Wolfsburg. Tobias Senft ist einer der bekanntesten Gastronomen in Wolfsburg. In seinem Atelier Café hat er sich vom herkömmlichen Buffet-Konzept losgesagt.

Es war wieder einer dieser spontanen Einfälle und auch diesen sollte Tobias Senft, Betreiber des Wolfsburger Atelier Cafés, umsetzen. Ein Bio-Markt war während des Lockdowns auf der Suche nach Mitarbeitern, die Waren in die Regale einräumen. Auf den ersten Blick keine Aufgabe, die herausfordernd wirkt für einen gestandenen Gastronomen und Unternehmer. Aber Senft griff dennoch zum Telefon. Die Betreiber sind Freunde von ihm. Und natürlich bekam er den Job, gleich am nächsten Morgen ging’s los. Aus Wochen wurden Monate. „Meine Frau fand mich in der Zeit sehr entspannt. Ich war angestellt und schleppte nicht die Sorgen mit mir herum, die man sonst so als Selbstständiger hat“, erzählt der Wolfsburger. Und vor allem nutzte er die Zeit, um tief in die Welt der Bio-Produkte und der Nachhaltigkeits-Philosophie einzutauchen.

Paletten aufreißen und Gläser einsortieren als Chance zur persönlichen Horizonterweiterung – so würden es wahrscheinlich die wenigsten angehen. Aber Tobias Senft scheint einer von denen zu sein, die zu filtern vermögen: aus dem Schlechten das Gute ziehen, aus dem Langweiligen das Besondere herauskitzeln. Deshalb ist auch seine Sicht auf die Pandemie eine nicht selbstverständliche. „Klar war das alles finanziell hart. Aber davor sind wir allzu oft nur in unserem Hamsterrad gelaufen. Corona hat vielen die Chance gegeben, sich selbst zu finden. Und jetzt stehen viele Gastronomen besser da als vorher.“

Die beste Adresse der Stadt

Sicher, Senft gehörte nicht zu jenen, die finanziell angeknockt in die schwere Zeit schlidderten. Aber auch sein Atelier Café musste lange schließen. Das idyllisch und doch zentral nahe der St.-Annen-Kirche gelegene Lokal war auch so eine spontane Idee, die Senft einfach mal anging. Die Geschichte hat er schon x-mal erzählt. Wie er vor gut 25 Jahren mit seinen Eltern einen winterlichen Ausflug zur Kirche machen wollte. Wie er dann auf einmal das alte Fachwerkhaus sah, in dessen Atelier Seidenschals verkauft wurden. Und wie er letztlich den Entschluss fasste: Hieraus sollte man etwas machen. Im März 1996 eröffnete Senft im früheren Schweinestall des Hauses sein Café, über das der frühere Oberbürgermeister Rolf Schnellecke zehn Jahre später sagen sollte: „Hier sind die schönsten Mädchen und die interessantesten Herren. Jeder, der in Wolfsburg etwas gilt, trifft sich hier.“ Kurz: die beste Adresse in der Stadt.

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Das Zitat stammt aus einem Zeitungsartikel. Er ist schon leicht zerfleddert, aber Senft hat ihn aufgehoben. Weil sich Politiker mit ihren Aussagen selten so weit aus dem Fenster lehnten, begründet der Gastronom und grinst. Und er kennt viele von den Verantwortungsträgern aus dem Rathaus – weil sie über die Jahre genauso bei ihm ein- und ausgegangen sind wie Manager von VW oder Fußballprofis des VfL. „Ein Paar kommt seit Jahren zu mir, um die Zeit zu überbrücken, in der die Reinigungskraft das Haus sauber macht“, erzählt er. Natürlich kämen auch mal Schüler oder Studenten, betont Senft. Aber die Stammklientel ist eine andere. Das Frühstück im Atelier Café kostet für zwei Personen 55 Euro, mit Champagner 66 Euro.

Tobias Senft setzt auf besondere Lebensmittel

Lange war das üppige Frühstücksbüffet Aushängeschild des Lokals. Die Gäste konnten dort schon mal

Das Atelier Café in Wolfsburg.
Das Atelier Café in Wolfsburg. © Henning Thobaben

zwischen 80 Müslisorten oder mehr als 20 Schokocremes wählen. Die Pandemie ließ Senft umdenken: Serviert wird jetzt das sogenannte „Tischbuffet“, eine große Etagére mit einer üppigen Auswahl verschiedener Speisen. Ein Vorteil: Die Gäste müssen nicht mehr ständig aufspringen. „Ich glaube, dass viele die typischen Selbstbedienungskonzepte leid sind. Immer ist wer unterwegs, um etwas zu holen. Das kommt höchstens bei Patchwork-Familien an, in denen man sich nicht so viel zu sagen hat“, sagt Senft flapsig. Sein neues Konzept hat er um einen frisch gepressten Apfelsaft bereichert. „Orangensaft fühlte sich für mich zu sehr nach 90er Jahre an“, erklärt er seine Wahl. Die Leute seien begeistert. Manchmal könne es so einfach sein. Die Qualität sei es, die stimmen müsse.

Der gelernte Koch greift gerne auf besondere Lebensmittel zurück. „Für Speisen, die man selbst im Kühlschrank hat, geht man nicht ins Café“, sagt er. Und so gibt es bei Senft viel Exotisches und so viele Bio-Produkte wie möglich. Statt normaler Milch stehen Alternativen aus Soja, Reis, Dinkel und Kokos bereit. Vegetarisch, vegan, glutenfrei – alles kein Problem für den Gastronomen und sein Team. Und wenn er mal auf dem falschen Fuß erwischt wird, ist der Unternehmer flexibel.

Senft baut sich eigene Mineralwassermarke auf

Als ein Gast einmal einen „Flat White Coffee“ orderte, bevor die Welle um den australischen Kult-Milchkaffee aus Australien nach Wolfsburg geschwappt war, nahm Senft die Bestellung einfach an. In der Küche googelte er danach und servierte dem Gast schließlich die Kaffee-Variante mit der besonderen Milchschaum-Konsistenz.

Man könnte mit dem 49-Jährigen wohl stundenlang sprechen. Zum Beispiel über die hausgemachten Kuchen, sein kleines Hotel, schlechte Internetbewertungen, die Fleischpreise in Deutschland oder die E-Ladesäule vor dem Café. Genauso über sparsame Spülmaschinen oder das neue Armaturensystem in den Toilettenräumen, das sowohl Wasser als auch Luft zum anschließenden Trocknen der Hände versprüht. Und natürlich über Wasser. Denn mit Tobiquell hat sich Senft seine eigene Marke aufgebaut, weil ihm die weiten Transportwege vieler Mineralwasser-Marken aus ökologischer Sicht ein Dorn im Auge waren. In seinem Büro hat er an der Wand eine Skala aus Legosteinen an der Wand hängen, die dessen Absatz visualisiert. Das stille Wasser werde immer beliebter, stellt er fest.

„Hey Siri, Musik aus!“, gibt der Familienvater irgendwann den Befehl an sein Soundsystem raus. Wenig später erblickt er durch ein Fenster, das ihm sein Lieblingsarchitekt glücklicherweise aufgequatscht hat, den vorbeikommenden Paketboten, der seine Retoure entgegen nimmt. Irgendwie scheint es, als habe Tobias Senft wirklich alles im Blick.