Wolfsburg. Pilze, Koks, Ecstasy, Speed, opioidhaltige Medikamente. Die Drogensucht bestimmte bis zur Entgiftung sein Leben. Der 22-Jährige ist dem Tod entkommen.

Benzos, Pilze, Koks, Ecstasy, Speed, opioidhaltige Medikamente. Die Liste der Drogen ist lang. Linus (Name von der Redaktion geändert) sitzt auf einem Stuhl in der Jugend- und Drogenberatungsstelle (Drobs) in Wolfsburg. Tränen fließen über sein Gesicht. Er geht in sich, atmet tief durch, wischt sich die Tränen ab. „Ich habe öfter darüber nachgedacht, ob es besser wäre, wenn ich nicht mehr hier wäre“, sagt er.

Er will über das Thema Drogen aufklären. „Dieses Thema ist es wert, auch wenn nur eine Mutter diesen Artikel liest und hellhörig wird, wenn sie eine Tablettenpackung bei ihren Kindern findet.“

Drogenkomsum: Suchtkranker aus Wolfsburg berichtet – Abhängigkeit begann mit einer Zigarette

Linus ist 22 Jahre alt. Mit zehn Jahren kam er das erste Mal mit Drogen in Kontakt. „Was verstehen Sie denn unter Drogen?“, fragt er am Anfang des Gesprächs vorsichtig, bevor er beginnt, seine Geschichte zu erzählen. Schnell wird klar, dass das Drogengeschäft so viel mehr ist, als Außenstehende erahnen können. Hier geht es um wirklich harte Drogen, die Abhängige bis in den Tod treiben können, finden sie den Absprung nicht rechtzeitig. Für Linus änderte der Drogenkonsum so ziemlich alles. Bis heute.

„Mit zehn Jahren habe ich das erste Mal an einer Zigarette gezogen. Mit elf oder zwölf Jahren hat mir mein Vater das erste Mal eine Bierflasche gereicht, ich wollte probieren“, erinnert er sich an die Anfänge seiner Drogen-Karriere. „Mein Vater hat sehr viel Alkohol getrunken.“ Mit 14 oder 15 Jahren kam Linus in den Genuss, regelmäßiger Alkohol zu trinken. „Mit 16 Jahren wurde der Konsum immer mehr. Ich habe dann täglich getrunken - vor allem mit meinen Freunden.“ Was beim Trinken mit Freunden anfing, entwickelte sich irgendwann so weit, dass Linus auch allein zum Alkohol griff.

Start in die Drogen-Karriere? „Mit 17 war ich neugierig – da habe ich das erste Mal am Joint gezogen“

Und warum wurde er in der Schule nie wegen seines Alkoholkonsums erwischt? „In der Schule habe ich nicht getrunken, das habe ich alles in meiner Freizeit gemacht“, sagt Linus. Dennoch: Ausnahmen bestätigen die Regel. Eines Tages, so erinnert sich der Drobs-Klient, habe er noch einen Rest von einer Alkohol-Mische im Rucksack gefunden. „Den habe ich vor dem Sportunterricht getrunken, das hat schon ganz schön auf den Magen geschlagen.“ Er reibt seine Hände aneinander, denkt immer wieder bewusst über seine Aussagen nach, bevor er auf Fragen antwortet. Stolz ist er auf seine Vergangenheit nicht.

„Mit 17 war ich neugierig, da habe ich das erste Mal am Joint gezogen“, spricht er über den Beginn seiner Dogen-Karriere. Doch was der erste Rausch mit ihm gemacht habe, gefiel ihm anfangs so gar nicht: „Ich habe extrem viel gegessen, habe alles in mich rein gestopft, was ich gefunden habe, und irgendwann sind die Lichter ausgegangen. Als ich dann nachts wach wurde, habe ich mich mitten in der Nacht betrunken“, erinnert sich der 22-Jährige. Doch davon abschrecken ließ er sich nicht. Nach einer Woche habe er wieder gekifft - jeden Tag.

