Wolfsburg. Ein Polizist wurde vom Lieferauto überholt – mit hohen Tempo im Überholverbot. Bringdienst-Chefs widersprechen und lehnen Fahrtenbuch ab.

Hui, na da war mal richtig Musik drin in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig: Zwei Wolfsburger Gastronomen wähnten sich als Opfer einer Verschwörung. Ein Polizist wiederum zeigte sich enttäuscht von der Stadtverwaltung. Im Prozess ging es um eine Fahrtenbuchauflage der Stadt, die die Gastronomen energisch argumentierend verhindern wollten. Vorausgegangen war ein Verkehrsverstoß, den der Polizist außerhalb seines Dienstes beobachtet und zur Anzeige gebracht hatte.

Ende November 2020, abends gegen 20.30 Uhr, war der 61-jährige Beamte, der im Einsatz- und Streifendienst bei der Polizei Fallersleben tätig und somit oft mit Verkehrsthemen beschäftigt ist, im Auto unterwegs. Im Prozess berichtete er von der Begegnung: Er habe grad den Ortsausgang Heiligendorf Richtung Hattorf passiert, da wäre sein Auto im dortigen Überholverbot und Tempo-80-Limit von einem Golf mit sehr viel höherer Geschwindigkeit überholt worden. Alles sei schnell gegangen, so dass er den Fahrer zwar nicht erkannte haben will, doch merken konnte er sich die Farbe des Autos, dass Werbung für einen Lieferdienst an der Seite stand und das Nummernschild. Das Tempo des Golfs sei hoch gewesen, nach der nächsten Kurve habe er in weiter Entfernung noch die Rücklichter, mutmaßlich des Golfs, gesehen.

Zeuge stellt klar: „Ich bin nicht nur von 8 bis 16 Uhr Polizist, sondern rund um die Uhr!

Die Verfolgung aufzunehmen, sei ihm kurz durch den Kopf gegangen. „Dieser Bereich auf der Strecke ist schwer einsehbar, ob da ein Auto entgegenkommt. Das war schon sehr dreist. Ich hätte schon Lust gehabt, dem Fahrer hinterherzufahren“, gab er zu Protokoll. Daran hätte auch nichts geändert, dass er sein Dienstbeginn in der Nacht noch bevorstand, denn: „Ich bin nicht nur von 8 bis 16 Uhr Polizist, sondern rund um die Uhr!“ Trotzdem habe er von der Verfolgung Abstand genommen: „Im Auto saß auch meine Enkelin. Ich wollte nicht im Dunkeln mitten auf der Landstraße das Auto anhalten.“ Stattdessen habe er sich später in der Wache hingesetzt und einen Datenermittlungsauftrag an die Stadtverwaltung verfasst.

Das Verwaltungsgericht Braunschweig verhandelte die Klage der Wolfsburger Gastronomen gegen die Fahrtenbuchauflage der Stadt.
Das Verwaltungsgericht Braunschweig verhandelte die Klage der Wolfsburger Gastronomen gegen die Fahrtenbuchauflage der Stadt. © Hendrik Rasehorn

Die Stadt schrieb im Ordnungswidrigkeitsverfahren die Gastronomen, beide Geschäftsführer einer GmbH, an. Diese bestritten den Vorwurf, machten ansonsten keine Angaben, wo das Auto an dem Abend war. Das Ordnungswidrigkeitsverfahren musste eingestellt werden – zum Ärger des Polizisten, wie der im Prozess deutlich zu verstehen gab. Er sah sich womöglich in seiner Beamtenehre gekränkt und dachte, man glaube ihm nicht: „Es macht doch keinen Unterschied, ob ich im Dienst bin oder nicht.“

Gastronomen klagen über über Polizei: „Wir sind denen wohl ein Dorn im Auge“

Die Stadt allerdings erteilte den Geschäftsführern die Fahrtenbuchauflage für ihren Lieferwagen. Dagegen legten die Gastronomen Einspruch ein. Sie blieben bei ihren Angaben und machten ihren Unmut deutlich, den sie auch im Prozess deutlich vortrugen. Sie zweifelten wiederholt an, dass ein geschulter Beamter sich nicht mehr merken könne, als das Nummernschild und wollten wissen, warum der Beamte sie denn nicht angerufen habe, um die Fahrerfrage zu klären? Im Gericht vertraten sie energisch ihr Anliegen: „Das ist doch ein starkes Stück, dass einem Polizisten mehr Glauben geschenkt wird, als normalen Bürgern und Steuerzahlern.“ Der Wortführer der beiden Gastronomen behauptete, die Polizei habe sie schon früher wegen ungerechtfertigter Vorwürfe auf dem Kieker gehabt: „Wir sind denen wohl ein Dorn im Auge. Nun wollen wir uns endlich dagegen wehren!“

Der Vorsitzende Richter Claus Brölsch stellte die Gesetzeslage klar: Das Bußgeldverfahren stellt eine Sanktion für einen Verkehrsverstoß dar. „In diesem Bereich muss sicher nachgewiesen werden, wer am Steuer saß. Ein Fahrzeughalter muss jedoch keine Angaben machen, wer gefahren ist. Als Beschuldigter darf man auch schweigen.“ Wird kein Fahrer ermittelt, wird das Verfahren eingestellt.

