VW setzt auf E-Mobilität, Digitalisierung und autonomes Fahren. Der Ingenieur Martin Roemheld kam vor zwei Jahren zum Autobauer.

Es war so etwas wie ein Schlüsselerlebnis. „Als der Paketbote das erste Mal an unserer Tür klingelte, hat er meine Frau sofort in ein wirklich sehr nettes Gespräch verwickelt. Da wussten wir, dass das Vorurteil der verschlossenen und kühlen Niedersachsen so nicht stimmen kann“, sagt Martin Roemheld. Der 46-Jährige gehört zu jener Generation von Ingenieuren, die im Zuge der Neuausrichtung des Volkswagen-Konzerns nach Niedersachsen in die Region Braunschweig-Wolfsburg gezogen sind. Roemheld kam nicht allein, sondern mit seiner Frau und den vier Töchtern im Alter von vier bis elf Jahren. „Alle fühlen sich pudelwohl“, versichert er.

Roemheld kann es beurteilen, weil er in seiner beruflichen Laufbahn schon einiges gesehen hat. Geboren in Unna, Studium in Dortmund, danach Maschinenbau-Ingenieur beim Autobauer BMW in München und Berlin. Dort hat er sich spezialisiert auf Energie-Management und Elektro-Mobilität. Vor zwei Jahren folgte dann der Wechsel zu Volkswagen ins niedersächsische Wolfsburg am Mittellandkanal.

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„Die Stellenausschreibung hat genau zu meinem Profil gepasst. Bei Volkswagen habe ich die Chance bekommen, meine bisherigen Erfahrungen aus der Fahrzeug-Entwicklung und aus dem Energiemarkt zusammenzuführen“, sagt Roemheld. In Wolfsburg leitet er die E-Mobility Services und ist damit verantwortlich für das Ladeangebot der Konzern-Kernmarke VW – gerade aktuell eine strategisch wichtige Aufgabe, weil das schnelle und flächendeckende Laden von E-Fahrzeugen wie dem neuen ID.3 eine zentrale Voraussetzung für den Durchbruch der Elektro-Mobilität ist.

Volkswagen setzt wohl wie kein anderer der klassischen Autobauer auf den Ausbau der Elektro-Mobilität. Nach dem Bekanntwerden des Abgas-Skandals im September 2015 hat sich das Unternehmen, bei dem alternative Antriebe und Digitalisierung bis dahin nur eine Nebenrolle spielten, neu ausgerichtet. Dazu gehört nicht nur die Neubesetzung vieler Schlüsselpositionen, sondern ganz besonders auch die Neuausrichtung der Technik.

VW will Schrittmacher bei der Transformation sein

Die Digitalisierung der Fahrzeuge, die Entwicklung digitaler Mobilitäts-Dienstleistungen, das autonome Fahren und die Entwicklung alternativer Antriebe haben deutlich mehr Gewicht bekommen und werden mit viel Energie und milliardenschweren Investitionen vorangetrieben. So wollen die Wolfsburger als weltgrößter Autobauer Schrittmacher bei der Transformation der Automobil-Branche werden. Dabei geht es natürlich um das Behaupten der eigenen wirtschaftlichen Stärke. Zugleich will der VW-Konzern bis 2050 die gesamte Kette eines Auto-Lebens von der Beschaffung über Produktion und Lebensdauer bis hin zur Wiederverwertung CO2 -neutral aufstellen.

Für digitale Anwendungen und künstliche Intelligenz sind eigene Entwicklungszentren entstanden, unter anderem in Berlin, München und auch außerhalb Deutschlands. In der Wolfsburger Konzernzentrale schlägt aber weiterhin das Herz der Forschung und Entwicklung, in der dort mehr als 10.000 Mitarbeiter beschäftigt sind – die meisten von ihnen als Ingenieure.

Die Marke Volkswagen zum Beispiel hat dort eine neue, rein elektrisch angetriebene Fahrzeugfamilie konzipiert. Das erste Modell aus dieser Familie ist der ID.3 im Golf-Format, der nach vierjähriger Entwicklung seit November dieses Jahres im sächsischen Zwickau produziert wird.

Es ist die erste Fabrik des Konzerns, die ausschließlich E-Autos bauen soll. In den nächsten Jahren dann sollen auch die Fabriken in den niedersächsischen Städten Emden und Hannover auf Stromer umgerüstet werden. Außerdem sollen weitere E-Modelle der Marke VW, aber auch anderer Konzernmarken folgen – in der ID.-Familie unter anderem Geländelimousinen (SUV) und auch ein Kleinbus.

Größerer Innenraum, weil E-Motoren deutlich kleiner sind

Das Besondere an diesen Autos neben dem Elektroantrieb: Sie bauen nicht mehr auf der Fahrzeug-Architektur klassischer Verbrennermodelle auf, sondern wurden als eigenständige E-Fahrzeuge entwickelt. Weil die E-Motoren viel kleiner sind als Benzin- oder Diesel-Maschinen, sind die Innenräume von Stromern größer als die vergleichbarer klassischer Modelle. Die Batteriesysteme sitzen im Unterboden zwischen Vorder- und Hinterachse.

Um Kosten zu senken, setzt Volkswagen in der Produktion Baukästen ein. Sie verringern und vereinheitlichen Bauteile und Produktionsschritte. Diesem Prinzip folgend hat der Autobauer auch für die Stromer der ID.-Familie einen Baukasten entwickelt, den Modularen E-Antriebs-Baukasten (MEB). Durch die strategische Entscheidung für das Baukasten-System sieht sich der Autobauer im Vorteil gegenüber seinen Wettbewerbern.

