Wolfsburg. Im Wolfsburger Südosten entstehen in den nächsten Jahren zwei Riesen-Baugebiete - so groß wie ganze Stadtteile.

An der Nordsteimker Straße am Rande der Wolfsburger Innenstadt steht ein kleiner Wald aus Baukränen. Er ist schon aus der Ferne zu sehen, selbst von der Berliner Brücke im Zentrum.

Was da in die Höhe wächst, sind die ersten Mehrfamilienhäuser im 22 Hektar großen Baugebiet Steimker Gärten, das in den nächsten Jahren auf 1250 Wohnungen anwachsen soll. 2015 begann Volkswagen Immobilien (VWI) als Gebietsentwicklerin mit der Investorensuche, 2016 startete die Erschließung, 2017 der Hochbau. Inzwischen sind die ersten Rohbauten fertig: Der Wolfsburger Unternehmer Marco Moretti hatte die Nase vorn und richtete im August das Richtfest Nummer eins aus. Er baut 65 Eigentumswohnungen, von denen er beim Richtfest schon zwei Drittel verkauft hatte.

Nur wenige Tage später zog VWI nach. Die Gesellschaft lässt auf zwei Baufeldern für rund 26 Millionen Euro die ersten 85 ihrer rund 250 neuen Mietwohnungen sowie Geschäftseinheiten errichten. In den von den Braunschweiger Architekten Brederlau und Holik entworfenen Stadthäusern im „Weidenplan“ lief beim Richtfest schon der Innenausbau. Dieser sollte bald darauf auch im „Promenaden-Carré“ beginnen. Dort wird wohl einmal das kommerzielle Herz des neuen Wolfsburger Stadtteils schlagen. Denn ins Erdgeschoss der Mehrfamilienhäuser sollen Geschäfte einziehen. Ganz in der Nähe ist zudem ein Grundstück für einen Supermarkt mit 1200 Quadratmeter Verkaufsfläche reserviert. In Wolfsburg herrscht seit Jahren Wohnungsmangel, die Immobiliengesellschaften führen ellenlange Wartelisten mit Tausenden von Namen. Kein Wunder also, dass andere Investoren ebenfalls zügig ihre Bauprojekte in den Steimker Gärten gestartet haben, zum Teil auch schon die Vermarktung. So die Justus Grosse GmbH. Die Bremer werben an der Nordsteimker Straße mit einem blumigen Schild für die 325 Mietwohnungen, die sie auf ihren „Kirschgarten“, „Magnoliengarten“ und „Blauer Garten“ genannten Baufeldern errichten. Die Meyer Projektentwicklung aus Lüneburg hat mit dem Bau von 74 Eigentumswohnungen begonnen.

„Weitere Investorenprojekte und Baufelder des ersten Bauabschnitts befinden sich in der Baugenehmigungsphase beziehungsweise sind noch in Verhandlung“, sagte VWI-Sprecher Tobias Fruh unlängst. „In Abhängigkeit dieser baurechtlichen Verfahren rechnen wir mit weiteren Bauaktivitäten in der zweiten Jahreshälfte.“ Nach VWI-Angaben sollten bald auch erste Reihenhäuser entstehen. Dort geht man davon aus, Ende 2018 den kompletten ersten Bauabschnitt der Steimker Gärten vermarktet zu haben. Die Baufelder im zweiten Bauabschnitt haben die Wolfsburger im Oktober auf der Fachmesse Expo Real vorgestellt. Vermarktet werden diese ab Sommer 2019, die Erschließungsanlagen sollen Ende des Jahres fertig sein.

In der Volkswagen-Stadt wird zurzeit ohne Ende geplant und gebaut. Aus ursprünglich 6000 Wohneinheiten, die Oberbürgermeister Klaus Mohrs einst als Ziel ausgegeben hatte, sind inzwischen 10 000 geworden. Vor allem möglichst vielen der täglichen Einpendler – man spricht von bis zu 80 000 – soll Wohnraum angeboten werden.

