Wolfsburg. Spitzenkoch Sven Elverfeld fordert Hauswirtschaftslehre an den Schulen. Von Spargel im Winter oder Laborfleisch hält er nichts.

. Sven Elverfeld gehört zur ersten Riege der Spitzenköche weltweit, seine Küche wurde vor neun Jahren mit drei Sternen ausgezeichnet. Im „Aqua“ bekocht er Gourmets, daheim seine beiden kleinen Kinder, mit denen er auch schon Einkaufen geht. Im Interview mit WN-Redakteur Hendrik Rasehorn erklärt Elverfeld, warum beim Thema Essen der Nachwuchs Anleitung und auch die Konsumenten Informationen benötigen.

Herr Elverfeld, wenn Sie Ihren „Aqua“-Kittel ausziehen und als Privatmensch einkaufen, was halten Sie davon, dass die Auswahl in Supermärkten im Vergleich zu früher immer größer wird?

Es gibt in unserer Region mittlerweile an einigen Tagen gut sortierte Wochenmärkte und auch einige Supermärkte, die eine sehr gute Auswahl an Obst, Gemüse, Fleisch und Käse haben. Natürlich freut es mich, wenn ich bestimmte Produkte aus anderen Ländern kaufen kann, die ich selbst gar nicht herzustellen vermag, vor allem asiatische Zutaten, etwa Reisblätter, Filoteig oder eine gute Sojasauce.

Lockt Sie auch der Spargel zur Weihnachtszeit?

Das ist absurd! Bestimmte Produkte haben eben Saison, auf die freue ich mich, aber wenn die Saison vorbei ist, dann ist sie eben vorbei. Im Sommer gab es Spargel, danach Pilze, jetzt ist die Kohlzeit angebrochen – Wirsing, Rosenkohl, Grünkohl. Auch bestimmte Kräuter wie Bärlauch oder Waldmeister haben ihre Saison, oder Holunderblüten und danach die Holunderbeeren. Wenn es die Zeit erlaubt, gehe ich gerne selbst mit Mitarbeitern aus dem „Aqua“ raus an die frische Luft, und wir pflücken selbst in der Natur rund um Wolfsburg.

Ist so ein Festhalten an der Saison nicht eine sehr traditionelle, vielleicht sogar puristische Herangehensweise – zumal das Angebot in Zukunft womöglich noch weitaus größer wird, was Ihnen als Profikoch noch sehr viel mehr Möglichkeiten eröffnen könnte?

Als ich klein war, gab es in unserer Familie freitags Fisch, nur zweimal die Woche kam Fleisch auf den Teller, und an den anderen Tagen gab es vielleicht Nudeln oder Reis. Heute hingegen ist fast alles zu jeder Jahreszeit in großen Mengen verfügbar. Dass bestimmte Produkte eine bestimmte Saison haben, kann man in den Auslagen der Märkten höchstens noch erahnen. Bestimmtes Gemüse ist dort schon zwei Monate vor der und noch zwei Monate nach der eigentlichen Saison verfügbar, weil es nicht in Deutschland angebaut wurde, sondern in anderen Länden und hertransportiert wird. So funktioniert eben die Marktwirtschaft. Ich persönlich halte es aber für einen Verlust, wenn die Saison immer weniger das Angebot reguliert, weil wir so das Bewusstsein für die Produkte verlieren.

Was halten Sie von künstlichen Lebensmitteln, zum Beispiel in Laboren gezüchtetes Fleisch? Ist das für Sie eine Alternative – im „Aqua“ oder in der heimischen Küche?

Tatsächlich habe ich mir nie darüber ernsthaft Gedanken gemacht, damit zu kochen, und es wurde mir auch nie von Lieferanten angeboten. Für mich ist das nichts, genauso wenig wie Fertiggerichte für die Mikrowelle. Ich möchte gar nicht ausschließen, dass dieses In-vitro-Fleisch, das sie angesprochen haben, für kommende Generationen ein Schritt von größerer Bedeutung sein könnte, um weltweit Ernährungsprobleme zu lösen. Aber ich meine, die Zeit dafür ist noch nicht angebrochen – zumal ich die Gefahr sehe, dass unsere Gesellschaft mit echtem Fleisch dann noch viel sorgloser umgehen könnte. Die Politik soll bei diesem Thema sehr kritisch sein, und mehr noch die Verbraucher.

