Braunschweig. Zukunft in Braunschweig: Joachim Blätz, Vorstand der Baugenossenschaft Wiederaufbau, über Wohnungsbedarf, Mieten und Wohnungsvermittlung.

Proteste in den Metropolen, Hausbesetzungen – wie werden wir in Zukunft wohnen? Zu welchen Mieten? Wie werden sich günstige Wohnungen überhaupt finden lassen? Redakteur Jörn Stachura sprach darüber mit Joachim Blätz, Vorstandsmitglied der Baugenossenschaft Wiederaufbau.

Herr Blätz, im Februar hatten Sie während des Immobilienfrühstücks die Branche gewarnt, steigende Mieten könnten selbst den Mittelstand überfordern. Jetzt hat die Wiederaufbau mit der Vermarktung von 126 neuen Wohnungen in der Neuen Nordstadt begonnen. Wie läuft es?

Gut! Wir hatten mehr als 240 Interessenten eingeladen, sich die Musterwohnung anzusehen.

Wie hatte der Vorstand das Bauvorhaben einst diskutiert?

Wir waren anfänglich tatsächlich skeptisch. Ist die Nachfrage wirklich so groß in Braunschweig? Klar war, dass neben uns auch die BBG und die Nibelungen dort Wohnungen errichten würden. Hinzu kamen andere innenstadtnahe Wohnbauprojekte wie die Noltemeyer-Höfe.

Die große Frage lautete damals: Nimmt uns der Markt die Wohnungen überhaupt ab? Die Sorgen sind verflogen. Die Nachfrage ist tatsächlich hoch. Außerdem gehören wir zu den ersten, die Mietwohnungen in der neuen Nordstadt anbieten. Im Süden Braunschweigs wollen wir weitere 180 Mietwohnungen bauen und uns auch am zweiten Bauabschnitt der neuen Nordstadt beteiligen. Die Nachfrage wird vorhanden sein.

Und wie wird das Mietniveau diskutiert?

Ein kompliziertes Thema. Ein privater Investor kann sagen: Anhand von Gutachten sind in Braunschweig 13 oder sogar 14 Euro je Quadratmeter möglich. In der Regel handelt es sich jedoch um Eigentumswohnungen, die von privaten Investoren gebaut werden. Die zu erwartende Miete ist Basis für die Berechnung des Kaufpreises.

Als Wiederaufbau orientieren wir uns an unseren genossenschaftlichen Zielen und sind nicht renditegetrieben. Wir investieren in die Verbesserung unseres Bestandes: Wir setzen instand, modernisieren oder schaffen neuen Wohnraum. Durch Neubau tragen wir dazu bei, dass die Qualität des Wohnportfolios angehoben und die Wertentwicklung der Genossenschaft gefördert wird.

Bei diesem Thema fragen wir uns im Vorfeld aber immer selbstkritisch: Ist ein Neubau derzeit überhaupt wirtschaftlich darzustellen? Dazu muss man wissen: Das durchschnittliche Mietpreis-Niveau der Wiederaufbau liegt bei niedrigen 5,88 Euro je Quadratmeter. Und das, obwohl ein Viertel unserer Wohnungen jünger als 15 Jahre ist.

Bei den heutigen Investitionssummen für einen Neubau können auch wir nicht mehr unter 10 Euro je Quadratmeter Wohnfläche anbieten. Ausgenommen natürlich öffentlich geförderte Wohnungen.

Joachim Blätz, Vorstand der Baugenossenschaft Wiederaufbau. 
Joachim Blätz, Vorstand der Baugenossenschaft Wiederaufbau.  © Jörn Stachura

Steigende Baukosten?

Ja, allein gegenüber dem Vorjahr gab es einen Anstieg um 20 Prozent. Bei einzelnen Gewerken sogar mehr. Die Zeiten, dass es auf eine Ausschreibung zehn Angebote gab, die sind vorbei. Der Mangel an Kapazitäten in der Bauwirtschaft behindert mitunter den Bau preiswerter Wohnungen. Dieser Trend wird auch noch eine längere Zeit anhalten.

Die große Frage ist: Selbst wenn wir heute für 10,50 Euro vermieten können – was ist in zwei, drei Jahren, wenn der Mieter auszieht? Bekommen wir dann wieder 10,50 Euro? Und was ist, wenn in Braunschweig tatsächlich die 5000 Wohnungen gebaut sind, die rechnerisch fehlen?

