Braunschweig. Digitale Medien haben an den Hochschulen das Sommersemester gerettet. Ein Schulleiter sagt: Es knirscht beim digitalen Unterricht.

Jahrelang wurde über die Digitalisierung der Lehre an deutschen Schulen und Hochschulen vor allem geredet. In der Realität fand diese fast ausschließlich in Hörsälen, Seminarräumen und Klassenzimmern statt. Für die allermeisten Lehrenden und Studierenden sorgten erst die harten Kontaktbeschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie für den Sprung von der Theorie in die Praxis – notgedrungen.

Bernadette Descharmes, die Alte Geschichte an der Technischen Universität Braunschweig lehrt, hatte schon vor Corona keine Berührungsängste gegenüber digitalen Medien. Trotzdem, berichtet die 42-Jährige unserer Zeitung, habe sie sich vorher nur zaghaft an digitale Formate gewagt. „Ich habe höchstens mal ein bis zwei Lehrvideos erstellt.“ Dann kamen die Corona-Einschränkungen. In kürzester Zeit musste die Dozentin ihr Programm für das Sommersemester von analog auf digital umstellen. „Am Anfang musste alles sehr schnell gehen“, sagt sie. „Die technische Umstellung hat aber super geklappt dank eines tollen Supports an der TU.“ Jetzt produziere sie nicht mehr nur Videos, sondern nutze viele verschiedene Anwendungen, etwa interaktive Landkarten oder binde digitalisierte Ausstellungen von Museen in ihre Seminare zur römischen Antike ein.

Diskussion live auf Youtube

Dass die plötzliche Umstellung besser geklappt hat als befürchtet, darin war sich auch die Diskussionsrunde einig, die sich, organisiert von Haus der Wissenschaft Braunschweig am Freitagabend zu einer öffentlichen Videokonferenz zusammenschaltete. Interessierte konnten die Veranstaltung live auf Youtube verfolgen, wo sie auch weiterhin abrufbar ist. Der passende Titel: „Digitale Lehre von jetzt auf gleich: Herausforderungen im Ausnahmezustand“.

Dass die TU Braunschweig dieses Umschalten überraschend gut bewältigt habe, berichtete Veronika Mayer. Die Mitarbeiterin am Projekthaus der TU koordiniert die Internetplattform „Stud-IP“, mit deren Hilfe die Studenten sich zu Lehrveranstaltungen anmelden, Inhalte abrufen oder Nachrichten austauschen können. Trotz guter Voraussetzungen habe sich die TU ungekannten Herausforderungen stellen müssen: „Videokonferenzen mit über tausend Teilnehmern auf die Beine zu stellen, das war auch für uns etwas Neues.“

IT-Expertin: Medien in der Lehre hinterfragen

Die IT-Spezialistin sieht in der Corona-Situation eine Chance, den Einsatz von Medien grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen. „Manche Dozenten haben mich jetzt gefragt, ob es reicht, für Seminarteilnehmer einfach ein PDF hochzuladen. Das ist so, als würde ein Professor in Normalzeiten fragen: Reicht es, wenn ich Kopien austeile?“ Insgesamt sei es aber gut gelungen, die Lehrenden „fit“ zu machen.

Dass der Corona-Ausnahmezustand die Schulen härter traf als die Unis, machte Volker Ovelgönne, Schulleiter des Braunschweiger Wilhelm-Gymnasiums deutlich. „Schüler zu Hause zu unterrichten, darauf

Moderatorin Elisabeth Hoffmann (oben rechts) sprach mit dem Schulleiter Volker Ovelgönne (oben links), der Medienpädagogin Janina Becker (unten links) vom Georg-Eckert-Institut und der IT-Koordinatorin Veronika Mayer von der TU Braunschweig.
Moderatorin Elisabeth Hoffmann (oben rechts) sprach mit dem Schulleiter Volker Ovelgönne (oben links), der Medienpädagogin Janina Becker (unten links) vom Georg-Eckert-Institut und der IT-Koordinatorin Veronika Mayer von der TU Braunschweig. © Andreas Eberhard | Screenshot

waren wir in keiner Weise vorbereitet“, sagte er. Anders als an Hochschulen gebe es an den meisten deutschen Schulen keine eigenen Computer-Fachleute. „Dabei brauchen wir die dringend für die Digitalisierung.“ Das Wilhelm-Gymnasium etwa habe rund hundert Lehrkräfte und rund tausend Schüler, sagte er. „Das entspricht von der Größe her einem mittelständischen Unternehmen. Da kann man die IT doch nicht allein den Lehrern überlassen – selbst wenn einige begabte Hobbyfrickler darunter sind.“ Es knirsche, fasste er die Realität der digitale Lehre an Schulen zusammen und warnte: „Das ist ein Killer für die Bemühungen unserer Lehrer.“

Blog mit Hilfestellung für Lehrer

Auf die pädagogischen Aspekte der Digitalisierung kam auch Janina Becker zu sprechen. Die Mitarbeiterin des Braunschweiger Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung berichtete über Hilfestellungen für Lehrer, die sie und ihre Kollegen in den zurückliegenden Wochen in einem Blog bereitgestellt haben. „Da geht es um ganz konkrete Fragen – längst nicht nur um technische: Was macht diese digitale Situation emotional mit mir? Wie motiviere ich meine Schüler? Wie halte ich den Kontakt zu ihnen?“ Hierfür könne es aber auch notwendig sein, andere nicht-digitale Wege zu beschreiten. Bei Schülern, die zu Hause nicht über einen Computer verfügen, könne es etwa notwendig sein, den Lehrstoff per Post zu schicken.

„Jedenfalls wird Präsenz in der Lehre weniger wichtig“, fasste IT-Fachfrau Veronika Mayer ein Ergebnis der Corona-Digitalisierung aus ihrer Sicht zusammen. „Künftig wird es immer weniger darauf ankommen, Anwesenheit zu kontrollieren, als darauf ob das Lernziel erreicht wurde.“ Wie, das sei weitgehend egal.

Offener Brief zur Verteidigung der Präsenzlehre

Das sieht TU-Historikerin Bernadette Descharmes anders. Sie ist eine von über 4250 Lehrenden an deutschen Hochschulen, die einen offenen Brief „Zur Verteidigung der Präsenzlehre“ unterzeichnet haben. Darin heißt es: „Wir fordern eine – vorsichtige, schrittweise und selbstverantwortliche – Rückkehr zu Präsenzformaten. Was die Schulen zu leisten in der Lage sind, sollte auch Universitäten möglich sein.“

Digitale Lehre biete „tolle Möglichkeiten“, sagt Descharmes. Hinzu komme, dass sie zeit- und ortsunabhängig ist. „Aber sie taugt höchstens als Ergänzung zur Präsenzlehre, nicht als Alternative. Es fehlt die Unmittelbarkeit auf vielen Ebenen.“ Das gelte ebenso für den direkten Austausch der Studierenden untereinander wie für den mit den Lehrenden. Sorgen macht sich die Historikerin auch darüber, dass die geglückte Digitalisierung zu Sparmaßnahmen im personellen Bereich führen könnte.