Polizei erwischt Wolfsburger: Er hörte „unfreiwillig auf, Gras zu rauchen“ – schnell wurde das Verlangen nach anderen Drogen groß

Nach einem halben Jahr wurde er schließlich von der Polizei erwischt. Mit 25 Gramm Gras und noch ein wenig Haschisch, das sie bei ihm zu Hause fanden. Nach einer Gerichtsverhandlung hörte Linus „unfreiwillig auf, Gras zu rauchen“. Denn fortan musste er regelmäßig zur Urin-Kontrolle in die Jugend- und Drogenberatungsstelle in Wolfsburg. Dort wurde er auf THC und Cannabinoide getestet. Damals wusste er noch nicht, dass ihn dieser Ort irgendwann retten würde. „Ich hörte auf zu kiffen, da es sonst zu einer Nachverhandlung gekommen wäre.“

In der Jugend- und Drogenberatungsstelle wurde Linus regelmäßig auf THC und Cannabinoide getestet.
In der Jugend- und Drogenberatungsstelle wurde Linus regelmäßig auf THC und Cannabinoide getestet. © regios24 | Sebastian Priebe

Schnell wurde das Verlangen nach anderen Drogen groß. Auf Drogen, auf die er bei der Drobs nicht getestet wurde. Darunter opioidhaltige Tabletten, Benzos, Pilze, Koks, Ecstasy, Speed, sämtliche Tabletten in legaler oder illegaler Form, Tropfen ... „Man hat den Hals nicht voll bekommen von den Sachen. Die Drogen haben die Gedanken und Wahrnehmungen für einen bestimmten Zeitraum positiv beeinflusst.“ Wenn er keine Drogen zur Verfügung hatte, plagten ihn Schweißausbrüche, Nervosität, Schmerzen, Übelkeit, Schlafprobleme. Entzug.

Wolfsburger gibt Ausbildungsgehalt für Drogen, Anwaltskosten und Co. aus

Und wie konnte sich der 22-Jährige die vielen Drogen leisten? Für Linus war es leichtes Spiel, im Teenager-Alter an den Alkohol zu kommen. In seinem Heimatdorf gab es einen Getränkeladen, der Linus und seinen oft älteren Freunden nicht nur Schnaps und Co. verkaufte, sondern auch noch abgelaufene Bierkästen schenkte. „Wir mussten nur das Pfand zahlen“, sagte Linus. Irgendwie konnte er sich den Alkoholkonsum immer leisten. Sei es mit Taschengeld, mit geklautem Geld bei den Eltern oder gemeinsam mit Freunden. Manchmal fragte er auch seinen Opa nach Geld – unter falschem Vorwand.

Und die anderen Drogen, wie etwa Ecstasy, kosten laut Linus nur „n‘ Appel und n‘ Ei“. „Es ist sehr günstig, mit Ecstasy feiern zu gehen. Es wird nur insgesamt teuer, weil Ecstasy allein irgendwann langweilig wird.“ Also mischte er die Droge mit Speed oder Koks, auch der Alkohol durfte nicht fehlen. „Mein Glück war, dass ich schon in der Ausbildung war und recht gutes Geld verdient habe“, sagt der 22-Jährige, dessen ganze Ausbildungsvergütung für Schadensersatz, Anwaltskosten und Drogen draufgegangen sei. Von nun an gehörten Sachbeschädigung, Fahren ohne Fahrerlaubnis unter Einfluss von Rauschmitteln und Körperverletzung zu seinem Alltag.

Drogensucht drohte, aufzufliegen: 22-Jähriger aus Wolfsburg schämte sich

Richtig Klick gemacht hat es bei Linus schließlich, als er auf der Arbeit von Kollegen angesprochen wurde. Zwar habe er die Drogen in der Ausbildung eher im Feierabend konsumiert, aber ausgelernt habe er dann auch vor, während und nach der Arbeit konsumiert. Linus sagt, dass er während des Konsums viel geschlafen habe, vergesslich und antriebslos war, sich von der Familie abgegrenzt hat, sich gleichgültig fühlte und schlechte Noten mit nach Hause brachte.

„Das hat aber sonst niemand gemerkt, da die Leute mich nicht anders kannten“, blickt der 22-Jährige auf seine Drogensucht zurück. Als ihn dann schließlich doch ein Kollege fragte, ob er sich etwas einwerfe, schämte sich Linus, „dass ich so bin, wie ich bin“. Plötzlich fing alles an, aufzufliegen. Ein Gefühl, das ihm womöglich das Leben rettete.

