Braunschweig. Eva Stassek von der IG Metall spricht darüber, welche Baustellen es bei der Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf gibt.

Wer eine Familie gründet, wirbelt nicht nur sein Privatleben durcheinander. Auch das Berufsleben muss neu geordnet werden. Bei der Vereinbarkeit stoßen Frauen und Männer immer noch auf unterschiedliche Voraussetzungen, sagt Eva Stassek, 1. Bevollmächtigte der IG Metall in Braunschweig. Mit Heirat und Kind würden Männer für Arbeitgeber zu beständigen und ortstreuen Mitarbeitern, Frauen zum schlecht verfügbaren Arbeitnehmer. Um das aufzulösen, müssten sich laut Stassek nicht nur gesetzliche und betriebliche Rahmenbedingungen ändern. Es müsse auch einen Kulturwandel beim Verständnis von Familienarbeit geben.

Frau Stassek, laut einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach ist in Deutschland die Hälfte der unter 25-Jährigen befristet beschäftigt, bei den unter 35-Jährigen ist es noch knapp ein Drittel. Was bedeutet das für die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben?

Wer eine Familie aufbauen möchte, braucht stabile Bedingungen. Und wer sich in einem befristeten Arbeitsverhältnis befindet, wird sich gerade deshalb seinen Familienwunsch wahrscheinlich verkneifen. Denn das könnte ja bedeuten, dass der laufende Vertrag nicht entfristet wird – sprich: ein „Normalarbeitsverhältnis“ daraus wird.

Wer die Familienplanung nicht verschiebt, bewirbt sich mit Kind um einen neuen Job, was wiederum dazu führen kann, dass man nicht das Arbeitsverhältnis bekommt, das man möchte.

Auch wenn es niemand richtig ausspricht, denn es ist ja unzulässig, die Familie als Hinderungsgrund anzuführen, aber insbesondere bei jungen Frauen ist es bedauerlicherweise häufig noch so.

Ist es denn gang und gäbe, dass Arbeitgeber Frauen nach ihrer Familienplanung und -organisation fragen?

Ja – das wird uns berichtet, und das ist ganz klar Geschlechterdiskriminierung. Männer werden so etwas nicht gefragt. Bei ihnen ist es sogar umgekehrt. Wenn er verheiratet ist und Familie hat, wird er als beständig angesehen. Bei Frauen kommt dem Arbeitgeber zuallererst in den Sinn, dass die Beschäftigte nicht in gewünschtem Maße verfügbar sein wird.

Wie ist das aufzulösen?

Die Akteure wie Personalverantwortliche, Betriebsräte und Gewerkschaften müssen mehr darauf aufmerksam machen und mehr daran arbeiten. Aber auch privat muss sich einiges ändern. Die Familienarbeit muss anders aufgeteilt werden. Oft sind es die Frauen, die diese Tätigkeiten übernehmen, sei es die Kinderbetreuung, der Haushalt oder die Pflege Angehöriger.

Frauen müssen auch abgeben.

Genau. Und Männer müssen im gleichen Zug diese Arbeiten annehmen. Viele junge Männer wollen das inzwischen auch sehr gerne. Sie wollen sich um Familie kümmern.

Wenn es um die Elternzeit geht, nehmen viele aber nur 2 von 14 Monaten in Anspruch.

Ich bin eine Verfechterin davon, dass jeder Elternteil ein Jahr Elternzeit bekommt. Ein Jahr für die Mutter, eins für den Vater. Wenn die Zeit nicht in Anspruch genommen wird, verfällt sie.

Wäre so etwas denn überhaupt finanzierbar?

Die Finanzierbarkeit würde man in den Griff bekommen. Wir reden ja nicht über ein armes Land. Ein paar mehr Steuerprüfer insbesondere für die großen Vermögen würden da sicher helfen.

Außerdem: Fachkräfte gewinnt man durch gute Arbeit und gute Rahmenbedingungen. Hierzu gehören neben einer langfristigen Qualifizierungsstrategie natürlich auch möglichst selbstbestimmte Arbeitszeiten. Das Gros der Beschäftigten will kürzer arbeiten. Das haben unsere Beschäftigtenbefragungen gezeigt. In der Tarifrunde 2018 haben wir mit der Wahlmöglichkeit zwischen Geld und freien Tagen gute Möglichkeiten dazu geschaffen.