Fahrtenbuch stellt eine Gefahrenabwehrmaßnahme dar

Ein Fahrzeughalter ist dennoch verpflichtet, bei der Aufklärung von Verkehrsverstößen mitzuwirken. Gesteigerte Pflichten gelten insbesondere für geschäftsmäßige Fahrzeughalter. „Eine GmbH ist buchführungspflichtig. Die muss im Grunde immer belegen können, zu welchem Zeitpunkt ein Fahrzeug wo gewesen ist“, so Brölsch. „Wenn das eine GmbH das nicht belegen kann und viel dafür spricht, dass ein Verkehrsverstoß stattgefunden hat, dann ist verwaltungsrechtlich eine Fahrtenbuchauflage gerechtfertigt.“ Ein Fahrtenbuch dient als Gefahrenabwehrmaßnahme, um mögliche künftige Verkehrsverstöße geahndet werden können.

Der Wortführer des Gastronomen machte große Augen: Ein Fahrtenbuch zu führen sei für einen Bringdienst sehr wohl eine Strafe, „das ist doch Mehraufwand“, und weiter: „Wir könnten zu jeder anderen GmbH hinfahren und fragen, wo deren Auto vor drei Wochen war. Da bekommen sie von keinem eine Antwort.“ Nach einigem hin und her nahmen die Gastronomen ihre Klage schließlich zurück.

Fakten: Woran bemisst sich die Dauer der Auflage?

Die Dauer bemisst sich an den Punkten, die für die Schwere des Verstoße erteilt worden wären. Bei einem Punkt wird ein Fahrtenbuch für die Dauer von sechs Monaten erteilt. Wäre der Verstoß mit mindestens zwei Punkten geahndet worden, wird das Fahrtenbuch für die Dauer von 12 Monaten verfügt. Die Fahrtenbuchauflage soll sicherstellen, dass diejenigen welche eine Verkehrsordnungswidrigkeiten begehen, aber nicht ermittelt werden können, künftig nicht den Verwaltungsmaßnahmen entgehen und durch ihr weiteres verkehrswidriges Verhalten eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer darstellen. Die Anordnung zur Führung eines Fahrtenbuches ist daher notwendig. Eine Fahrtenbuchauflage verfolgt das Ziel, die Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch zu gewährleisten, dass in Zukunft der Täter einer Verkehrsordnungswidrigkeit alsbald ermittelt werden kann.

Bei der Bemessung der Dauer des Fahrtenbuches darf die Schwere des festgestellten Verkehrsverstoßes berücksichtigt werden. Hierbei darf sich die Behörde an den in der Anlage 13 zur Fahrerlaubnis-Verordnung geregelten Punktzahlen orientieren. Aufgrund der besonderen Schwere von zwei Punkten ist die Dauer der Fahrtenbuchauflage von zwölf Monaten angemessen.

Fakten: Wie werden Fahrer belehrt?

Die Art und der Umfang des zu führenden Fahrtenbuches ergibt sich aus Paragraf 31a Absatz 2 und 3 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO). Die Fahrtenbuchverfügung der Stadt Wolfsburg lautet folgendermaßen:
1. Die Führung des Fahrtenbuches wird für die Dauer von sechs Monaten ab Bestandskraft dieser Verfügung angeordnet. Bestandskräftig wird diese Verfügung nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist von einem Monat, wenn Sie in dieser Zeit keine Klage gegen diesen Bescheid erheben. Die Monatsfrist beginnt am Tag nach der Zustellung.
2. Das Fahrtenbuch muss über jede einzelne Fahrt dieses Fahrzeuges angeben:
2.1 vor deren Beginn
a) Name, Vorname und Anschrift der Fahrzeugführer*in
b) amtliches Kennzeichen des Fahrzeuges
c) Datum und Uhrzeit des Beginns der Fahrt und
2.2 nach Beendigung jeder Fahrt unverzüglich Datum und Uhrzeit mit Unterschrift.
3. Das Fahrtenbuch ist zuständigen Personen auf Verlangen jederzeit zur Prüfung auszuhändigen.
4. Das Fahrtenbuch ist mir nach Ablauf von zwei Monaten und spätestens 13 Monaten unaufgefordert vorzulegen.
5. Das Fahrtenbuch ist noch sechs Monate nach Ablauf der Zeit, für die es geführt werden muss, aufzubewahren.

Fakten: Ist das Fahrtenbuch schriftlich oder digital zu führen?

Jeder Fahrtenbuchverfügung wird ein Musterfahrtenbuch beigefügt, die vom Fahrzeughalter*in genutzt werden kann. Das Fahrtenbuch kann zwar elektronisch oder per Handy-App geführt werden, das vorgelegte Fahrtenbuch muss jedoch die Unterschrift des Fahrzeugführenden beinhalten.