterfragen hier schließlich ihre Motive und das geht am besten, wenn wir uns in ihre Schuhe versetzen. Wäre ich Lehrer oder Politiker, so würde ich nicht nur die Meinung des Schülers konsultieren, sondern auch Psychologen und Forscher aller Disziplinen und würde dabei einen besonderen Fokus auf die Bewusstseinsforschung setzen. Mich würde interessieren: Wie lernt das Kind am besten, und wie fördere ich eine gesunde, emotionale Entwicklung im Sinne meines Erziehungsauftrages?

Zwar habe ich keinen wissenschaftlichen Abschluss, aber zumindest weiß ich Menschen mit einem solchen zu erkennen und ihre Meinung im Internet zu extrahieren. Legten wir Wert auf Wissenschaft in diesem Land, dann würden wir uns nicht nur ernsthafter mit dem Klimawandel beschäftigen, die Schule würde auch erst um 10 Uhr anfangen… Und, um ein effektives Lernen zu fördern, gäbe es die größte Bemühung, das Kind für den Lernstoff so zu begeistern. Da, sollte sich der Schüler im neurologischen „Spielmodus“ befinden, in seinem Hirn ein Synapsenfeuerwerk stattfindet. Deshalb würde auch hoher Wert auf Interessenförderung gesetzt werden.

Ein solches Schulsystem klingt mir fremd. Vielleicht sind unsere Lehrer und Politikern weniger an dem Wohlergehen unserer Gesellschaft interessiert als an… Geld?

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Von Lina Probst: Irrungen und Wirrungen im deutschen Schulsystem

Was sind denn Leistungskurse?“, fragt meine Kommilitonin und guckt überrascht. Gemeinsam mit ein paar Unifreunden diskutieren wir über das unübersichtliche deutsche Bildungssystem – wobei das Wort System einen deutlich geregelteren Eindruck erweckt, als es in Wirklichkeit der Fall ist. Wir kommen alle aus verschiedenen Bundesländern, und gerade, wenn es um die letzten zwei Schuljahre geht, fühlen sich die innerdeutschen Grenzen schon international an. „Naja, quasi die wichtigsten Kurse für das Abi, die doppelt gewertet werden “, setze ich zu einem Erklärungsversuch an.

„Ahhhh“, macht sie, als hätte ich irgendeine bahnbrechende Erkenntnis in ihrem Kopf freigesetzt. „Bei uns heißt das Profil“, entgegnet sie dann und fragt: „Wie viele Leistungskurse habt ihr denn?“ „Drei“, sage ich, als sich eine entsetzte Stimme einmischt: „Drei Leistungskurse? Wir haben nur zwei.“ Leicht irritiert antworte ich: „Aber ihr habt doch auch fünf Prüfungsfächer, richtig?“ „Ihr habt FÜNF Prüfungsfächer?“, mischt sich eine andere Stimme ein. „Wir haben nur vier“, verkündet sie dann.

Stirnrunzeln macht sich breit. Ein erneuter Erklärungsversuch meinerseits: „Naja, vier schriftliche und eine mündliche Prüfung“. „Wie mündlich?“, hakt meine Kommilitonin nach. „Also bekommt ihr ein Thema und müsst dann eine Präsentation vorbereiten?“ Verwirrtes Augenbrauenhochziehen meinerseits: „Äh, nein. Das ist eher wie eine Miniklausur, bei der wir Fragen bekommen und nach kurzer Vorbereitungszeit diese vor mehreren Lehrern beantworten müssen“, erkläre ich.

„Das habe ich ja noch nie gehört“, verkündet die erste Stimme. Die zweite wirft ein: „Aber G8 hattet ihr alle, oder?“ „Ich schon“, fange ich an, „aber das wurde erst ein paar Jahre vor uns eingeführt und ausprobiert – zwei Stufen unter mir gilt auch wieder G9.“

Als ich meinen Satz beendet habe brechen wir angesichts der Absurdität des Ganzen und der allgemein herrschenden Verwirrung in lautes Gelächter aus.

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Von Emily Gerdesmann: Mehr Praxisunterricht!

In der Schule lernen wir fürs Leben.“ Ha, schön wär’s! Während meines Praktikums in der Lokalredaktion der Braunschweiger Zeitung habe ich gelernt, wie man Menschen über wichtige Sachverhalte informiert und ihnen oft schwierige Themen näher bringt.

Durch kurze Sätze und einfache Sprache sollen die Leser sofort verstehen, worum es in dem Artikel geht. An diese Form des Textschreibens musste ich mich erst einmal gewöhnen, denn aus der Schule kenne ich ganz andere Anforderungen.

