Berlin. Gary Stevenson wurde jung zum Millionär, als „Bankräuber“, wie er sagt. Dann wurde er krank und stieg aus. Jetzt fordert er Radikales.

Gary Stevenson ist davon überzeugt, dass es nicht allzu schwer war, in den Jahren nach der Finanzkrise 2008 viele Millionen Pfund zu verdienen. Der Ex-Banker vergleicht seine damalige Arbeit mit der eines Bankräubers, der nur zugreifen musste, weil die Tür zum Tresor sperrangelweit offen stand. In der Devisen-Abteilung der Citibank in London wettete Stevenson auf den Niedergang der Weltwirtschaft. Er sollte recht behalten. Und zieht jetzt überraschende Konsequenzen.

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„Du suchst nach Informationen, die anderen Marktteilnehmern vielleicht fehlen, oder nach deren Fehleinschätzungen“, sagt Stevenson im Gespräch mit unserer Redaktion. Deshalb habe es ihn auch nicht verwundert, dass sein Mentor neben der Arbeit auch versuchte, mit Pferdewetten Geld zu verdienen. Stevenson schmunzelt: „Vereinfacht gesagt: Du brauchst einen guten Riecher für Dummheit. Die Dummheit der anderen.“

Stevenson studiert ab 2005 Mathematik und Wirtschaft an der renommierten London School of Economics, sein erster Arbeitstag bei der Citibank ist der 30. Juni 2008 – kurz vor dem Börsencrash. Die Händler, die mit undurchsichtigen Kreditverschreibungen handeln, sogenannten Credit Default Swaps (CDS), sind die Stars im Handelsraum. Noch. Die Devisen-Abteilung wird bankintern eher belächelt, weil sie nicht so fette Gewinne abwirft.

Lehman Brothers geht pleite, die Citibank wird gerettet

„In den Monaten vor der Lehman-Pleite wurde aber immer deutlicher, dass diese CDS reines Blendwerk waren“, erinnert sich Stevenson. „Aber so tickt unsere Gesellschaft: Wenn eine bestimmte Gruppe von Leuten extrem viel Geld scheffelt, halten die anderen sie für Genies. Das Gleiche sehen wir heute bei den Kryptowährungen, die nach meiner Einschätzung reiner Betrug sind.“ Über seinen Auf- und Ausstieg als Banker hat der 36-Jährige das Buch „Das Milliardenspiel“ geschrieben.

Während Lehman Brothers den Bach runtergeht, entschließt sich die US-Regierung zur Rettung der angeblich systemrelevanten Citibank. „Hätte die Regierung auch die Citibank untergehen lassen, hätte ich meinen Job verloren“, sagt Stevenson. Dass es nicht so kommt, ist für ihn keine Überraschung. „So läuft es immer: Die Gewinne werden privatisiert, für Verluste kommt die Allgemeinheit auf.“

Die Eltern sollen nicht wissen, wie viel Gary verdient

Während Stevenson zum erfolgreichsten Trader der Citibank aufsteigt – und sich als Erstes eine Eigentumswohnung im hippen Londoner Finanzviertel Canary Wharf zulegt –, verdient sein Vater als Postangestellter 20.000 Pfund im Jahr. Garys Bonus nur für 2009 beträgt das Zwanzigfache; ein Tabuthema in der Familie. „Bis heute habe ich mit meinen Eltern nie explizit darüber gesprochen, wie viel ich verdient habe“, sagt Stevenson. „Ich denke, sie haben es sich im Laufe der Zeit zusammengereimt.“

Im Kinofilm „The Wolf of Wall Street“ lässt es der von Leonardo DiCaprio gespielte Börsenguru richtig krachen: Partys, Alkohol, Sex und Drogen. Stevenson beschreibt zwar ein paar glamouröse Episoden aus der Anfangszeit als Banker, Einladungen in extrem teure Londoner Restaurants und attraktive Sexarbeiterinnen in einer VIP-Bar in Las Vegas. Dieser Lifestyle habe ihn aber bald angeödet, beteuert Stevenson, der sich selbst als Zahlenfreak mit ausgeprägtem Arbeitsethos beschreibt.

Viele Banker bringen große Opfer im Privatleben

Rückblickend jedenfalls lässt Stevenson kaum ein gutes Haar an seinem Banker-Beruf. „Es ist schon ein sehr unangenehmer Job“, sagt er heute. „Es herrscht unter den Händlern ein extremer Konkurrenzdruck. Viele bringen große Opfer, stellen ihr Privat- und Familienleben komplett zurück.“

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Sinnbildlich für den Druck sind die Gewinn-und-Verlust-Listen der einzelnen Händler: Jedermann im Handelsraum habe sie einsehen können. Und „jedermann“ ist hier keine Floskel, so Stevenson: Denn in der Devisen-Abteilung der Citibank liegt der Frauenanteil bei null. „Diese Arbeit zieht einen bestimmten Typ Mensch an“, erklärt Stevenson. „Eben vor allem Männer, die es anderen beweisen wollen und vollgepumpt sind mit Testosteron.“

Stevenson, 1987 geboren und in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, gibt sich heute geläutert, auch im Gespräch mit unserer Redaktion. Das Geld habe ihn nicht glücklich gemacht, was wiederum seine Mitmenschen nicht verstehen konnten, erzählt er. 2014 hat Stevenson die Citibank schließlich verlassen. Doch davor gab es eigenen Angaben nach einen zähen Psychokrieg mit dem Geldinstitut, das ihn partout nicht gehen lassen wollte. Dabei ging es auch um bereits bewilligte, aber von der Bank zurückgehaltene Boni in Millionenhöhe.

Stevenson fordert: Besteuert Millionäre wie mich stärker

Stevenson hat diesen Kampf zwar offenbar gewonnen, auch wenn er die Details nicht ausplaudern darf. Mittlerweile ist er Mitgründer von „Patriotic Millionaires UK“, einer Organisation sehr wohlhabender Briten, die sich dafür einsetzt, Reiche generell stärker zu besteuern. „Die wachsende materielle Ungleichheit droht unsere freiheitliche Gesellschaft auszuhöhlen“, sagt Stevenson. Mit seinem Youtube-Kanal „Gary‘s Economics“ bemühe er sich daher um niedrigschwellige Kapitalismus-Analysen.

Doch mit seiner Forderung nach einer Steuer für Superreiche rennt er in seiner Heimat Großbritannien keine offenen Türen ein. Auf der Insel werden die Konservativen womöglich in diesem Jahr abgewählt, aber auch Labour will von einer Sondersteuer für Millionäre oder Milliardäre nichts wissen. Stevenson findet das fatal: Er befürchte eine rapide verarmende Mittelklasse und noch stärkeren Zulauf für Rechtspopulisten, nicht nur in seiner Heimat, sondern überall in Europa.