Detmerode. Die Stadtplaner wollten in den 1960ern einen städtebaulichen Wurf und boten ein Filet-Grundstück. Am Sonntag wird die Stephanus-Kirche 50 Jahre alt.

Jürgen Prüser ist ein Wolfsburger Urgestein, Kenner des Star-Architekten Alvar Aalto und einer der Gründer der Stephanus-Kirche, die am 1. Advent ihr 50-jähriges Jubiläum feiert. Er ist fasziniert: „Mehr als 60 Teamer und Gruppenleiter haben sich zum Kirchweihfest angemeldet. Einfach unglaublich.“ Diese Gemeinde wirkt anziehend. Von weit her kommen manche angereist, um einen Ort zu erleben, der einzigartig ist. Geschaffen von einem der bedeutendsten Architekten der Geschichte, erfüllt von Menschen aus Wolfsburg und Umgebung, die hier ihre eigene Geschichte geprägt haben und die ihrer Mitmenschen. Und die Geschichte geht weiter.

Als der junge Stadtteil Detmerode Anfang der 60er-Jahre auf Weizenfeldern in die Höhe wuchs, brauchte es eine Kirche. Egon Meyer, ein charismatischer, moderner Pastor, der einer unbestätigten Legende nach auch schon einmal in dem später für ihn bestimmten Sarg übernachtet haben soll, um sich, nach mittelalterlicher Tradition der Vergänglichkeit bewusst zu werden, betreute väterlich den Pfarrbezirk von Stephanus. Er hatte in seiner Heilig-Geist-Gemeinde den Coup gelandet und das Kirchengebäude von Alvar Aalto errichten lassen. Doch auch die Planer der Stadt waren nicht unambitioniert, sie wollten zwischen Betonmischern und Kränen einen städtebaulichen Wurf mit überregionaler Ausstrahlung. Das kostete Überstunden. Vor allem den für die Kunst Alvar Aaltos entflammten Stadtbaurat Dr. Recknagel. Wolfsburg bot der Landeskirche sein Filetstück an, die Spitze des Detmeroder Marktes, ausgemessen auf einem künstlichen Hügel. Und man machte unmissverständlich klar: Ein Aalto sollte es sein und sonst gar nichts. In den Häusern und Wohnungen der Ur-Stephaniten, trocknete noch die Farbe, da saß die Gruppe schon mit Alvar Aalto am Tisch. „Wir waren elektrisiert“, sagt Jürgen Prüser, „die Herausforderungen und dieser prominente Künstler unter unserem Dach“. Aalto schenkte dem jungen Kreis kreative Pausen und drehte in Prüsers Garten Runden. Schließlich nahm er ihn zur Seite und teilte mit, dass sein Haus architektonisch durchaus gelungen sei. Eine eingeschworene, aber auch einladende Gemeinschaft, so werden die Ur-Stephaniten heute beschrieben. Wenn schon, dann sollte in dem Objekt eine protestantische Kommunität, ein offener Orden zu Hause sein, politisch und sozial engagiert, ohne auf gregorianischen Choral und tägliche, öffentliche Stundengebete zu verzichten. Zu diesem Zweck wurde bei Aalto eine Krypta angeregt, der der neugierig-religiöse Architekt eine klösterlich, zurückgenommene Atmosphäre verlieh. Weil man jedoch den direkten Kontakt zur Bevölkerung suchte, erschien das Gregorianik-Projekt als zu abgehoben und der Sakralraum wurde zur Taufkapelle von heute. Die junge Gruppe lässt sich von Aalto in den Bann ziehen. Für den ist es ein Glücksfall, eine Stadt im Entstehen mitzubauen, sein Freund Scharoun wird das Theater errichten und den Stephanus-Kindergarten. Wolfsburg – beiden ein kreativ-berufliches Abenteuer. Aalto bezieht Stellung: „Baukunst – ihr wirkliches Wesen – ist nur zu finden, wenn der Mensch im Mittelpunkt steht.“ So fragt der Kirchenvorstand St. Stephanus: „Was braucht der Mensch?“ Selbst antworten die jungen, religiösen Wilden: „Die Gemeinde ist der gegebene Ort für das Gespräch unter vier Augen und für die Beichte. Jedoch ist es ihr verwehrt, sich in geistliche Übungen zu flüchten, die keine Hilfe für das Leben ,draußen’ bringen.“