Ich möchte Ihnen ein Erlebnis berichten: Ich wollte mir kürzlich eine Möhrensuppe kochen, so wie ich sie bei meiner Mutter kennengelernt habe, und dann wollte ich sie richtig kochen, also mit Knochen auskochen. Ich stand im Markt und rief sie an, weil ich wissen wollte, was für Fleisch man zum Auskochen nimmt. Sie antwortete mir: Sie nimmt zwei Brühwürfel. Kann künstlich auch gut sein?

Meine Mutter kochte sehr oft frisch, aber es gab auch mal Fischstäbchen. Und wenn ich wenig Zeit habe, koche ich mir auch mal eine Linsensuppe aus der Dose, die ich allerdings mit klein geschnittenen Würstchen und Kartoffeln aufpeppe. Warum denn auch nicht, wenn es schnell gehen muss? Was mich viel mehr stört, ist, wenn bei manchen Produkten den Konsumenten Frische vorgetäuscht wird, aber auf der Rückseite der Verpackung ein Dschungel von Inhaltsstoffen steht. Welcher Endverbrauer versteht denn, was damit gemeint ist? Gewisse Kennzeichnungen müssten erklärt werden. Wer jeden Tag bewusst oder unbewusst Glutamat zu sich nimmt, der muss wissen, dass sich seine Geschmackswahrnehmung verändern könnte.

Sie sind Vater von zwei Kindern. Ist Ernährung bei der Erziehung Ihres Nachwuchses ein Thema?

Wenn ich frei habe und daheim bin, wird mindestens an einem Tag der Woche gemeinsam gekocht. Mir ist es wichtig, dass meine Tochter (5) und mein Sohn (3) sehen, was man aus frischen Zutaten zubereiten kann und dass sie auch sehen, wie da jemand in der Küche kocht und nicht nur irgendwas aufwärmt. Kürzlich waren wir zusammen beim Fischhändler und haben einen Lachs gekauft. Zu Hause haben sich die Kinder am Tisch auf die Stühle gestellt und wir haben aus dem Fisch die Gräten gezogen. Oder sie zupfen beim Zuschauen Kräuter, während ich am Herd stehe. Auf diese Weise entwickeln sie hoffentlich ein Bewusstsein für die Produkte. Wenn sie einen Bezug zur Arbeit des Kochens haben, dann werden sie später vielleicht einmal selbst Spaß am Kochen haben.

Ich meine, es ist auch ganz wichtig, dass sie verstehen, warum sie etwas mehr Geld für bestimmte Produkte ausgeben sollten. Oder warum sie sich mit der Zubereitung ihres Essens mehr Arbeit machen sollten, als sich nur etwas zu kaufen, von dem sie gar nicht wissen, was darin ist. Ein Beispiel: Jetzt ist Karottenzeit. Ich schäle die mit den Kindern im Ganzen. Dann werden die Karotten in der Pfanne mit etwas Butter und zwei Löffeln Wasser im eigenen Saft geschmort. Am Ende kommt noch etwas Salz dazu und ich träufle ein paar Tropfen guten Balsamico-Essig drüber – fertig. Durch die Zubereitung mit Butter können sich das Betacarotin sowie das Vitamin A aus den Karotten lösen und in den Körper gelangen. Das Gericht ist also nicht nur einfach, sondern auch gesund. Für mich ist so eine Art mit und für meine Kinder zu kochen Teil meiner Erziehung. Und ich finde, das kann genauso in der Schule stattfinden.

Was würden Sie Bildungspolitikern empfehlen?

Hauswirtschaftslehre sollte meines Erachtens in der Grundschule Teil des regulären Lehrplans sein. Mindestens zwei Schuljahre, vielleicht auch länger, in jedem Fall in einem Alter, wenn sie neugierig sind. Kindern muss erklärt werden, wo Nahrungsmittel herkommen und ob das, was sie essen, gut oder schlecht für ihren Körper ist. Woher sonst sollen sie es lernen? Es werden heutzutage so tolle Küchen in Häusern verbaut. Aber die Frage ist doch, wie oft darin richtig gekocht wird.