Dort wird uns seit Jahren eingebläut, bloß komplexe, verwickelte Hypotaxen mit vielen Fachwörtern, verbunden durch etliche Konjunktionen und verschönert durch kreative Attribute zu benutzen, so dass der Verwirrungsgrad beim Leser besonders hoch ist. Hauptsache, der Text hört sich schön kompliziert, steif und langweilig an, denn nur so erhält man angeblich die gewünschte Seriosität und Ernsthaftigkeit. Dass dieses hochwissenschaftliche Geschwafel aber eigentlich schon längst überholt ist und einem im alltäglichen Leben überhaupt nicht weiterhilft, das wird leider vergessen.

Ich bin jetzt 16 Jahre alt und gehe in die 11. Klasse des Gymnasiums Kleine Burg. Ich kann weder richtig kochen, noch kann ich irgendetwas im Haushalt reparieren, geschweige denn im Notfall an einem Menschen Erste Hilfe leisten. Dafür kann ich aber ein Gedicht in drei Sprachen analysieren und kann die Strukturformel von 3-Ethyl-2-Methylpentan aufzeichnen.

Klar sind theoretische Fähigkeiten wie Sprachgewandtheit, Meinungsbildung, strukturiertes Arbeiten oder mathematische Grundkenntnisse enorm wichtig und werden auch kontinuierlich im Unterricht geübt, aber es fehlen praxisorientierte Unterrichtseinheiten beispielsweise in den Bereichen Gesundheit und Ernährung, Handwerk oder Umgang mit digitalen Programmen.

Um die Schüler gut auf ihr Studium und Berufsleben vorzubereiten, braucht es ein ausgeglichenes Konzept aus Theorie- und Praxis, damit auch motorische Kompetenzen, wie zum Beispiel Fingerfertigkeit beim Nähen von Kleidung oder bei Gartenarbeit, erlernt werden.

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Von Katharina Möbius: Ein Schulfach für den Lebensalltag

Der Lehrplan ist die Grundlage für unseren Schulalltag. Gut verständlich und nach einem strikten System geordnet wird dort erklärt, was wer wann zu lernen hat. Im Vordergrund steht das Aneignen von Kompetenzen. Als Schüler vertrauen wir dem Land, unseren Lehrern und Eltern. Sie wissen, was wir für unser späteres Leben brauchen.

Oftmals schneller als erwartet ist die Schule geschafft. Dann fängt das eigene, selbstbestimmte Leben an. Viele ziehen aus, lernen einen Beruf, studieren oder erkunden erst einmal die Welt.

Plötzlich ist man Herr seiner Dinge und muss mit Haushalt, Finanzen und der Arbeit allein klar kommen. Dem einen fällt das leicht, doch der andere stößt schnell an seine Grenzen. Wie bedient man eine Waschmaschine? Wie kann ich den Riss in meiner Hose nähen? Wie schreibe ich eine Steuererklärung? Was kostet eigentlich eine Wohnung, Strom, Internet oder eine Versicherung? Was muss ich überhaupt versichern? Fragen über Fragen.

Das sind die Momente, in denen man sich wünscht: Hätte ich das doch bloß in der Schule gelernt! Je länger man darüber nachdenkt, desto attraktiver scheint so ein Fach für das alltägliche Leben zu sein. Lässt sich das in der Schule umsetzen? Und wo könnten diese neuen Inhalte ihren Platz im Lehrplan finden? Vielleicht sollte man die Inhalte im Lehrplan überdenken und im Hinblick auf ihre Brauchbarkeit kritisch hinterfragen.

Ja, alles kritisch hinterfragen. Das haben wir in der Schule gelernt – eine Kompetenz, die wir heutzutage gut gebrauchen können.

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Von Emily Buch: Besser ist nicht gut genug

Keine Frage, unser Schulsystem hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verbessert. Trotzdem läuft noch immer so viel falsch.

Wir haben Fragen, doch ihr hört uns nicht. Finden Antworten, aber ihr wollt sie nicht. Habt keine Zeit, seid überarbeitet, wer kann es euch verdenken. Tragt keine Schuld, doch genauso wenig wir. Habt uns erwachsen gemacht und doch immer klein gehalten. „Später, später!“ Wir haben es zugelassen.

Wir wollen so vieles, alles anders machen – „Lehrplan, Abi, jetzt reißt euch zusammen!“ – die Welt verändern, ja, wenn’s denn sein muss, aber doch bitte nach 16 Uhr.

Sorgt euch um Pisa, nicht um das Echte, das Traurige. Nicht darum, die Klassenfahrt mit Hartz IV zu bezahlen, nicht um Mobbing, Gewalt, alles, was nach Deutsch und Mathe passiert.

Ich bin unfair, ich weiß. Euer, unser System, nichts ist mehr wie früher, alles besser – doch ist besser gut? Vielleicht reicht es euch. Mir reicht’s jetzt auch!

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