Sind wir so entmündigt worden, dass es uns unmöglich ist, selbst Entscheidungen zu treffen und in unserer unmittelbaren Nähe zu handeln?

Ich brauche hier nicht alle Gebiete aufzuzählen, in denen Deutschland weltweit eine Vorreiterrolle spielt oder spielen möchte. Solidarität zum Beispiel gehört dazu. Dieses Prinzip liegt den Deutschen so am Herzen, dass sie dafür eine Steuer eingeführt haben: den Solidaritätszuschlag. Die Tatsache, in Deutschland zu leben, zwingt uns alle zum Generationenvertrag. Man braucht ihn nicht zu unterschreiben, er steht fest. Dabei möchte ich die unzähligen Ehrenamtlichen, die hauptsächlich aus Solidarität mit anderen Menschen aktiv sind, nicht vergessen zu erwähnen. Am Mittwoch habe ich mich trotzdem fragen müssen, ob Solidarität nur dann stattfindet, wenn sie vom Staat verordnet ist.

Ich fuhr auf der Autobahn 39 Richtung Wolfsburg und verließ sie über die Ausfahrt Sickte. Gleich nach der Autobahn musste ich anhalten. Ein Stau hatte sich gebildet. Nachdem wir eine Weile gestanden hatten, ging es langsam vorwärts. Im Schneckentempo erreichte ich den Kreisel, in dem man entweder Richtung Braunschweig oder nach Sickte weiterfahren kann. Mitten auf der Fahrbahn war ein Wagen liegengeblieben. Die Fahrer vor mir versuchten über die Erhebung des Kreisels oder über die Wiese an dem Auto vorbeizufahren. Die LKW konnten das nicht und fuhren gezwungenermaßen auf die Autobahn. Der etwa 30-jährige Besitzer des defekten Autos selbst stand ungefähr 100 Meter vom Wagen entfernt auf der Wiese und tippte in sein Handy, mit dem Rücken zum Stau. Ich fragte mich, warum er nicht am Wagen geblieben war und versucht hatte, den von der Fahrbahn zu schieben? Er hätte auch andere Autofahrer zu Hilfe rufen können. Das wäre doch rücksichtsvoll gewesen. Ich überlegte kurz anzuhalten und ihn zu rufen, damit wir den Wagen zur Seite schieben. Aber mit dem Abstand und dem Rücken zum Geschehen demonstrierte er nicht unbedingt die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Die Szene ging mir nicht mehr aus dem Kopf.