Braunschweig. Eine Gruppe zieht ab Frühjahr 2019 in das neue Quartier am Alsterplatz ein. Sie sucht noch Mitstreiter.

Die Vorfreude steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Fünf Frauen und zwei Männer schauen sich die Baustelle am Alsterplatz in der Weststadt ganz genau an. Die ersten Fenster sind im Block A, das Haus direkt an dem namensgebenden Platz, schon eingesetzt. Auf der Baustelle geht es voran, Stein um Stein, Schritt für Schritt. Das Septett eint ein Ziel: gemeinschaftliches Wohnen. Mit allen Vorteilen – und Pflichten. Geplanter Einzugstermin: Frühjahr 2019.

Die städtische Gesellschaft Nibelungen Wohnbau ist auf das Braunschweiger Netzwerk Gemeinsam Wohnen zugegangen und möchte einer Gruppe ermöglichen, ihr Vorhaben in dem Baugebiet nahe der Elbestraße zu verwirklichen.

Dafür verpflichtet sich diese Gruppe, etwas für die Gemeinschaft der neuen Bewohner am Alsterplatz zu tun. Was genau, ist noch unklar. Es könnte in die Richtung gehen, regelmäßig ein nicht kommerzielles Klön-Café für andere Bewohner des entstehenden Quartiers anzubieten oder Kindern vorzulesen. „Vieles ist möglich“, sagt Gisa Wegener, die mit ihrem Mann in eine der Wohnungen einziehen wird. Noch ist es ja auch etwas früh für endgültige Pläne.

Jedes Gruppenmitglied zieht in seine eigene Wohnung

„Gemeinschaftlich Wohnen bedeutet für uns, dass jeder seine eigene Wohnung hat, wir uns aber freundschaftlich umeinander kümmern und vor allem auch einen Raum für gemeinsame Aktivitäten haben“, bringt Helga Weber die Idee hinter „gemeinschaftlich Wohnen“ auf den Punkt. Weber ist seit Ende 2014 Netzwerk-Mitglied, besucht Workshops und erfreut sich wie ihre Mitstreiter am Gedanken, den Lebensabend nicht allein zu verbringen.

Aus dem Netzwerk heraus hat sich die Gruppe „Gemeinsam Wohnen am Alsterplatz“ gebildet, Frauen und Männer zwischen 67 und 79 Jahren, die sich zuvor nicht kannten, aber sich für das neue Weststadt-Quartier begeistern. Manch ein Gruppenmitglied ist im Laufe der Zeit abgesprungen oder neu dazugekommen.

Aber: Noch ist die Wohngruppe nicht komplett. Mindestens zwei Wohnungen können noch besetzt werden – von Frauen oder Männern, die auch der Idee zugetan sind, in einer eigenen Wohnung mit Anschluss an Gleichgesinnte zu wohnen, sagt Katharina Schulze vom Bauherrn Nibelungen.

Das Alter ist dabei keineswegs das entscheidende Kriterium für Bewerber. „Auch eine alleinerziehende Mutter mit Kind wäre zum Beispiel möglich“, betont die Projektbegleiterin. Eine gemischte Bewohnerstruktur ist von Vermietern und künftigen Mietern durchaus gewünscht, Gruppenmitglied Marie Holstein freut sich eh auf „Leben in der Bude“. Freilich müssen Interessenten irgendwie zur Gruppe passen, doch um das herauszufinden, ist ja noch Zeit.

Schon jetzt trifft sich die Alsterplatz-Gruppe einmal im Monat, um das gemeinschaftliche Wohnen vorzubereiten – und einmal, um gemeinsam etwas zu unternehmen. „Wobei das nicht so festgemeißelt ist und jeder immer teilnehmen müsste“, sagt Gruppenmitglied Christine Denz. „Oft schlägt jemand spontan etwas vor, wer Zeit und Lust hat, macht mit.“ Das können gemeinsame Wanderungen, Konzert- oder Ausstellungsbesuche sein. Alles ist möglich, nichts muss.

Die gemeinsamen Unternehmungen, schon jetzt, im Vorfeld des Lebens am Alsterplatz, sind ein wesentlicher Baustein, damit das Zusammenleben später funktioniert, findet Helga Weber. „Der Prozess des Kennenlernens ist ganz wichtig, das wird oft unterschätzt.“ Im Netzwerk, das auf bundesweite Erfahrungen zurückgreift, wird das häufig thematisiert. Schlechte Beispiele müssen nicht wiederholt werden ...

Noch steckt gemeinsames Wohnen, möglichst generationsübergreifend, in Braunschweig in den Kinderschuhen. Aus dem Netzwerk heraus hat eine Gruppe in Altbau-Wohnungen der Braunschweiger Baugenossenschaft in der Kalandstraße, westliches Ringgebiet, ein Domizil gefunden, wenn auch mit einem etwas anderen Konzept, als es die Alsterplatzgruppe vorhat. Schon vor Gründung des Netzwerks 2010 hatten sich zwei Wohnprojekte in der Maschstraße und am Ilmweg gebildet.

