Berlin. Minister Heil will, dass Arbeitszeiten künftig elektronisch dokumentiert werden. Die Arbeitgeber sind von den Plänen nicht begeistert.

Mehr als 34 Millionen Menschen in Deutschland sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Wie viele Stunden sie pro Woche arbeiten müssen, ist in der Regel in Arbeits- oder Tarifverträgen festgelegt. Genau erfasst wird die Arbeitszeit oft aber nicht. Eine Folge: Viele Beschäftigte leisten Überstunden, die weder bezahlt noch mit Freizeit ausgeglichen werden.

Gesetzliche Höchstarbeitszeiten bleiben mitunter ebenso unbeachtet wie Mindestruhezeiten. All das soll sich nach dem Willen von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ändern. Sein Haus hat jetzt einen ersten Entwurf für eine Reform des Arbeitszeitgesetzes vorgelegt. Wir erläutern, was auf Beschäftigte zukommt – und was Gewerkschaften und Arbeitgeber dazu sagen.

Warum will Heil das Arbeitszeitgesetz überhaupt reformieren?

Anlass ist das sogenannte „Stechuhr-Urteil“ des Bundesarbeitsgerichts aus dem vergangenen Jahr (Aktenzeichen BAG – 1 ABR 22/21). Die Erfurter Richter hatten ehedem mit Verweis auf einschlägige Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs entschieden, dass Arbeitgeber die gesamte Arbeitszeit ihrer Beschäftigten aufzeichnen müssen. Die ohnehin geltende Rechtslage soll also jetzt noch einmal präzisiert werden.

Im Entwurf des Heil-Ministeriums heißt es: „Die Arbeitszeiten sind im Zuge der Globalisierung und der Digitalisierung in den vergangenen Jahren immer flexibler geworden. Gerade in einer flexiblen Arbeitswelt kommt der Erfassung der geleisteten Arbeitszeiten eine besondere Bedeutung zu.“ Durch den Trend zum Homeoffice und zum mobilen Arbeiten verschwimmen zunehmend die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben – oft auch zulasten der Arbeitnehmer.

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Wie genau soll die Arbeitszeit in Zukunft erfasst werden?

In der Regel elektronisch – also zum Beispiel mithilfe einer „elektronischen Stechuhr“, die tatsächlich ein Lesegerät für Chipkarten ist. Auch Apps oder Tabellen-Kalkulationsprogramme wie Microsoft Excel können zum Einsatz kommen. Eine Erfassung auf Papier soll es nur in Ausnahmefällen geben.

Der wichtigste Satz in Heils Reformvorschlag lautet: „Der Arbeitgeber ist verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichnen.“ Die Erfassung soll auch durch den Arbeitnehmer selbst oder einen Dritten möglich sein, also etwa durch einen Vorgesetzten oder die Sekretärin der Abteilung. Die Verantwortung für die ordnungsgemäße Aufzeichnung soll aber in jedem Fall der Arbeitgeber tragen.

In welchem Stadium befindet sich die geplante Reform?

In einem sehr frühen. Es handelt sich erst einmal nur um einen so genannten Referentenentwurf. Dieser wird jetzt mit den anderen Bundesministerien diskutiert. Bis die Regierung tatsächlich einen Gesetzesentwurf auf den Weg bringt und das Parlament entscheidet, dürfte noch einige Zeit ins Land gehen. Wie bei jedem Gesetzesvorhaben wird es im Laufe des Verfahrens auch noch Änderungen an den Plänen geben.

Sieht der Entwurf Ausnahmen vor?

Ja. Es soll festgelegt werden können, dass die Aufzeichnung „in nichtelektronischer Form“ erfolgen kann – also zum Beispiel durch einen Eintrag in eine Kladde. Die Aufzeichnung soll auch an einem anderen Tag erfolgen können – spätestens aber sieben Tage nach der Arbeitsleistung. Und die Pflicht zur Aufzeichnung soll auch nicht bei Arbeitnehmern gelten, „bei denen die gesamte Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann“.

Das ist eine sehr weitreichende Formulierung, unter die etliche Führungskräfte und auch viele Projektarbeiter fallen dürften. Laut dem Vorschlag des Arbeitsministeriums sollen die genannten Ausnahmen „in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung“ festgelegt werden können. Das bedeutet im Klartext, dass abweichende Regelungen für Betriebe nur dann möglich wären, wenn sie der Tarifbindung unterliegen. Ob diese Formulierung das Gesetzgebungsverfahren übersteht, wird man sehen müssen.

Soll die Pflicht zur elektronischen Erfassung für Betriebe jeder Größe gelten? Und ab wann soll sie greifen?

Kleinbetriebe mit bis zu zehn Beschäftigten will Heil in jedem Fall ganz von der Pflicht ausnehmen. Für Arbeitgeber mit weniger als 50 Beschäftigten soll es eine Übergangsfrist von fünf Jahren geben, für solche mit weniger als 250 Beschäftigten von zwei Jahren.

Was sagen Gewerkschaften und Arbeitgeber zu den Plänen?

DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel sagte, es stehe völlig außer Frage, dass die Arbeitgeber verpflichtet sind, ein System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen. Es sei aber falsch, dafür das Arbeitszeitgesetz anzurühren. „Wir brauchen ein Update, um der Entgrenzung von Arbeit entgegenzuwirken – am besten, indem die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung im Arbeitsschutzgesetz geregelt wird.“

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sagte hingegen, der Entwurf aus dem Heil-Ministerium sei „leider kein Modell von morgen“. Der Gesetzgeber solle vielmehr die Vorschriften zur Arbeitszeit insgesamt flexibilisieren. „Dazu gehören flexible Wochenhöchstarbeitszeiten statt Tageshöchstarbeitszeiten und mehr Gestaltungsmöglichkeiten bei den Ruhezeiten.“ Außerdem müsse die vertragliche Vertrauensarbeitszeit unbedingt geschützt werden. „Ohne diese Möglichkeit ist auch mobiles Arbeiten nicht denkbar.“