Drogen und ihre Gefahren: Die Kombination mit Alkohol kann tödlich enden.
Drogen und ihre Gefahren: Die Kombination mit Alkohol kann tödlich enden. © Quellen: Drugcom, Ärzteblatt | Kristin Heine

Entgiftung und Therapie: Drogenabhängiger geht durch die Hölle

Da Linus aufgrund von Depressionen auch in psychotherapeutischer Behandlung war, suchte er Rat und Hilfe bei seiner Hausärztin und bei der Drobs. „Dann ging es erst in die Entgiftung und dann in die Therapie“, erinnert sich Linus. Zwei Wochen Entgiftung, die noch heute – nach nur einem Jahr – schwer auf Linus‘ Schultern lasten. Geht man durch die Hölle bei der Entgiftung? Plötzlich fließen Tränen über sein Gesicht. Er geht in sich, atmet tief durch, wischt sich die Tränen ab. Er schluchzt, sammelt sich, atmet noch einmal tief durch und sagt: „Ich habe öfter darüber nachgedacht, dass es besser wäre, wenn ich nicht mehr hier wäre.“

Was am Anfang „wie eine Erlösung“ erschien, wurde innerhalb von 14 Tagen zur Qual. Die ersten zwei, drei Tage der Entgiftung waren noch aushaltbar, Linus habe sich die Situation oft schöngeredet. Doch dann „fing die Hölle auf Erden an“. Die Gier wurde stärker, er habe nur noch geweint, hatte Schmerzen, war schwer depressiv, fühlte sich nutzlos, ließ sich von anderen Drogenabhängigen in der Entgiftung herunterziehen, demotivieren.

22-Jähriger Wolfsburger in der Drogenabhängigkeit: Der Kosum der drogen frisst Unmengen an Geld

„Ich konnte nicht schlafen, nichts essen, nichts trinken. Ich konnte mich selbst nicht mehr aushalten. Der Kopf ist förmlich explodiert vor Gedanken“, erinnert sich der Wolfsburger. Er war geplagt von Schuldgefühlen, Gedanken darüber, was er seiner Familie angetan habe, Vorwürfen, Lügen.

„Kurz vor der Entgiftung wollte ich schon gar nicht mehr konsumieren, es war eigentlich nur noch ätzend. Aber man hat es trotzdem weiter gemacht“, sagt Linus. Der Konsum der Drogen habe Unmengen an Kohle gefressen, habe ihm schon am Anfang des Monats rote Zahlen auf sein Konto geschrieben. „Ich habe Drogen gebunkert und ein bisschen was verkauft.“ Und nebenbei zog er selbst noch Pilze hoch: „Das war nicht gut, die Quelle für meine Droge zu sein.“

Leben ohne Drogen möglich? Diese Antwort findet der 22-Jährige Wolfsburger

Oft habe sich Linus die Frage gestellt, ob es ein Leben ohne Drogen für ihn überhaupt geben könne. Mittlerweile lautet die Antwort: Ja. „Man kann nur alleine aufhören, zu konsumieren. Man kann sich Hilfe holen, aber aufhören kann man nur von selbst“, sagt Linus. 30 Wochen war er nach der Entgiftung in Therapie. „Dort wurden alle möglichen Dinge wie Depression, Schicksalsschläge, Drogenkonsum behandelt“, berichtet Linus. Erst im Februar dieses Jahres ist er nach Hause gekommen.

„Drogensucht ist eine Krankheit und keine doofe Angewohnheit, die sich in ein paar Wochen mit gutem Willen ablegen lässt. Ich werde diese chronische Krankheit mit ins Grab nehmen. Ich kann nur lernen, damit umzugehen“, sagt Linus, der sein Leben nun fest im Griff zu haben scheint. Er habe mit seinem alten Umfeld abgeschlossen, verbringt viel Zeit mit seiner Familie, geht joggen, spielt Volleyball, schraubt an Autos und hat sich eine neue Wohnung gesucht, damit ihn seine Vergangenheit nicht mehr einholen kann. Ein Neuanfang sozusagen. Mit regelmäßigen Besuchen in der Drobs - als Nachsorge und psychotherapeutische Behandlung. Vor allem Ablenkung sei in seinem Tagesablauf wichtig - wie bei jedem Suchtkranken.

„Ich hätte mein Leben bisher viel schöner leben können“, resümiert Linus. Dass er heute lebt, gleicht einem Wunder. Denn die Kombination der Suchtmittel kann in vielen Fällen tödlich enden.