Wesentliche Komponenten für den ID.3 kommen ebenfalls aus der Region Braunschweig-Wolfsburg. Das Komponentenwerk Braunschweig produziert die Batteriesysteme, das Motorenwerk Salzgitter fertigt Komponenten für den Elektroantrieb.

Außerdem bündelt Volkswagen in Salzgitter seine Batterie-Entwicklung. In einer Pilotanlage wird dort die Großserienfertigung von Batteriezellen vorbereitet, gemeinsam mit dem schwedischen Partner Northvolt will der Autobauer in naher Zukunft eine Fabrik für die Produktion von Batteriezellen errichten. So sollen die Wertschöpfung in Deutschland gehalten und eine Abhängigkeit von den aktuell vor allem asiatischen Batteriezell-Lieferanten vermieden werden.

Die Pläne von Volkswagen sind ehrgeizig. Der Konzern will bis 2028 weltweit 22 Millionen E-Fahrzeuge verkaufen. In Zwickau sollen im nächsten Jahr 100.000 Stromer produziert werden, ab 2021 bis zu 330.000. Mit Blick auf das autonome Fahren hat Volkswagen angekündigt, bis etwa 2025 eine kommerzielle Nutzung selbstfahrender Autos zu ermöglichen. Von Deutschland aus wird diese Strategie weltweit ausgerollt.

Traditionell ist Volkswagen in Deutschland und Europa stark, der wichtigste Markt für die Marke VW und den gesamten Konzern ist aber seit Jahren China. Im Reich der Mitte liefert VW gut 40 Prozent seiner Produktion aus. Und auch in China gewinnt die E-Mobilität zunehmend an Bedeutung. Der chinesische Markt ist der weltweit größte Absatzmarkt für E-Fahrzeuge.

VW sucht Spezialisten für Software und E-Mobilität

Der Umbau des VW-Konzerns geht zwar einerseits einher mit dem Abbau von Arbeitsplätzen etwa in der Produktion. Gleichzeitig schafft das Unternehmen zahlreiche neue Stellen in sogenannten Zukunftsfeldern, zu denen unter anderem die Software-Entwicklung, die Entwicklung der Elektro-Mobilität und die Entwicklung digitaler Mobilitätsdienste gehören.

Einer dieser neuen Experten ist Martin Roemheld. „Meine Erwartungen wurden mehr als erfüllt“, sagt er. Seine Aufgabe sei komplex, mit viel Arbeit verbunden, bringe positiven Stress. „In einer strategisch so wichtigen Einheit gestalten zu können, ist beruflich sehr befriedigend. Irgendwie machen wir hier gerade echte Pionierarbeit“, betont er.

Zumal die Neuausrichtung des Unternehmens und der Ausbau der E-Mobilität keine Alibi-Veranstaltungen seien. Roemheld: „Ganze Werke werden komplett umgestellt, die Strategie neu ausgerichtet. Wir sind überzeugt, dass unser Plan funktioniert. Andere halten dagegen an ihren alten Geschäftsmodellen fest.“ Diese offensive Vorgehensweise des Unternehmens überzeuge ihn.

„Volkswagen will gestalten und nicht den Trends hinterherlaufen. Dass die Entscheidung zum Ausbau der Elektro--Mobilität richtig war, zeigt auch, dass nun andere Hersteller auf den Zug aufspringen“, sagt Roemheld und fügt hinzu: „Dieses Voranschreiten ist für mich als Ingenieur sehr reizvoll. Ich habe die Chance, Dinge zu entwickeln, die mich selbst lange überleben können. An nachhaltigen Lösungen zu arbeiten, gibt mir außerdem ein gutes Gewissen gegenüber meinen Kindern.“

Am Konzern schätze er neben den inhaltlichen Aufgaben, dass das Unternehmen aufgrund seiner Größe viele Entwicklungsmöglichkeiten biete, ohne dass der Arbeitgeber gewechselt werden müsse. So ist Volkswagen mit seinen zwölf Fahrzeugmarken VW, VW-Nutzfahrzeuge, Audi, Skoda, Seat, Porsche, Bentley, Bugatti, Lamborghini, MAN, Scania und Ducati weltweit aufgestellt und fasst zum Beispiel in Afrika immer mehr Fuß.

Weil die Arbeitsplätze sicher seien, erleichtere dies die Familienplanung. „Die Mitbestimmung gewährleistet eine Mitarbeiterorientierung des Unternehmens, die sehr ausgeprägt ist“, sagt Roemheld. Davon zeugten unter anderem eine hohe Wertschätzung der Mitarbeiter, die ausgeprägte Gesundheitsvorsorge und die zunehmende Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Auch privat hat Roemheld den Sprung von München in die Region Braunschweig-Wolfsburg nach eigenen Angaben nicht bereut. Er und seine Familie haben sich für das Leben auf dem Land entschieden, wohnen in einem Dorf zwischen Wolfsburg und Braunschweig. Seine Töchter fühlten sich in ihren Schulen wohl, die Freizeitangebote seien reichhaltig, auch im Dorf, die Lebenshaltungskosten im Vergleich zu Regionen wie München gering. Braunschweig mit seinen 250.000 Einwohnern sei eine kompakte Großstadt mit guten Einkaufsmöglichkeiten. „Es ist alles vorhanden, die kurzen Wege tragen bei zu einer hohen Lebensqualität“, sagt Roemheld. „Wir sind hier sehr gut aufgenommen worden.“