Braunschweig. Zukunftsängste und die Sorge um Angehörige belasten etliche Menschen. Leiter Christian Kohn: Ein Gespräch kann helfen.

Bei Ängsten und Nöten kann die Telefon-Seelsorge ein wichtiger Anker sein. Die Gespräche drehen sich oft um Krankheiten, um Probleme in Familie und Partnerschaft, um Arbeitslosigkeit und Trauer. Seit Kurzem geht es auch um Corona. Pfarrer Christian Kohn, Leiter der Telefon-Seelsorge Braunschweig, erläutert im Interview, wie sein Team helfen kann.

Herr Kohn, wie sehr ist die Corona-Krise Thema bei den Anrufern?

Sehr stark. Etwa 50 Prozent der Gespräche drehen sich darum. Wir sind daher seit zwei Wochen auch tagsüber doppelt besetzt, was sonst nur zur Stoßzeit am Abend der Fall war.

Was genau sind die Sorgen der Menschen mit Blick auf Corona?

Es ist bislang weniger die Angst, selbst zu erkranken, sondern es geht vor allem um Zukunftsängste, Einkommenseinbußen, Jobverlust. Auch die Besuchsverbote in den Altenheimen treffen viele hart, sowohl die Bewohner als auch die Angehörigen. Die Einschränkungen des sozialen Lebens schlagen voll durch.

Corona in Braunschweig- Alle Fakten auf einen Blick

Wie kann die Telefon-Seelsorge da helfen?

Es gilt wie immer der Grundsatz: reden hilft. Gespräche sind vielleicht das stärkste Therapeutikum, das wir überhaupt besitzen. Beim Reden kann man Ängste, Ohnmacht und Sorgen teilen. Darauf basiert unsere Arbeit. Es tut gut, wenn man nicht allein darauf sitzen bleibt, wenn man nicht ständig dieselben quälenden Gedanken im Kopf rotieren lassen muss. Gespräche helfen, einiges zu sortieren, zu klären. Und auch der Humor ist ja nicht ausgestorben!

Nur sieht man den nicht, wenn man voller Angst und Sorge ist.

Zunächst nicht. Aber vielleicht entdeckt man ihn im Gespräch wieder. In der Gefahr wächst immer auch das Rettende. Wir entwickeln in dieser Krise vielleicht auch Resilienz, also Widerstandskraft, um das Ganze gut zu bewältigen, um gut damit umzugehen.

Das ist sicher dringend nötig. Viele Menschen sind jetzt sehr starken psychischen Belastungen ausgesetzt: Das sind existenzielle Nöte, da ist die große Sorge um Eltern und Großeltern, die man nicht sehen darf, da ist plötzlich die Enge zu Hause, Kinder müssen betreut werden, nebenbei für viele Homeoffice, da ist die Angst bei kranken oder älteren Menschen, sich anzustecken...

Ja, diese Situation ist ein Stresstest für uns alle. So können zum Beispiel durch die erzwungene räumliche Nähe Beziehungen belastet werden. Es können Streit und Ärger entstehen, weil man sich nicht aus dem Weg gehen kann. Nicht jeder hat einen Balkon oder einen Garten.

Was macht denn ein gutes, tröstendes oder stärkendes Gespräch aus – sowohl bei der Telefonseelsorge als auch im Alltag?

Ein gutes Gespräch ist zum Beispiel dann gegeben, wenn man den anderen nicht als Stichwortgeber für seine eigenen Gedanken benutzt. Man kennt das ja: Einer sagt was, und schon erzähle ich ausschweifend, was mich berührt. Aber darum geht es hier nicht. Es geht darum, dass man wirklich ganz aktiv die Gedanken und Emotionen des anderen wahrnimmt.

Coronavirus in der Region – hier finden Sie alle Informationen

Dieses Zuhören kann schwer sein...

Das stimmt, aber es ist wichtig. Wir diskutieren am Telefon auch nicht. Der andere soll spüren, dass er seinen Gedanken und Gefühlen Raum geben darf – und dass ich das ernst nehme, was ihm durch den Kopf geht. Wertfreies Zuhören ist entscheidend, ein Stück mitgehen mit der Perspektive des anderen, nicht gleich etwas dagegen auffahren. Und gerade jetzt in der Corona-Krise kann es helfen, dass wir alle in der gleichen Situation sind, dass wir gleichermaßen betroffen sind und unsere Unwissenheit gemeinsam aushalten.

Die Telefon-Seelsorge ist gebührenfrei rund um die Uhr erreichbar: 0800/1110111 und 0800/1110222. Anrufende werden nicht nach Ihrem Namen gefragt. Das Gespräch bleibt anonym. Es gibt auch die Möglichkeit, sich per Chat oder Mail auszutauschen: www.telefonseelsorge-braunschweig.de

Neues Angebot: App „Krisen-Kompass“

Die Telefon-Seelsorge Deutschland hat kürzlich die App „Krisen-Kompass“ gestartet. Sie soll das nötige Rüstzeug an die Hand geben, um einen Krisenfall besser zu meistern. Die App richtet sich an drei Gruppen: 1. Menschen in einer suizidalen Krise. 2. Angehörige, Kollegen und Freunde, die unterstützen möchten. 3. Angehörige, die eine Person durch Suizid verloren haben.

Im Krisen-Kompass stehen Funktionen bereit, die auch in der Psychotherapie genutzt werden, etwa die Aufzeichnung von Stimmungen als Tagebuchfunktion oder das Anlegen eines Safety-Plans für Krisensituationen. Als Erste-Hilfe-Koffer für den Notfall kann man in der App außerdem persönliche Archive anlegen, um aufbauende Gedanken oder persönliche Fotos, Erinnerungen oder Lieder zu speichern. Es gibt Erläuterungen zu Entspannungstechniken sowie Kontakte für den Notfall (Telefon-Seelsorge und andere Anlaufstellen).

Die App können Sie einfach herunterladen. Für iOs unter https://ios.krisen-kompass.app. Für Android unter https://android.krisen-kompass.app.