Schweden oder Finnland beispielsweise haben ganz andere Geburtenraten. Diese Länder tun viel mehr für Familien. Familienarbeit ist bei Männern etabliert. Fachkräfte können über die richtigen Rahmenbedingungen gewonnen und gehalten werden.

Was gehört dazu?

Bei der Kinderbetreuung haben wir immer noch ein Riesenproblem. Für die Kleinkindbetreuung ist schon viel passiert. Da haben Eltern mittlerweile einen Rechtsanspruch auf einen Platz für ihr Kind ab dem ersten Lebensjahr. Aber es gibt immer noch Lücken, insbesondere, wenn man einen Vollzeitplatz für das Kind braucht. In dem Alter unter einem Jahr und während der Schulzeit sieht es schwieriger aus. Nach der Kindergartenzeit muss es eine flächendeckende verlässliche Schulkind-Betreuung möglichst bis zum zwölften Lebensjahr bis 16 oder 17 Uhr geben.

Auch Unternehmen versuchen, eine Betreuungslücke zu füllen. Was halten Sie von Betriebskindergärten?

Sie sind aus der Not heraus entstanden, da es zu wenige kommunale Kinderbetreuungseinrichtungen gab. Aber das ist nicht die Lösung. Kinderbetreuung von der Krippe bis zum Schul-Hort hat einen Bildungsauftrag und ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Das sollte nicht von Unternehmen abhängig gemacht werden. Was machen denn Eltern, die in einem kleinen Unternehmen arbeiten, das sich einen Betriebskindergarten nicht leisten kann? Was passiert, wenn ein Elternteil seinen Arbeitsplatz in dem Betrieb verliert, woanders arbeiten möchte oder wenn das Unternehmen pleite geht?

Und beim Blick auf die Öffnungszeiten kann die Frage aufkommen, um wen es hier eigentlich geht. Geht es um das Interesse der Firma, die Eltern verfügbar zu haben, gerade zum Beispiel bei langen Bürozeiten bis 20 Uhr oder bei Schichtarbeit? Oder geht es um das Interesse des Kindes, das einen Bio-Rhythmus hat, möglichst feste Zeiten und Rituale braucht und während der Abwesenheit seiner Eltern betreut werden muss. Ökonomisieren wir unter Umständen die Betreuung unserer Kinder? Besser wären Arbeitszeiten, die zu der Lebensphase „Eltern sein“ passen.

Aber ohne lange Betreuungszeiten bleibt je nach Einkommensniveau auch das Familienbudget klein.

Ja, das ist ein weiteres Problem, dem sich Familien gegenübersehen. Wenn Kinder kommen, reduzieren zumeist die Frauen die Arbeitszeit. Zum einen, weil sie für das Kind da sein wollen, zum anderen, um den Haushalt zu organisieren. Das halten wir für keine kluge Entscheidung, weil die Frauen dann aus beruflichen Zusammenhängen raus sind oder diese nur reduziert wahrnehmen können beziehungsweise wollen und ihr Verdienst deutlich geringer ausfällt.

Spätestens nach dem zweiten oder dritten Kind verfügen der Partner und der männliche Kollegenkreis dann über deutlich höhere Einkommen, welche Frauen dann über ihr Berufsleben zumeist nicht mehr einholen können. Die Überlegung, wo tut es der Familie am wenigsten weh, wenn Einkommen wegfällt, wird dann zugunsten der Arbeit des Mannes ausfallen. Dann ist es immer das geringere Einkommen der Frau, dessen Verlust man als Familieneinkommen am ehesten verschmerzen kann.

Bis zum Ende der Ausbildung stellt man finanziell bei Männern und Frauen keine Unterschiede fest. Das beginnt erst in der Familienphase. Um das zu verhindern, brauchen wir Lösungen.

Wie können die aussehen?

Ein großer Schritt in die richtige Richtung ist das Rückkehrrecht in Vollzeit, das seit dem 1. Januar 2019 gesetzlich geregelt ist. Viele Generationen von Frauen sind nach einer Auszeit für die Kinderbetreuung in der Teilzeitfalle geblieben.

Teilzeit kann aber auch Karriere-Möglichkeiten bieten. Auch Teilzeitkräfte können beispielsweise Führung übernehmen.

Das sehen wir auch so. Aber die meisten Unternehmen wollen ihre Führungskräfte in großem Umfang erreichbar haben. Da werden Meetings gerne für 17 oder 18 Uhr angesetzt. Wenn man in Teilzeit arbeitet, ist dann ein sehr großer Spagat nötig. In der Regel ist das ohne einen Hintergrund mit zum Beispiel Eltern, Schwiegereltern oder Au-pair nicht zu bewältigen.

