Braunschweig. . Das IT-Unternehmen von der Nordstraße setzt auf die Zusammenarbeit von deutschen und tunesischen Experten.

Wenn es in Braunschweig eine Branche gibt, die ein Lied vom Fachkräftemangel singen kann, dann ist es die IT-Branche. 137 Experten werden laut Arbeitsagentur händeringend zu sofort gesucht. Doch wäre es nicht so, das Wachstumsmodell der Tojaq GmbH wäre nie entstanden: Deutsch-tunesische Zusammenarbeit. Das Unternehmen von der Nordstraße schwingt sich dafür ganz neu ein.

Dass er bei der Suche nach IT-Experten allein auf dem Arbeitsmarkt fündig wird, diese Hoffnung hat Hatem Hamzaoui längst begraben. Der geschäftsführende Gesellschafter beschreibt den Markt so: „In aller Regel haben Informatik-Studenten der TU bereits nach dem zweiten Semester Einstellungszusagen aus der Wirtschaft. Es ist obligatorisch, dass höhere Gehälter als marktüblich gezahlt werden. Die Gehälter steigen sogar stärker als der Umsatz. Die Herausforderung besteht nicht nur darin, neue Mitarbeiter zu gewinnen, sondern auch Abwerbungen zu verhindern.“

Eher ungewollt musste sich Tojaq vor drei Jahren neu aufstellen. Der wichtigste Kunde Volkswagen hatte das Verhältnis zu externen Experten neu geregelt. „Die Mitarbeiter hatten damals ihren Arbeitsplatz beim Kunden. Sie hatten dort praktisch gelebt. Urplötzlich benötigten wir eigene Büros, Infrastruktur, ganz neue Prozesse. Außerdem kannten sich die Mitarbeiter untereinander eigentlich nur von Weihnachtsfeiern.“ Ein neues Miteinander musste gefunden werden.

Tojaq, ursprünglich von TU-Informatikern gegründet, wurde damals von Hamzaoui gekauft. Gebürtig ist er Hamburger, lebte viele Jahre in Tunesien, studierte Informatik in Wolfenbüttel, fühlt sich aber, wie er sagt, „als Volkmaroder“. Sein Traum: „Ein international aufgestelltes Unternehmen. Familiäre Atmosphäre. Maximal 60 Mitarbeiter. Ansonsten wird die Unternehmensführung zu kompliziert. Ganz flache Hierarchie.“

Das Unternehmen, das zunächst schrumpfte, wuchs wieder. Auch, weil eine Niederlassung in Tunesien eröffnet wurde. Von dort sind mittlerweile neun neue Mitarbeiter nach Braunschweig gekommen. Personalleiter Hans-Joachim Logemann sagt dazu: „Ohne den Fachkräftemangel in der IT-Branche wäre das nicht möglich gewesen. Niemand aus einem Nicht-EU-Land erhält eine Aufenthaltserlaubnis, wenn es hier arbeitslose IT-Experten gegeben hätte. Die gab und gibt es aber nicht.“

Vorbehalte gegen die neuen Kollegen? „Durchaus“, sagt Hamzaoui. „Die Lehre in Tunesien ist zwar vorzüglich, es gibt sogar ein Studenten-Austauschprogramm mit der TU. Aber wenn man sich im Kreis von ausgesprochenen Experten bewegt, dann muss jeder neue Mitarbeiter seine Fähigkeiten im Team erst beweisen. Das ist ganz normal.“

Neu sei auch gewesen: „IT in Deutschland ist Männerdomäne. In Tunesien ist die Hälfte der IT-Experten weiblich. Wir haben auch drei tunesische IT-Expertinnen eingestellt.“ Logemann erzählt, dass regelrechte To-do-Listen aufgestellt werden, damit die Integration gelingt: „Innerbetrieblich ist die Sprache kein Problem. Bei uns kommen Sie nicht über den Flur, ohne Englisch zu hören. Eine Neuerung für alle, denn in Tunesien ist Französisch Amtssprache. Unser Ziel ist, dass sich die neuen Mitarbeiter nur um die Arbeit kümmern müssen. Ausländerbehörde, Krankenkasse, Arbeitsagentur, Sprachkurse ­ – das organisieren alles wir. Wir haben sogar eine kleine Wohnung gekauft, damit es während der Übergangszeit kein Problem mit der Wohnungssuche gibt.“

Das innerbetriebliche Miteinander sei nicht kompliziert, sagt Logemann: „Tunesier teilen die deutsche Begeisterung für Fußball. Einige der neuen Mitarbeiter spielen in Braunschweiger Vereinen.“ Man helfe sich, wie es unter Arbeitskollegen üblich sei: „Wir duzen uns ohnehin alle. Und wenn man gebeten wird, beim Gebrauchtwagenkauf dabei zu sein, dann macht man das natürlich.“

Hamzaoui meint, Tojaq sei mittlerweile innerbetrieblich so organisiert, dass weitere ausländische IT-Experten eingestellt werden können. Man werde nun auch in Portugal, Spanien und Italien auf die Suche gehen.