Berlin. Fast jeder Vierte hat das Ticket schon genutzt, doch die Branche denkt über Kürzungen bei Bussen und Bahnen nach. Eine Bilanz.

Ein Jahr nach der Einführung betrachten Fachleute das 49-Euro-Ticket für den Nahverkehr als gelungen. „Es ist ein absolutes Erfolgsmodell“, stellt Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Oliver Krischer fest. Im monatlichen Durchschnitt haben im ersten Jahr 11,2 Millionen Kunden das Abo abgeschlossen. Insgesamt haben das Ticket bereits 20 Millionen Bürger wenigstens einmal genutzt. 76 Prozent der Besitzer wollen das Abo dauerhaft behalten. 17 Prozent der Abonnenten sind mit Jobtickets unterwegs. „Hier sehe ich noch ein großes Potenzial“, sagt Krischer. Die Branche hat sich noch einiges vorgenommen. Als Ziel gibt der Verband der Verkehrsunternehmen (VDV) 15 Millionen Kunden an.

49-Euro-Ticket: Mehr als jeder zweite Nutzer hat das Abo seit Beginn

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    Allerdings hat das Erfolgsmodell auch Schattenseiten. „Unsere Kosten steigen dramatisch an“, warnt VDV-Präsident Ingo Wortmann. Sowohl für Material, für Löhne oder Energie müssten die Nahverkehrsunternehmen deutlich mehr ausgeben. Daher diskutiert die Branche schon über eine Kürzung des Angebots an Bussen, und Bahnen. „Das droht uns jetzt gerade“, sagt Wortmann. Für den Ausbau und die Modernisierung des Systems fehlten die Mittel.

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    Grund für die finanzielle Misere sind neben den steigenden Kosten auch die Einnahmeausfälle durch das Deutschlandticket. Denn viele Altabonnenten konnten damit von teureren Zeitkarten auf das günstige Angebot umsteigen. Die Preisdifferenz fehlt nun in den Kassen der Verbünde. Damit das Ticket eine Zukunft hat, verlangen die Unternehmen eine dauerhafte Zusage des Bundes, sich an den Kosten zu beteiligen.

    49-Euro-Ticket: Langfristige Finanzierung weiter ungeklärt

    Noch hat sich der Bund nicht auf eine bestimmte Höhe der Förderung festgelegt. Allerdings ist Eile auch noch nicht vonnöten, denn für das laufende Jahr ist die Finanzierung geklärt. Dennoch fordert Krischer ein Bekenntnis des Bundes zur langfristigen Finanzierung. Nur bei einer Verlässlichkeit des Angebots könnten Autofahrer zum Umstieg auf den öffentlichen Verkehr animiert werden.

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    Auf- und Rückbau des deutschen Schienennetzes von 1835 bis heute
    Auf- und Rückbau des deutschen Schienennetzes von 1835 bis heute © Interaktiv-Team

    Das deutsche Schienennetz hat die besten Zeiten hinter sich. Mitte der 50er-Jahre war es noch 14.000 Kilometer länger als heute. Wo Züge rollen und wo es einmal Bahnverbindungen gab – Jahr für Jahr von 1835 bis heute.

    Offen ist auch noch, ob der günstige Preise noch lange gehalten werden kann. Eine Preiserhöhung im kommenden Jahr schließen die Unternehmen nicht aus. Das hänge aber von der weiteren Entwicklung der Einnahmen im laufenden Jahr ab. Auf einen möglichen Preis will sich auch der Minister noch nicht festlegen. „Wir können es überhaupt nicht einschätzen“, sagt Krischer.

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    Etwas Selbstkritik übt die Branche auch. Denn das Deutschlandticket ist längst noch nicht so einheitlich, wie es scheint. Es gebe bundesweit 150 Unterschiede in der Gestaltung, räumt der VDV ein. So fehlt zum Beispiel noch eine einheitliche digitale Vertriebsplattform aller Verkehrsverbünde, die zu großen Einsparungen führen könnte. Besonders umstritten ist die Entscheidung Berlins, parallel zum Deutschlandticket ein 29-Euro-Ticket für den Stadtverkehr einzuführen. „Ich halte es für eine fatale und falsche“, kritisiert Krischer. Auch aus Bayern wurde viel Kritik am Berliner Sonderweg laut.

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