Ja, Braunschweig boomt zurzeit. Aber wir haben auch schon andere Zeiten erlebt. Es ist noch nicht lange her, da wurde ein Bevölkerungsrückgang von vier Prozent prognostiziert.

Auf welche Prognosen verlassen Sie sich?

Neben den üblichen Statistiken haben wir zusätzlich ein System gekauft, das alle verfügbaren Daten für einzelne Standorte zusammenträgt und aufbereitet. Das ist unsere Basis.

Und die Bestandspflege?

Viele ältere Gebäude in unserem Bestand entsprechen in zehn Jahren möglicherweise nicht mehr den Grundriss- und Größenanforderungen der Mieter. Das energetische Thema kommt hinzu. Es ist zu prüfen, ob mit nennenswerten Investitionen die Qualität der Genossenschaftswohnungen insgesamt gesichert und verbessert werden kann. Wenn das Ergebnis aber ist, dass eine Sanierung einzelner Bestände wirtschaftlich nicht darstellbar ist, kann das Ergebnis am Ende auch Rückbau sein.

Das heißt Abriss und Neubau.

Ja, in Seesen war das bereits der Fall. Aber ob in Braunschweig die prognostizierte Zahl von zusätzlichen Wohnungen auch tatsächlich benötigt wird, werden die kommenden Jahre zeigen. Und wenn viel neu gebaut wird und die Nachfrage am Ende dann aber doch nicht der Erwartung entspricht, gäbe es von ganz allein kein Mietpreis-Problem mehr. Grundstückspreis, Baukosten, Baunebenkosten, Planungen und alles weitere bestimmen die Investitionssumme in einen Neubau. Wir haben uns dann die Frage zu stellen: Baut man – oder lässt man es?

Wir würden das Risiko nicht eingehen, Wohnungen zu bauen, für die man – trotz geringster Rendite – 13 oder 14 Euro verlangen muss. Schon gar nicht als Genossenschaft.

Lässt sich beim Bau sparen?

Es geht eher in die andere Richtung: Wir haben aktuell eine Debatte über die Anhebung der Grunderwerbs- und der Grundsteuer, was die Preise für Baugrund und Mieten steigen lassen wird. Außerdem werden Grundstücke in Deutschland weiterhin sehr oft noch nach dem Höchstgebot verkauft und nicht nach Konzepten.

Braunschweig will guten Konzepten mehr Chancen einräumen.

Das werden wir beim zweiten Bauabschnitt der neuen Nordstadt sehen. Braunschweig bemüht sich weitere Flächen für große Baugebiete innenstadtnah auszuweisen. Das beinhaltet in der Tat große Chancen der Stadt- und Quartiersentwicklung.

Die Wiederaufbau hat das Angebot der Stadt Braunschweig ausgeschlagen, durch ein Mobilitätskonzept die Zahl der nötigen Parkplätze für die Nordstadt-Wohnungen zu verringern. Eine zweistöckige Tiefgarage ist stattdessen entstanden. Aber ohne Infrastruktur für das Laden von Elektro-Autos. Warum?

Wenn das Mobilitätskonzept nicht aufgeht, haben die Mieter ein Problem, wohnungsnah Parkplätze zu finden. Das wollten wir vermeiden. Auch auf die Gefahr hin, dass sich autonomes Fahren durchsetzt und die Tiefgarage eines Tages leer steht. Was die Infrastruktur für E-Autos angeht: Die Wiederaufbau baute auch keine Tankstellen für Benzin. Außerdem wäre es nicht damit getan, einfach zusätzliche Steckdosen zu montieren. Das gesamte Stromnetz müsste darauf ausgerichtet sein, inklusive der Zuleitung zu den Gebäuden. Das lässt die Baukosten wiederum steigen. Und das unabhängig davon, in welchem Umfang die Lade-Infrastruktur später genutzt wird.

Viele Wohnungssuchende rätseln: Wie findet man eine günstige Wohnung? Wird das in Zukunft einfacher?

Ich bin sehr skeptisch, der Bedarf ist in den Großstädten hoch. Die Wohnungssuche findet immer häufiger über das Internet statt. Beobachtet man die Entwicklung bei der Digitalisierung, erkennt man einen Trend: Es findet eine Konzentration auf immer weniger große Anbieter statt.

Für Vermieter wie uns heißt das künftig womöglich: Was wird man in Zukunft zahlen müssen, damit ein Mieter vermittelt wird?

Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften möchten diese Abhängigkeit gerne vermeiden. Bislang haben wir auf diese Entwicklung aber noch keine ganz klare Antwort.