Bei der Vielzahl neuer Baugebiete kann man schon mal den Überblick verlieren, wie kürzlich ein kurioser Streit um zwei doppelt begehrte Straßennamen verdeutlichte. Der für die Steimker Gärten zuständige Ortsrat Stadtmitte hatte im Herbst 2017 beschlossen, die Straßen im neuen Stadtteil nach Bärlauch, Pfefferminz und elf anderen Kräutern zu benennen. Doch Monate später schnappte der Ortsrat Reislingen/Neuhaus den Kollegen aus der Stadtmitte den Arnika- und den Salbeiweg praktisch unter der Nase weg: für das 160 Wohneinheiten umfassende Baugebiet Wiesengarten in seinem Ortsratsbereich. Ortsratsmitglieder in der Stadtmitte zeigten sich empört, der Ortsrat Reislingen/Neuhaus war sich dagegen keiner Schuld bewusst. Seine Mitglieder waren schlichtweg nicht über den älteren Beschluss informiert worden – sie gaben bereitwillig nach.

Die Steimker Gärten sind nach Angaben von Volkswagen Immobilien eines „der größten privaten Wohnungsbauprojekte Deutschlands“. Doch neben dem „Sonnenkamp“, der ein paar Meter weiter südlich bei Hehlingen und Nordsteimke auf Wiesen und Weiden entstehen soll, werden sie fast verschwinden. Bis zu 3000 Wohneinheiten sind hier geplant, die meisten darf der Investor Groth/Sahle schaffen. Hinzu kommt ein Campus mit Infrastruktur, Schule, Kita, Sportanlagen, Arztpraxen und Seniorenwohnungen. Der Baustart ist im Jahr 2020 vorgesehen.

Mit den Steimker Gärten und dem Sonnenkamp werden die einstigen Dörfer Hehlingen, Reislingen und Nordsteimke noch näher an die sich ausdehnende Wolfsburger Kernstadt heranrücken, um nicht zu sagen, von ihr geschluckt. Das sorgt naturgemäß für Bedenken. Was Skeptikern außerdem Bauchschmerzen bereitet, ist die noch nicht absehbare Lösung der schon jetzt zu Schichtzeiten des Volkswagenwerkes heftigen Verkehrsprobleme rund um das Bauareal.

Die Stadt setzt auf neue Ideen, vor allem darauf, dass möglichst viele Bewohner der Ortschaften sowie Einpendler künftig auf Schnellbusse und den Fahrradsattel umsteigen. Auf einem Pendlerparkplatz im Südosten der Stadt könnte das Auto stehen bleiben, per Elektrobus- und Pedelec soll es auf einer „Grünen Route“ Richtung Arbeit gehen. Die Bewohner der Steimker Gärten und später des Sonnenkamps werden ebenfalls verstärkt Bus und Rad nutzen, so hofft man. Dazu soll die „Grüne Route“ von Südosten her durch die Neubaugebiete verlaufen. Sie wird nur für alternativen Verkehr, also Elektrofahrzeuge oder solche mit Pedalantrieb, freigegeben und soll so geführt werden, dass die Nutzer die täglichen Staus links liegen lassen können. Noch allerdings existieren die Pläne nur auf dem Papier – genauso wie die für eine Ertüchtigung der Straßen, über die man künftig den Hauptteil des Pendlerverkehrs Richtung Werk abwickeln möchte.

In den Steimker Gärten, in denen Volkswagen Immobilien den Hut auf hat, sollen zudem neue Formen der Mobilität ausgetestet werden. Unter anderem werden zahlreiche Ladepunkte für Elektrofahrzeuge entstehen, nicht nur in den Tiefgaragen, sondern auch im öffentlichen Raum. Mindestens acht sind an der Promenade geplant. Wegen der Schnellladesäulen mussten auch deutlich mehr Trafos aufgestellt werden als in herkömmlichen Baugebieten – nicht dass das Stromnetz regelmäßig zusammenbricht, wenn alle ihre Autos anschließen. „Wir wollen e-ready sein“, sagte VWI-Pressesprecher Tobias Fruh schon im Sommer 2017.