Braunschweig. Streetwords: Drei Autoren unserer Jugendredaktion machen sich Gedanken zum Tag der Deutschen Einheit.

Ich versuche mir auszumalen, wie es vor der Wiedervereinigung gewesen sein muss: Ein Land, das in zwei Hälften gespalten zwar nebeneinander liegt, aber nicht miteinander lebt. Familien, die auseinandergerissen wurden – eingesperrt und ausgesperrt im eigenen Land durch eine Mauer. Eine Mauer, die Ost von West, Kommunismus von Kapitalismus trennt.

Zwei Welten, in denen der Lebensstil nicht unterschiedlicher sein könnte, werden voneinander abschottet. Die Menschen sind nur Marionetten der Politiker, gezwungen zur Anpassung – kein Veto erlaubt.

Hannah Butzke
Hannah Butzke © Privat

Ich kenne Geschichten von Lehrern aus der Schule, von meinen Eltern und Großeltern. Dadurch wird ein winziger Einblick gewährt, aber lange nicht genug. Was war das für ein Gefühl, in einem geteilten Deutschland aufzuwachsen und dann die Wiedervereinigung mitzuerleben?

Die Freude, das Erstaunen, die Erleichterung und die Hoffnung von vielen Menschen müssen enorm gewesen sein, als Deutschland nach dem Mauerfall dann offiziell wiedervereint wurde, vor 28 Jahren, an jenem 3. Oktober 1990. Zumindest stelle ich mir das so vor.

Doch je mehr Jahre vergehen, desto mehr rückt die Bedeutung des Feiertages in Vergessenheit. Umso wichtiger ist es, dass die Geschichten der Menschen lebendig bleiben und weitererzählt werden. Ich bin schon ein Teil einer Generation, die auf diese Geschichten gewissermaßen angewiesen ist, um überhaupt ein Gefühl für die Geschehnisse zu bekommen. Und das, obwohl es noch gar nicht so lange her ist. Deutschlands Vergangenheit, die Teilung und die Wiedervereinigung, müssen immer wichtige Themen in der ganzen Welt bleiben, über die man sich austauscht und an die man sich erinnert!

Hört auf mit „Ossi“ und „Wessi“! (Von Otto Hannover)

Die DDR ist Geschichte. Doch heute geht’s um ihr Erbe. Und um das Abbauen von einer dicken Menge Vorurteilen, die die Bewohner Westdeutschlands an ihre Kinder weitergeben. An Kinder, die nichts von der Teilung eines Staates, der im Alltag sowieso eine sehr geringe Bedeutung für sie hat, wissen. Der Politikwissenschaftler Benedict Anderson prägte den Begriff von der Nation als „imagined community“, also als „vorgestellte Gemeinschaft“.

Otto Hannover
Otto Hannover © Privat

So eine vorgestellte Gemeinschaft kann in keines Kindes Kopf entstehen, wenn ihm von zwei Generationen in verschiedensten Formen, ob in Anekdoten oder Statistiken, die alte Geschichte vom „Wessi“ und vom „Ossi“ weitergegeben wird. In einer Utopie wachsen sie mit jungen Polen, Thüringern und Sachsen auf, ganz ohne einen Gedanken an einen Eisernen Vorhang. In der Realität ziehen Vorurteile die Grenze immer wieder neu. Das wirft einige Jugendliche in den „neuen“ Bundesländern in die Trotzphase zurück. Und sie marschieren in Chemnitz auf, brüllen laut: „Werft die Flüchtlinge raus!“ Aber flüchten wir nicht in Klischees, auch in Bayern gibt es eine rechte Szene, sie nennt sich bloß konservativ. Achtung, (kein) Zitat: „Ich sag’s nicht so direkt, aber ich bin rechts.“ (Horst S.)

Begreift endlich: Ost oder West, das ist total egal. Auch in Dresden und Krakau ist Starbucks – und wo Starbucks ist, ist Zuhause.

Ost oder West? Das ist mir doch egal! (Von Cynthia Seidel)

Vor 28 Jahren ist die DDR zur Bundesrepublik Deutschland beigetreten. Aber sind wir wirklich wiedervereint? Das gespaltene Deutschland ist den jüngeren Generationen kaum noch bekannt. Und doch wird dieser wichtige Teil unserer deutschen Geschichte durch die Erzählungen von Eltern, Lehrern und allen anderen, die zu Zeiten von BRD und DDR aufgewachsen sind, weiter in der Erinnerung gehalten.

Cynthia Seidel.
Cynthia Seidel. © Privat

Etwas, das aus genau diesen Geschichten heraussticht, sind die immer noch bestehenden Unterschiede zwischen West und Ost. Mir persönlich fällt dabei besonders die Architektur ins Auge: Den berühmt berüchtigten Plattenbau findet man zumeist tatsächlich in den neuen Bundesländern.

Außerdem hört man seit Jahren, dass der Osten Deutschlands dem Westen wirtschaftlich noch immer hinterherhängt, trotz jahrzehntelanger Aufbauhilfe. Arbeitslosenrate, Großindustrie, Wohlstand – in allem liegen die alten Bundesländer im Durchschnitt nach wie vor deutlich vorn.

Aber mal abgesehen von den wirtschaftlichen und infrastrukturellen Unterschieden ist der wichtigste Aspekt doch der Soziale: Fühlen wir uns wie eine Einheit? Für mich persönlich gab es nie die „Ossi-Wessi-Teilung“. Obwohl ich im Westen Deutschlands geboren bin, fühle ich mich in den Städten der ehemaligen DDR nie fremd oder nicht zugehörig. Ich freue mich auf mein Studium in Halle an der Saale, im Osten.

Auch im Ausland hat mich übrigens nie jemand gefragt, ob ich denn nun aus Ost- oder Westdeutschland komme. Die Ost-West-Teilung Deutschlands ist und bleibt für mich nichts weiter als ein geografisches Faktum der Geschichte.