Netzwerker setzen Hoffnung auf künftiges Baugebiet

Doch viele Hoffnungen von Mitgliedern des Netzwerks, ein passendes Objekt zu finden, sind bislang schon gescheitert, etwa am Langen Kamp in Gliesmarode. Fakt ist, wenn ein Investor die Erschließung eines Baugebietes übernimmt, hat bezahlbares gemeinschaftliches Wohnen meist kaum eine Chance. „Dabei sparen solche Projekte dem Staat Sozialausgaben“, argumentiert Gisa Wegener. Die einzelnen Gruppen, das ganze Netzwerk, „wünschen sich mehr Unterstützung aus Politik und Verwaltung“, bestätigt Ilse Bartels-Langweige, Sprecherin vom Netzwerk Gemeinsam Wohnen Braunschweig.

Die Alsterplatz-Gruppe nimmt eine Vorreiter-Rolle ein

Gekämpft wird derzeit darum, das Ansinnen langfristig auf dem Gelände der jetzigen Holwede-Klinik weiterzuentwickeln. Nach dem Umzug der Klinik soll dort zusätzlich zum Altgebäude ein Baugebiet entstehen. Das Netzwerk wünscht sich, dass seine Anliegen dort von Anfang an berücksichtigt werden. Schon jetzt wird gekämpft und demonstriert, um das Thema in die Öffentlichkeit zu transportieren.

2023 könnte es soweit sein. Das zeigt: Die Netzwerker brauchen einen langen Atem, bevor sich die Ideen und Ansätze gemeinschaftlichen Wohnens in den Köpfen von Gesellschaft, Politik und Verwaltung durchsetzen. Gruppen wie am Alsterplatz sind wichtige Vorreiter.

Diese Gruppe – bislang ein Ehepaar und fünf Singles – hat die Wohnungen im neuen Wohnquartier unweit der Elbestraße schon sicher. Es war durchaus kein ganz leichter Prozess, alles war nicht wie gewünscht umzusetzen, aber die Mehrzahl der Mitglieder wohnt künftig auf einem Flur. Doch auch bei gemeinschaftlichem Wohnen ist Privatsphäre ganz wichtig, „und es handelt sich keinesfalls um eine WG“, erläutert Helga Weber.

Eine Ergänzung ist ihr ganz wichtig: „Und es geht auch nicht darum, dass wir uns später bei Bedarf gegenseitig pflegen!“ So nämlich hatten kürzlich beim Tag der Senioren viele Besucher am Stand des Netzwerks das gemeinschaftliche Wohnen verstanden. „Das ist bei vielen in den Köpfen irgendwie so drin“, bedauert Weber.

Im vordersten Block des Baugebietes in der Weststadt, direkt am Alsterplatz, entsteht im dritten Stock gerade eine Gemeinschaftswohnung, mit Küche und Bad. Das wird der Bereich, in dem sich die Mitglieder der Gruppe künftig treffen, „miteinander kochen, singen, spielen und alles planen, was wir gemeinsam auf die Beine stellen wollen wollen“, berichtet Marie Holstein, mit 67 Jahren die Jüngste in dem Ensemble. Wer Interesse hat, sich der Gruppe noch anzuschließen, möge über das Netzwerk Kontakt aufnehmen, betont Katharina Schulze von der Nibelungen.

Jedes Wohnprojekt muss eine passende Rechtsform finden

Da jeder zwar für sich wohnt, alle aber doch miteinander verbandelt sind und sich zum Beispiel gemeinsam an der Miete der Gemeinschaftswohnung beteiligen werden, müssen die künftigen Mitglieder der Alsterplatz-Wohngruppe noch eine Rechtsform für ihr Projekt finden. „Ohne rechtliche Absicherung geht es nicht“, weiß Helga Weber.

Vermieter Nibelungen möchte die Gruppe dabei unterstützen und erhofft sich selbst Erfahrungen mit gemeinschaftlichem Wohnen. „Wir möchten, dass dieses Projekt erfolgreich ist“, sagt Katharina Schulze.


Kontakt:

Wer Interesse hat, speziell die Gruppe Gemeinschaftlich Wohnen am Alsterplatz kennenzulernen und dort vielleicht in eine Wohnung einziehen möchte oder wer sich generell für das Netzwerk Gemeinsam Wohnen Braunschweig interessiert, kann eine Mail schreiben oder am Netzwerk-Treffen teilnehmen.

Mailadresse des Netzwerks: info@gemeinsam-wohnen-braunschweig.de.

Netzwerktreffen finden jeden letzten Dienstag eines Monats von 18 Uhr an im Mehrgenerationenhaus, Hugo-Luther-Straße 60a, statt. Das nächste Mal wegen der Sommerferienzeit erst am 28. August. men