Etwa 1200 Juden wohnten hier, als 1933 die Nazis an die Macht kamen. Sie lebten als gute Bürger, zum Teil seit Generationen hier verwurzelt.

Neulich sprach mich auf dem Parkplatz vor dem Görge-Markt in Mascherode jemand an. „Wissen Sie, diese dauernden Geschichten über die Nazi-Zeit und die Juden. Das steht den Leuten bis hier oben“, sagte der etwa 60-Jährige und strich sich mit der Handkante an der Unterlippe entlang. Stimmt das? Denken viele so? Nicht mehr daran erinnern, was Deutsche den Juden antaten?

Vor 75 Jahren wurde von der russischen Armee das KZ Auschwitz befreit. Synonym für den Mord an sechs Millionen Juden, die auf den Befehl von Deutschen „industriemäßig“ vernichtet wurden. Als im Januar 1945 die letzten fast verhungerten Auschwitz-Häftlinge in die Freiheit taumelten, lief in Braunschweig die Nazi-Maschinerie auf Hochtouren. Es lebten hier ja immer noch Juden in sogenannten „privilegierten Mischehen“. Das hieß: Sie waren mit deutschen Frauen oder Männern verheiratet und besaßen deshalb eine Art Schutzstatus. Damit war es im Februar 1945 – also vor 75 Jahren – vorbei. Am 23. Februar 1945 rollte nachts vom Güterbahnhof Braunschweig aus ein Zug mit Viehwagen in Richtung KZ Theresienstadt. Es war der letzte Juden-Transport vor Kriegsende. Die Öffentlichkeit nahm davon keine Notiz. Das Schicksal der Juden hatte die Deutschen in den Jahren zuvor kaum interessiert und nun – in der Endphase des Krieges mit täglichen Luftangriffen – schon gar nicht. Man hatte andere Sorgen. Ehemänner, Söhne, Brüder, Verlobte waren zu Millionen gefallen, Häuser und Wohnungen lagen in Trümmern. Zwar herrschten Angst und Entsetzen in der Stadt. Doch die Naziherrschaft funktionierte weiter. Bis zum letzten Tag.