Führungsaufgaben sind teilbar, natürlich ist das leistbar. Eine Herausforderung ist einzig, die Zuständigkeiten zu klären. Ich vergleiche das immer mit einer Situation aus den 1980er Jahren. Damals sagten die Arbeitgeber, dass Teilzeit in der Fertigung nicht möglich sei, dass die Maschinen laufen müssten. Dann kam die Volkswagen-Krise Anfang der 1990er Jahre. Und von einem Tag auf den anderen wurde auf die 28,8-Stunden-Woche umgestellt. Es ging, weil man andere Arbeitszeitmodelle entwickelt hat. Aufgeschlossene Arbeitgeber kommen den Wünschen ihrer Beschäftigten inzwischen auch durchaus entgegen – leider immer noch zu wenige. Man muss einfach kreativ sein. Ein kategorisches „Das haben wir noch nie gemacht“ darf es nicht geben.

Immer mehr Unternehmen zeigen sich auch offen für Home-Office. Sehen Sie in dem Heim-Arbeitsplatz neben den Chancen auch Risiken für den Arbeitnehmer?

Die Rahmenbedingungen für Home-Office-Arbeit sollten ganz klar gesteckt sein. Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer muss sehr diszipliniert sein, weil sie oder er sonst in eine Selbstausbeutung driften kann. Es ist nachgewiesen, dass Arbeitnehmer bei Home-Office eher geneigt sind, mehr zu arbeiten – unentgeltlich. Man muss nicht meinen, dass durch Home-Office alles einfacher wird. Zumindest, wenn die Familie zu Hause ist, ist es schwieriger. Dann kann es so sein, dass man tagsüber unentwegt abgelenkt ist und sich dann um 21 Uhr an den PC setzt und bis in die Nacht arbeitet.

Man sollte sich klar darüber sein, unter welchen Bedingungen man dann arbeitet. Bin ich dadurch wirklich freier oder einfach nur weg von meinen sozialen und beruflichen Kontakten? Unter Umständen fehlt dann auch die fachliche Kommunikation. Reine Home-Office-Arbeitsplätze haben nur minimalen Kontakt zur Außenwelt. Daher gibt es in der Regel Modelle mit Präsenztagen im Betrieb.

Steht Ihrer Meinung nach ein Kulturwandel noch aus, damit Frauen und Männer an Berufs- und Familienarbeit gleichermaßen teilhaben?

Es gibt verschiedene Ansprüche, die aus unterschiedlichen Lebenssituationen resultieren. Ich beobachte, dass es eine Neigung gibt, wieder eine Teilzeit-Frauenrolle einzunehmen. Ein Rückzug auf die Familie geht aber nur solange gut, wie auch eine Beziehung gut geht. Spätestens, wenn es in der Partnerschaft nicht mehr so rosig ist, ist das vorbei. Wir haben in Deutschland eine Scheidungsquote von knapp 40 Prozent. Jeder, der frisch verliebt ist, denkt, es wird immer so bleiben und selbst mit 55 wird alles toll sein. Und plötzlich stellt man fest, dass die Beziehung in die Brüche geht. Und dann hat die Frau womöglich die meiste Zeit der Beziehung in Teilzeit gearbeitet und hat dann gravierende finanzielle Auswirkungen auf ihr Leben und ihre spätere Rente. Das heißt dann häufig Altersarmut, das sollte sich jede Frau bewusst machen.

Natürlich sind auch Frauen in Rollen verhaftet. Da wünsche ich mir mehr Mut von den Frauen, eine Arbeitswelt einzufordern, die echte Gleichberechtigung ermöglicht, sowie ein Privatleben mit Männern, die sich freudig und eigeninitiativ zu gleichen Teilen in die häusliche Arbeitsteilung einbringen. Glücklicherweise gibt es schon viele Frauen, die ganz selbstverständlich sagen: Das muss doch jetzt möglich sein. Frauen, die schlechtere Bedingungen nicht akzeptieren, weil sie eine Familie gegründet haben. Ja, als Frau kriegt man die Kinder. Die Geschlechterunterschiede können und wollen wir nicht wegdiskutieren. Aber wir müssen die Rahmenbedingungen schaffen, damit Frauen und Männer sowohl am beruflichen als auch am gesellschaftlichen Leben gleichermaßen teilhaben können.